Jüdisches Museum Berlin
Auch in der jüdischen Welt verändern sich Art und Umfang der öffentlichen Verhandlung sexueller Fragen. Die Ausstellung Sex. Jüdische Positionen bietet diesen neuen Stimmen zur Bedeutung von Sexualität im Judentum Raum – in der Ausstellung und online.
Geschlechter im Judentum
Der israelische Künstler Gil Yefman ist in der Ausstellung mit seinem Kunstwerk Tumtum vertreten und geht der Frage nach, welche Geschlechtsidentitäten es im Judentum gibt: „Talmud und Mischna unterscheiden sechs beziehungsweise sieben Geschlechtskategorien: männlich, saris (in zwei Varianten), tumtum, androginos, aijlonit und weiblich.“ Tumtum bezeichne eine Person, deren Geschlechtsorgane versteckt oder verdeckt seien, so Yefman, während bei einem Androgynos die Geschlechtsorgane weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich seien. „Beide gelten als eigenständige Geschlechter, die sich zudem am eindeutigsten vom Männlichen und Weiblichen abgrenzen. Bis heute herrscht unter Gelehrten große Uneinigkeit darüber, wie man mit jenen umgehen sollte, die tumtum oder androginos sind.“
Welche Bedeutung hat LGBTIQ* im Judentum?
Die Abkürzung scheint handlich, um verschiedene Formen des Begehrens, Genderkonzepte und Lebensentwürfe unter einen Hut zu bekommen. In ihrem Beitrag dreht Debora Antmann, Mitarbeiterin des Jüdischen Museums Berlin, den Spieß um und nimmt jeden Buchstaben aus jüdischer Perspektive in den Blick.
Geschlecht und Sexualität
Nach jüdischem Rechtsverständnis spielt das Geschlecht für die Sexualität eine maßgebliche Rolle; die männliche und die weibliche Sexualität gelten als angeboren und deutlich voneinander unterschieden. Generell muss das sexuelle Begehren kontrolliert werden, doch werden an Männer und Frauen diesbezüglich je sehr spezifische Pflichten und Erwartungen gestellt. Die rabbinischen Schriften, die sich immer an eine männliche Leserschaft wenden, behandeln die weibliche Sexualität nur im Kontext der Pflichten des Ehemanns gegenüber seiner Frau. Frauen wiederum werden auf das biologische Faktum ihres Menstruationszyklus reduziert. Im Verhältnis der Geschlechter kommt Frauen vor allem die Verantwortung zu, Männer nicht in Versuchung zu führen.
Der weibliche Körper
Heute führen Künstlerinnen wie Gabriella Boros, Nechama Golan und Hagit Molgan den Diskurs um die Sexualität und das Begehren der Frau fort, indem sie mit ihrem weiblichen Blick die vielen, von Männern entwickelten Rituale und Texte untersuchen, die den Frauenkörper über Jahrhunderte definiert und kontrolliert haben.
Als Quelle für ihre künstlerischen Auseinandersetzungen dienen die halachischen Schriften, z.B. der Talmud. Hier werden systematisch Umschreibungen für das weibliche Geschlechtsorgan, die Vulva, verwendet. Die männliche Ambivalenz diesem wichtigen und doch unheimlichen Ort gegenüber, spiegeln die einzelnen Begriffe wider: Die Vulva wird als Ort, Atem oder Grab bezeichnet. Diese Bildergalerie zeigt Werke jüdischer Künstlerinnen, in denen sie die Umschreibung des weiblichen Körpers im Talmud thematisieren.
Erotik und das Göttliche
„Mit Küssen seines Mundes küsse er mich. Süßer als Wein ist deine Liebe.“
Mit diesen Worten beginnt das Schir ha-schirim, das Lied der Lieder. Sie setzen den Ton für das, was folgt. Innerhalb der hebräischen Bibel stellt das Lied eine Ausnahme dar, denn die Sammlung erotischer Liebesgedichte enthält keine religiösen oder gesetzlichen Anweisungen. Gott kommt darin überhaupt nicht vor. Mit seiner offenkundig erotischen Sprache feiert das Lied der Lieder die körperliche Lust – und doch gehört es zum biblischen Kanon und wird in den Synagogen jedes Jahr während Pessach vorgetragen.
Jüdisches Museum Berlin
Sex. Jüdische Positionen
Let’s talk about sex
Heilige Rebellion: Feministische
und Queere Zugänge zur Halacha
Vortrag und Gespräch mit Ronit Irshai und
Avigail Ben Dor Niv (auf Englisch), 19. Sep 2024
Erstellungsdatum: 16.09.2024