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Gespräche mit Übersetzer:innen aus dem Rumänischen

Abgründe der menschlichen Psyche

Manuela Klenke


Übersetzungen einer Winde. Aus Leonardo da Vincis Codex Atlantis. wikimedia commons

Die Übersetzerinnen Gundel Große und Miruna Bacali sowie der Übersetzer Peter Groth und die von ihm übersetzte junge Autorin Alexandra Furnea stellten der Frankfurter Buchmesse Neuerscheinungen in deutscher Sprache vor: „Disco Titanic“, ein Roman von Radu Pavel Gheo, der aus rumänischer Perspektive die Narben des jugoslawischen Bürgerkriegs beleuchtet, und „Das Tagebuch der 66" von Alexandra Furnea, die Autobiographie einer Überlebenden des Brandes im Club Colectiv in Bukarest. Manuela Klenke stellte den Übersetzer:innen einige Fragen.

Gespräch mit Gundel Große und Miruna Bacali

Liebe Miruna, liebe Gundel, herzlichen Glückwunsch zu eurer ersten gemeinsamen Übersetzung! Bevor wir tiefer auf das Buch und seinen Inhalt eingehen, würde ich gerne zunächst von euch wissen, warum ihr rumänische Literatur übersetzt und wie es zu diesem Auftrag gekommen ist.

 

Gundel Große: Ich übersetze rumänische Literatur, nachdem ich lange Zeit vor allem unter literaturwissenschaftlichem und -historischem Gesichtspunkt mit rumänischer Literatur zu tun hatte. Dass es mir eine solche Freude bereitet, ist eine Entdeckung der letzten Jahre.

Ich hatte 2016/17 einen Workshop zur Literaturübersetzung am Rumänischen Kulturinstitut in Berlin besucht (und dort im Übrigen auch Miruna wiedergetroffen) und 2017 am Einführungsprogramm des Deutscher Übersetzerfonds ins literarische Übersetzen teilgenommen, an dem sog. Hieronymus-Programm.

2019 habe ich im Rahmen des Übersetzerprogramms des Rumänischen Kulturinstituts ein Fachbuch zur rumänischen Literaturgeschichtsschreibung übersetzt.

Da Miruna und ich im Jahr 2018, als Rumänien Gastland auf der Leipziger Buchmesse war, halb scherzhaft ausgemacht hatten, dass wir mal einen Roman zusammen übersetzen, hatte ich sie dann auf dieses konkrete Projekt angesprochen und sie war sofort dabei.

Miruna Bacali: Durch meinen biografischen Hintergrund (mehrsprachig aufgewachsen mit Rumänisch als Erst-und Deutsch als Zweitsprache) war ich ein Stück weit für das Übersetzen prädestiniert; daneben spielt aber auch der wissenschaftliche Zugang zur rumänischen Literatur eine Rolle. Ich habe mich mit Europaentwürfen in der rumänischen Literatur nach 1989 beschäftigt und meine Analyse größtenteils auf rumänischsprachige Quellen gestützt. Die Arbeit habe ich auf Deutsch geschrieben, deshalb musste ich entweder nach den bereits veröffentlichten Übersetzungen suchen oder selbst Übersetzungen beisteuern. Während des Forschungsprozesses bin ich auf viele Themen gestoßen, die die Übersetzung im weiteren Sinne betreffen: Rumänische Literatur ist sehr facettenreich und verdient durchaus die Aufmerksamkeit der interessierten Leserschaft, und Übersetzer*innen leisten in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag.

Gundel und ich haben schon einmal gemeinsam übersetzt, und zwar einen Auszug aus dem Roman Harald und der grüne Mond von Nora Iuga für die Anthologie Das Leben ist ein Tortenboden (Transit 2018). Als Gundel Disco Titanic entdeckte, machten wir uns an die Probeübersetzung. Anfang 2022 haben wir uns dann gemeinsam mit dem KLAK-Verlag auf ein extensiv initiativ-Stipendium beworben und waren erfolgreich.

 

Als ich den Titel Disco Titanic und die Kurzbeschreibung des Buches las, hatte ich für einen kurzen Augenblick den Eindruck, dass es eine unterhaltsame, atmosphärische Urlaubslektüre werden würde. Schnell stellte ich aber fest, dass der Roman viel tiefgreifendere Themen behandelt. Wie war es für euch beim Übersetzen? Haben euch bestimmte Stellen besonders berührt? 

Gundel Große: Der Roman hatte mich so erschüttert, dass ich zunächst glaubte, einen solchen Text niemals übersetzen zu können. Ich habe mich zunächst wissenschaftlich mit dem Text auseinandergesetzt und irgendwann dann doch über eine Übersetzung nachgedacht, weil ich den Roman zum einen sehr gut erzählt finde und mir zum anderen ganz grundlegend die Verquickung von rumänischer und jugoslawischer Geschichte für ein deutsches Lesepublikum interessant schien.

Miruna Bacali: In der Tat behandelt der Roman große Fragen, geht dabei aber nach dem Prinzip „show, don’t tell“ vor und vermeidet es auf diese Weise, die Leser*innen zu belehren, was ich persönlich sehr schön finde. Besonders eindrucksvoll fand ich in dieser Hinsicht das Thema der Jugoslawienkriege und deren Auswirkungen. Im 10. Kapitel wird dieses Grauen aus der Perspektive des Kroaten Frane, der selbst an der Front und damit nicht nur Opfer, sondern auch am Verbrechen mit beteiligt war, beschrieben. Die schrecklichen Ereignisse und die Abgründe der menschlichen Psyche werden in diesem Kapitel ganz besonders erlebbar.

Gespräch mit Peter Groth

Lieber Peter, herzlichen Glückwunsch zur neuen Übersetzung aus dem Rumänischen, und zwar dem Roman Das Tagebuch der 99. Die Nacht, in der ich brannte von Alexandra Furnea, erschienen im Dittrich Verlag! Wie kam es dazu, dass du diese Autobiografie übersetzt hast, und was hat dieses Buch in dir verändert? 

Peter Groth: Tatsächlich habe ich das Buch in einer Buchhandlung in Hermannstadt/Sibiu „entdeckt“. Den Hintergrund mit der Katastrophe im „Club Colectiv“ kannte ich noch aus den Schlagzeilen von damals und war sofort von dem Titel gefesselt. Als mir dann noch eine befreundete rumänische Literaturagentin dieses Buch ans Herz legte, stand mein Entschluss eigentlich fest. Wobei ich natürlich auch mit gemischten Gefühlen an die Lektüre gegangen bin. Die Arbeit an dem Buch und dadurch die intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte, ihren Hintergründen und vor allem dem individuellen Schicksal von Alexandra Furnea – was die anderen Brandopfer ja in ähnlicher Weise erlebt und durchgemacht haben - hat mich tief beeindruckt und wird mich sicher nicht mehr loslassen. Was ein Mensch alles ertragen und danach weiterleben kann, das war mir bisher nicht klar und ist mir auch heute noch fast unvorstellbar.

 

Ein Teil der rumänischen Literatur ist von Humor und Ironie geprägt, nach dem Motto: Wenn man schon nichts ändern kann, dann zumindest darüber lachen. Bei Alexandra Furnea ist das jedoch überhaupt nicht der Fall. Sie beschreibt eine Tragödie und geht durch dieses Buch auf direkte Weise mit allen Beteiligten ins Gericht. Ich finde diese ungeschönte Ehrlichkeit einzigartig. Wie hat sie auf dich gewirkt? 

Es ist ganz bestimmt einzigartig. Und zugleich ist ihre Haltung bescheiden, fast demütig angesichts der Schmerzen und des Schicksals, das auf diese grausame Weise zugeschlagen hat. Und ich muss eine Aussage korrigieren oder besser präzisieren: Wie sie im Vorwort schreibt, geht es ihr mit dem Buch nicht darum, sich zu rächen und bestimmte Personen an den Pranger zu stellen. Deshalb hat sie ja auch alle negativ konnotierten Personen mit erfundenen Namen gekennzeichnet, und nur die positiv gelesenen mit dem Anfangsbuchstaben ihres echten Nachnamens. Und obwohl sie niemand vor das Gericht der Öffentlichkeit zerren will und ganz andere Intentionen hat, so wird natürlich klar ersichtlich, wer was getan, oder eben nicht getan hat.

 

„Wir sind jung genug, dass wir nicht von der Geschichte überwältigt sind, zugleich aber auch nicht ausreichend weit davon entfernt, um nicht mehr Opfer ihrer Fehler zu werden,“ sagt Furnea. Wird sie dadurch zur Stimme ihrer Generation? 

Ja, ich würde sagen, dass man sie als Stimme ihrer Generation bezeichnen kann. Sie spricht für eine Gesellschaftsgruppe, die die Zeit der kommunistischen Diktatur nur noch vom Hörensagen kennt, die aber unter Bedingungen aufgewachsen sind, wo die alten Überzeugungen und Ideologien nicht mehr existieren und die Elterngeneration oft gar nicht weiß, wohin die Reise geht oder gehen soll.

 

Warum ist dieses Buch auch für ein deutschsprachiges Publikum relevant? Denkst du, dass deutsche Leser:innen die Passagen, in denen die Autorin von der Behandlung in deutschen Einrichtungen berichtet, als Dank sehen oder eher kritisch betrachten werden? Im Endeffekt wird Deutschland, mit seinem Gesundheitssystem und den gut ausgebildeten Ärzt:innen, im Buch als „die Normalität“ dargestellt. 

Für das deutschsprachige Publikum ist das Buch sicher in mehrfacher Hinsicht interessant und wichtig. Zuallererst erinnert es natürlich an ein tragisches Ereignis, das im Westen tatsächlich gar nicht oder nur am Rande wahrgenommen wurde. Obwohl es ja neben dem Ausmaß der Katastrophe und den vielen Todesopfern sogar zu Massendemonstrationen bis hin zum Rücktritt der Regierung in Rumänien geführt hat. Das Buch zeigt viele Facetten und Probleme, mit denen die rumänische Gesellschaft bis auf den heutigen Tag zu kämpfen hat, und die solche Folgen haben können. Damit werden auch Eindrücke und Einblicke von einer Gesellschaft im Umbruch vermittelt, von denen man im Westen noch immer fast gar nichts weiß. Die auf Deutsch verfügbare Literatur über Rumänien beschäftigt sich doch überwiegend mit der Zeit des Sozialismus, mit Ceaușescu und der Securitate und dergleichen mehr. Die jüngste Vergangenheit ist kaum ein Thema.

 

Welche Bedeutung hat Musik für die Autorin, und wie wird sie als Symbol für Hoffnung und Resilienz genutzt? 

Die Autorin spricht ja von der „Generation Underground“ und bezieht sich dabei auch auf die Musik. Das präferierte Genre ist Metal in seinen verschiedenen Varianten, also eine von vielen als sehr laut und brachial empfundene Musik. Dabei finde ich es interessant, dass ja dieser Stil in Osteuropa schon immer sehr politisch und gesellschaftskritisch war und weiterhin ist. Wenn die „Westrocker“ von Sex und Drugs und Rock’n‘ Roll sangen, dann ging es bei den „Ostrockern“ schon immer auch um gesellschaftliche Zustände und um die Einsamkeit des modernen Menschen. Der Gestus ist insgesamt – auch in seiner darstellerischen Ausgestaltung von Kleidungsstil und Cover-Art der Alben – eher düster und morbid und oft von einer gewissen Antihaltung gegenüber dem Establishment, den als „weichgespült“ empfundenen Produkten des Mainstreams, wie man sie im Fernsehen oder den Playlists der Eltern findet. Dabei ist die Musik niemals nur Musik, sondern Ausdruck einer bestimmten Überzeugung und (Protest-)Haltung.

 

Die Autorin bedankt sich in den sozialen Medien bei ihrem „empathischen Übersetzer“. Es ist großartig, wenn Schriftsteller:innen bewusstwird, wie sehr wir uns bei der Arbeit in ihr Werk hineinversetzen. Hattest du bestimmte sprachliche oder kontextabhängige Fragen? 

Es war mir eine große Ehre, als ich dieses Lob erhielt. Es gab natürlich die eine oder andere Frage, doch die Zusammenarbeit lief ganz fantastisch mit der Autorin. Aber natürlich war es auch eine ganz besondere Herausforderung mit diesem Buch, da es keine ausgedachte Story war, kein Fantasieprodukt einer besonders einfallsreichen Autorin. Hier ging es immer um das, was die Autorin am eigenen Leib erlebt und erlitten hat. Das spielte an ganz vielen Stellen eine Rolle und war bei der gesamten Arbeit an dem Text die Folie, auf der jede (sprachliche) Entscheidung getroffen wurde. Es gab verschiedene Leitmotive im Text, die in der deutschen Übertragung zunächst etwas unglücklich oder ungewöhnlich klangen, doch da fanden wir dann gemeinsam Lösungen. Zum Glück kann die Autorin auch Deutsch, was die Diskussion natürlich erleichtert hat.

 

Das Buch wurde auf der Frankfurter Buchmesse auch in englischer Sprache vorgestellt. Was war der Plan hinter der Veröffentlichung in beiden Sprachen? Sind Übersetzungen in weitere Sprachen geplant? Wie könnten kulturelle Unterschiede die Wahrnehmung und Interpretation des Buches in verschiedenen Ländern beeinflussen? 

Hinter der parallelen Veröffentlichung der beiden Übersetzungen lag kein bestimmter Plan. Wenn man sich mit einem Verlag zur Veröffentlichung entscheidet, dann weiß man nicht unbedingt, ob das Buch auch in andere Sprachen übersetzt wird, und wann das geschieht. Wir erfuhren, dass das Buch auch auf Englisch erscheinen und die Autorin zur Präsentation auf der Buchmesse sein würde. Deshalb hatten wir die deutsche Veröffentlichung ein paar Monate vorgezogen, um diese Gelegenheit zu nutzen. – Ich habe gehört, dass es auch aus anderen Ländern großes Interesse gibt, konkret weiß ich aber nicht, wie dabei der aktuelle Stand ist. – Im Hinblick auf die kulturellen Unterschiede beim Lesepublikum kann ich sagen, dass die Autorin die englische Version um manche Details ergänzt hat, um verständlich zu bleiben. Was dem rumänischen Publikum wohlbekannt ist, ist es nicht unbedingt auch für das deutsche. Ähnlich wird es sich sicher auch in anderen Ländern verhalten. Ich glaube allerdings nicht, dass es verschiedene Lesarten des Buches gibt, was mögliche Unterschiede in der Interpretation des Geschehens betrifft. Der Eine wird beim Lesen vielleicht bestätigend nicken, die Andere wird entsetzt den Kopf schütteln.

Alexandra Furnea, Peter Groth
Das Tagebuch der 66
Die Nacht, in der ich brannte
344 S., brosch.
ISBN: 978-3-910732-31-5
Dittrich Verlag, Weilerswist 2024


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Radu Pavel Gheo
Disco Titanic
Roman
aus dem Rumänischen von
Gundel Große und Miruna Bacali
574 S., brosch.
ISBN: 978-3-948156-83-1
Klak Verlag, Berlin 2024, 


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Erstellungsdatum: 10.12.2024