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Kunst | Musik | Bühne

Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“

Vom Regen in die Traufe?

Dass wir, wenn es um Gefühle geht, Analphabeten sind, muss ja nicht bedeuten, dass unsere Gefühle alphabetisierbar sind. Wer wollte Standardgefühle, die im Gefolge der Benennbarkeit entstehen, eintauschen gegen das Unsagbare, oft Unsägliche? Einst sprach man von der Verdinglichung der Gefühle, mit der nicht nur Hollywood Geschäfte machte. Ingmar Bergman hat in den frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Spannung zwischen Verständigung, Verständnis und Ratlosigkeit gestaltet. Martin Lüdke hat die „Szenen einer Ehe“ in Form eines Bühnenstücks im Schauspiel Frankfurt gesehen.

Nachruf auf Kris Kristofferson

Der wandelnde Widerspruch

Er verkaufte sieben Millionen Alben und war mit seinen Filmrollen sehr erfolgreich. Und doch oder vielleicht deshalb: Kris Kristofferson (1936-2024) war der wandelnde Widerspruch, wie es in einem seiner besten Lieder hieß. Musik drehte sich immer schon um Sex, auch im Country. Aber die freizügige, bekifft-unbeschwerte Spielart hielt in Nashville erst mit dem Texaner Einzug. Ein Nachruf auf den Songwriter und Schauspieler von Martin Wimmer.

Ottorino Respighis Oper „La Fiamma” in Berlin

Monumental frisst Emotion

Netto zwei Stunden Grauen, Geschrei, Getöse, Flammen und Eisnebel bei brutto zwei Stunden und zehn Minuten Spieldauer einer Oper sind selbst für passionierte und neugierige Musiktheaterfreaks zu viel. Bei der Premiere von Ottorino Respighis „La Fiamma“ in der Deutschen Oper Berlin schaltete sich zumindest Andrea Richters Gefühlsleben einfach ab und wartete aufs Ende der Katastrophe.

Euripides, Aischylos und Sophokles in Hamburg

Blindwütige Suche nach der Wahrheit

Die Tragödie stehe zwischen „Mythos“ und „Logos“, zwischen Ursprungsdenken und Metaphysik, schrieb in seiner „Kritik der Tragödie“ Wolfram Ette, damit stehe sie aber auch gegen beide. Vielleicht ist die frühe griechische Bühnenkunst deshalb unverwüstlich und ewig neu. Sie verhandelt unsere Probleme. In Hamburg hat die inszenierende Intendantin Karin Beier unter dem Titel „Anthropolis-Marathon“ fünf der klassischen Tragödien angeboten, die Walter H. Krämer alle gesehen hat.

Bachmann/Henzes „Der Prinz von Homburg“ in Frankfurt

Zwölfton-Belcanto

„In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“. Ausgerechnet am Abend der brandenburgischen Landtagswahl lauteten so die letzten Worte der ersten Premierenproduktion „Der Prinz von Homburg“ in der neuen Spielzeit der Oper Frankfurt. So wie das Bundesland mit einem Dilemma konfrontiert war und ist, ergeht es dem Titelhelden in Henzes Werk. Der Hauptunterschied zwischen Bühnen- und politischem Realtheater? Die Oper überzeugte in jeder Hinsicht und bescherte Andrea Richter große innere Bereicherung.

Saisonstart: Goethes „Faust“ (1 & 2) in Frankfurt

Das fängt ja gut an

Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft – das sagt sich so mephistophelisch leicht dahin. Doch wer weiß denn, was damit gemeint ist? Goethe hat den ersten volkstümlich-kritischen Teil des „Faust“, aber auch den visionären, weit ausgreifenden zweiten Teil mit paradoxen und aporetischen Sentenzen durchsetzt, die einem zu denken geben. Dass der gesamte „Faust“ für allfällige gesellschaftspolitische Interpretationen taugt, beweist, dass er nicht von gestern ist. Die Version, die jetzt in Frankfurt Premiere hatte, ist bei Martin Lüdke auf positive Resonanz gestoßen.

Ausstellung „Städel | Frauen“ in Frankfurt

Beruf: Künstlerin!

In den letzten Jahren bekommen die vergessenen Künstlerinnen der Kunstgeschichte zunehmend Präsenz in den Ausstellungsprogrammen. Allerdings kann dies nur unter forschendem Engagement seitens der Kurator*innen geschehen, ist doch vieles bislang unbekannt geblieben: Biografien müssen recherchiert, der Standort der Werke gefunden werden. Die Künstlerinnen dem Vergessen zu entreißen, ist Verpflichtung und Fleißarbeit. Einen solchen Forschungszwischenstand bietet das Städel Museum mit seiner Schau „Städel | Frauen. Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900“, die sich den Netzwerken der Künstlerinnen um 1900 widmet. Isa Bickmann hat sie besucht.

Punkrock DDR

Überschäumende Lebensfreude

Punk, der im Westen wirkte wie eine Einbrecherbande, die die Wohnungseinrichtung zertrümmert, sonst aber für das etablierte gesellschaftliche Gefüge keine Gefahr darstellte, wurde in der autoritären DDR in den Rang eines Staatsfeindes erhoben. Die provozierende Lebensfreude wurde auf diese Weise selbst politisch. Henryk Gericke, einst an der Ostberliner Kultur-Opposition beteiligt, hat ein Buch darüber geschrieben und für TEXTOR klärende Informationen zur Verfügung gestellt.

Zum Tod Rebecca Horns

Nur erschöpft

Elegant, poetisch, zwiespältig und konzeptuell zugleich sind die Werke Rebecca Horns, deren international ausgezeichnetes Œuvre an die wichtigsten Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts anschließt. Am 6. September 2024 ist die im hessischen Michelstadt geborene Künstlerin im Alter von 80 Jahren gestorben. Ihr Schwerpunkt lag auf Skulpturen und Installationen, sie schuf aber auch Filme, Gedichte und Zeichnungen. Ursula Grünenwald erinnert an ihr Schaffen.

Gespräch mit Karola Gramann und Heide Schlüpmann über Alice Guy

Falling Leaves

Die Filmwissenschaftlerin Karola Gramann verabschiedet sich nach 25 Jahren von der Kinothek Asta Nielsen mit einer persönlichen Auswahl besonderer Schätze der Filmgeschichte in Frankfurt vom 12. bis 15.9. und in Berlin am 1. und 2.11.2024. Als Hommage an sie bringen wir ein Gespräch, das Isa Bickmann mit ihr und der Kinothek-Mitgründerin und Filmprofessorin Heide Schlüpmann 2012 über die Filmpionierin Alice Guy führte, deren Film „Falling Leaves“ aus dem Jahre 1912 auch im Abschiedsprogramm gezeigt wird.

Vor 15 Jahren starb Pina Bausch

Was Menschen bewegt

Die Ursache des Konflikt auf die Tutu-Fraktion der konservativen Ballett-Liebhaber abzuschieben, wäre zu einfach. Was Pina Bausch in Wuppertal ins Werk setzte, war ein Angriff auf das Selbstverständnis der Kategorie Ballett, die Ersetzung der formalisierten Choreographie durch eine permanent sich weiterentwickelnde, emotionalisierte Körpersprache. 15 Jahre nach ihrem Tod haben viele Kollegen von ihr gelernt, – ob sie’s wissen oder nicht. Walter H. Krämer erinnert an die große Tänzerin und Choreographin.

Frauen und Musik in Afghanistan

Wo man singt, da lass dich nieder….

Dass Singen und Spielen keine harmlosen Lebensäußerungen sind, hat nicht nur die katholische Kirche immer wieder bestätigt. Betroffen von den Einschränkungen und Verboten des Musizierens waren besonders, und das vor allem in der Gegenwart, die Frauen. In Afghanistan, wo seit 2021 wieder die radikal-islamistischen Taliban herrschen, gehört das Musikverbot zu den Instrumenten der totalen Unterdrückung. Clair Lüdenbach skizziert die Geschichte.

Der Fotograf Alexander Paul Englert

Die alltägliche Normalität

Als sich die Fotografie in der Gesellschaft durchsetzte, sahen sich die Maler der realistischen Kunst ihrer Kompetenz beraubt. Zu unrecht. Die Lichtbildner ihrerseits versuchten, neben den dokumentarischen auch die kunstmalerischen Möglichkeiten in das neue Medium zu übertragen. Heute durchdringen sich Realismus und Bildgestaltung zumeist. Alexander Paul Englert sieht seine Kunst in der unspektakulären, intuitiven Erfassung der Möglichkeiten, die die Situation anbietet. Doris Stickler porträtiert den Fotografen.

Der Theatermann Willy Praml wird 83

Das Schwierige gewagt

„To play or not to be" – so darf man wohl das Lebens- und Arbeitsmotto des Theatermenschen Willy Praml verstehen. In der hessischen Theaterlandschaft ist der in Niederbayern geborene Willy Praml eine feste Größe. Seit 1971 macht er Theater: Zunächst mit Aufsehen erregenden Inszenierungen mit Jugendlichen und Laien. Später mit dem 1991 gegründeten Theater Willy Praml. Walter H. Krämer macht auf den Jubilar aufmerksam.

Betrachtungen nach Wolfgang Rihms Tod

Jetzt trocknet die Tinte

Bevor er als 16-Jähriger Kompositionsunterricht nahm, hatte er sich schon mit Streichquartett und Streichorchester ausprobiert. Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geriet Wolfgang Rihm zehn Jahre später mit seiner Kammeroper „Jakob Lenz“, in der alte und neue Musik gleichberechtigt nebeneinander stand. Er war ein gefragter, weltberühmter und beliebter Komponist; seine überbordende Werkliste zeigt den rastlos Schaffenden. Achim Heidenreich beschreibt seine Arbeitsweise.

Komische Oper Berlin im Schillertheater

Stoppen Sie diese Schande!

Die Komische Oper gehört in Berlin zu den Musikhäusern, denen der Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne hinsichtlich Repertoire und Präsentation gelungen ist. Noch dazu erreicht sie besonders wirksam ein breitgefächertes Publikum. Nun soll die Oper möglicherweise dauerhaft ins Schillertheater verlegt werden. Dagegen hat Barrie Kosky, ehemaliger Intendant und Chefregisseur der Berliner Bühne, mit einem offenen Brief protestiert. Andrea Richter beschreibt die Situation.

„Unmögliche Verbindung“ in Bregenz

Wie, schon zu Ende?

Die Bregenzer Festspiele sind bekannt für ihre Opern- und Operettenspektakel auf der Seebühne. Dass es dort auch eine Werkstattbühne nebenan gibt, auf der Zeitgenössisches uraufgeführt wird, ist weitgehend unbekannt. Ende Juli 2024 kam dort das Musiktheaterwerk „Unmögliche Verbindung“ des tschechischen Komponisten und Dirigenten Ondřej Adámek mit dem Ensemble Modern zur Uraufführung, das Andrea Richter auf eine emotionale und kurzweilige Achterbahnfahrt mitnahm.

Wim Wenders und das Kino der 1980er Jahre

Der Reisende und der Schneider der Zeit

1982 hat Wim Wenders im Zimmer 666 des Hotels Martinez in Cannes seine Regisseur-Kollegen versammelt, um ihnen Fragen zur Zukunft des Kinos zu stellen. Dass dabei immer wieder die wahrhaft dialektische Entscheidung ins Zentrum rückte, ob der Film die Wirklichkeit schafft oder als Produkt der Realität aufscheint, ist angesichts der Wirkmacht des Kinofilms nicht verwunderlich. Ulrich Breth reflektiert die Ideengeschichte, die sich in den Aussagen der Dokumentation spiegelt.

CD-Besprechung

Fern jeder Beliebigkeit

Zwischen Spark und Bird hat es gefunkt. Das Kammermusik-Ensemble, das sich selbst als klassische Band bezeichnet, und die irische Singer-Song-Künstlerin Wallis Bird haben ein großartiges, überraschendes Album eingespielt: „Visions of Venus“. Der Titel ist Programm. 18 Stücke von Komponistinnen aus nahezu einem Jahrtausend. Bestechend sind neben der Auswahl der Stücke die Arrangements und vor allem das hohe künstlerische Niveau, in dem sich vermeintlich Unzusammengehörendes von Epochen, Stilen und Genres vereinen, meint Andrea Richter.

Literarische Meditation

Zwischen Bach und Casals

In seinem jüngsten grandiosen Roman „No te veré morir“ (Seix Baral) verweist Antonio Muñez Molina wiederholt auf die Musik von Johann Sebastian Bach – insbesondere auf seine Cello-Suiten – sowie auf den legendären Cellisten Pablo Casals, der vor 50 Jahren verstorben ist. Die Monatszeitschrift Tinta Libre bat den Autor um eine literarische Meditation über diese Musik, und Claudia Gehricke übersetzte den Beitrag aus dem Spanischen für Textor.

Theater für Kinder

Vogel anderswo

„Zuhause und Anderswo“ waren die  ersten Gedanken von Stephan Wolf-Schönburg, als er ein Stück über Flucht für Kinder entwickeln wollte. Eben nicht zuhause zu sein, sondern anderswo und in den Augen der Anderen von anderswo zu kommen. Wie kann das Trennende überwunden und zum Verbindenden werden? Ein zentrales Element war für ihn von Anfang an, die Sprache des Anderen, des Ankommenden, des von wo anderswo Seienden, denen, die ein Zuhause haben, näherzubringen. 

Leben und Tod von Otto Freundlich

Farbkasten im Küchenherd

Otto Freundlich war Maler, Bildhauer und Autor, einer der ersten Künstler der Abstraktion, Jude, Kommunist und Kosmopolit. 1908 zog er nach Paris ins Bateau-Lavoir, wo er sich mit Picasso, Braque, Gris und Apollinaire befreundete. Unter der Vichy-Regierung musste er fliehen, wurde mehrfach verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Johannes Winter ist seiner Geschichte nachgegangen.

Gespräch über „Cloud Walks"

Zwischen der Kunst und den Wolken gibt es eine Wahlverwandtschaft

Gerhard Lang untersucht Wahrnehmung mit bildlichen und performativen Mitteln. Isa Bickmann hat mit dem Künstler über seinen New Yorker Wolkenspaziergang, über das Erfahren des Stadtraums mittels des Rückwärtsgehens mit einem Claude-Lorrain-Spiegel, den L'intervento minimo (kleinstmöglichen Eingriff) und die Vorzüge des Schwarz-Weißen korrespondiert.

12-teilige ARTE-Serie

Die Mafia tötet nur im Sommer

In der Mediathek des Fernsehsenders ARTE ist derzeit die bemerkenswerte 12-teilige Serie „Die Mafia tötet nur im Sommer“ zu finden. Auf der erzählerischen Oberfläche der Geschichte einer fiktiven kleinbürgerlichen Familie in Palermo wird ein bedrückendes Thema abgehandelt: Die sehr realen Machenschaften der Cosa Nostra, ihres Einflusses auf die Stadt und ihre Menschen in den Jahren 1979/80. Die Serie war bei ihrer Ausstrahlung 2013 auf RAI -TV in Italien ein Renner. Sehr sehenswert findet Andrea Richter sie heute noch.

Zur Musik von Ernstalbrecht Stiebler

Achte auf die Stelle unter deinen Füßen

Ernstalbrecht Stiebler, der im Juni 2024 gestorben ist, war eine der letzten Persönlichkeiten der musikalischen Nachkriegsavantgarde. Der Komponist und hr-Redakteur gehörte zu den profilierten Komponisten, die in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts an Arnold Schönberg und Anton Webern sowie an Karlheinz Stockhausen anknüpften, um dann ein eigenes, radikales Musikdenken zu entwickeln. Stefan Fricke, einer der Nachfolger Stieblers in der Redaktion der Neuen Musik des Hessischen Rundfunks, beschreibt sein musikalisches Denken.

Ausstellung im Kunst Archiv Darmstadt

Helga Föhl

Die Bildhauerin Helga Föhl (1935–2022) vermachte noch zu Lebzeiten ihren Nachlass dem Kunst Archiv Darmstadt. Dort ist nun ein Teil ihres Schaffens in einer großen Einzelausstellung zu sehen. Es handelt sich um die letzte Ausstellung, die Claus K. Netuschil, der Gründer und langjährige Vorstandsvorsitzende des KAD, organisiert hat. Im letzten Monat hat er seinen Vorstandsposten an ein neues Team abgegeben. Kenneth Koark hat sich die Ausstellung angesehen.