Ausstellung RrOMA LEPANTO bei Kai Dikhas in Berlin
Eine Ausstellung von Kai Dikhas in Berlin erzählt die historische Seeschlacht von Lepanto aus der Perspektive der Roma neu und lädt dazu ein, genauer hinzusehen. Die ursprünglich auf der Biennale Venedig gezeigten Werke der beteiligten Künstler*innen wollen einen Diskurs über die (Un-)Sichtbarkeit und Anerkennung der Beiträge der Roma zur europäischen Geschichte und Gesellschaft initiieren. Noch bis Ende Mai ist die Gemeinschaftsausstellung in Kreuzberg zu sehen. Cornelia Wilß berichtet.
Im Eingangsbereich der Berliner Stiftung Kai Dikhas empfängt den Gast eine großflächige Collage, gestaltet von Luna De Rosa, Aktivistin und Multimedia-Künstlerin aus der Roma-Diaspora. Umrahmt von ikonischer Symbolik um die Schlacht von Lepanto, ausgetragen zwischen der Heiligen Allianz und dem Osmanischen Reich im Jahr 1571, fügt sich der Schriftzug RʳOMA LEPANTO in die Struktur der Gewebeschicht ein. Durch die Verwendung von Bildern, Fäden und Collagen versucht Luna de Rosa einen visuellen Ort zu schaffen, um die Geschichte der Schlacht von Lepanto aus der Perspektive der Roma* anders zu erzählen. Denn inmitten der religiösen und politischen Spannungen jener Zeit gerieten Minderheitengruppen, darunter auch die Roma, oft ins Kreuzfeuer oder wurden vergessen. So auch die versklavten Gitanos aus Spanien und Roma aus Italien, die zum Rudern auf Galeeren in der blutigen Schlacht zu See gezwungen wurden. Viele Stockwerke höher, über den Dächern Kreuzbergs, im Obergeschoss des Aufbau Hauses am Moritzplatz setzen sich auch die anderen an der Ausstellung beteiligten Künstlerinnen Manolo Gómez Romero, Dariya Kanti, Damian Le Bas, Brunn Morais, Girolamo Porro, Alfred Ullrich und Kálmán Várady auf ihre Art und Weise mit den Schatten der Vergangenheit auseinander.
Die blutige Seeschlacht von Lepanto fand am 7. Oktober 1571 im Ionischen Meer vor der Westküste Griechenlands statt. Folgt man den Chroniken, so war das Toben auf dem Meer zwischen dem Osmanischen Reich und den spanischen Habsburgern um die Vorherrschaft eine überaus grausame Angelegenheit. „Das große Toben … dauerte knapp vier Stunden und war so blutig und entsetzlich, dass das Meer und das Feuer eins zu sein schienen. Die Kunde vom Ausgang der Schlacht mit dem Sieg der katholischen Liga über die mächtige Flotte des Osmanischen Reiches verbreitete sich 1571 in ganz Europa.“, so berichtete ein Chronist von der Seeschlacht bei Lepanto – der mit 140.000 Beteiligten wohl größten Galeerenschlacht der Geschichte. Das christliche Abendland war erfolgreich verteidigt – ein Mythos geboren. Aber das ist eine andere Geschichte.
Die Nachricht über den triumphalen Sieg der Heiligen Liga verbreitete sich damals in Windeseile in Europa. In Venedig – und wohl erst recht in Rom – sollen drei Tage und drei Nächte lang sämtliche Kirchenglocken der Stadt ununterbrochen geläutet haben. Venedig ist bis auf den heutigen Tag stolz auf diese Geschichte. Gerade hat es den 450. Jahrestag seines Sieges gefeiert. Alljährlich am 7. Oktober findet in der Basilika Santi Giovanni e Paolo eine Gedenkfeier zu Ehren der Rosenkranzmadonna statt, um an die siegreiche Schlacht von Lepanto zu erinnern.
Kuratiert von Moritz Pankok und Miguel Ángel Vargas Rubio, einem spanischen Künstler mit andalusischen Gitano-Wurzeln, wurde RʳOMA LEPANTO erstmals in Venedig anlässlich der 60. Internationalen Kunstausstellung der Biennale de Venezia 2024 Stranieri Ovunque – Foreigners everywhere gezeigt. Mit großem Erfolg – mit 135.000 Besucher*innen war sie die meistbesuchte Ausstellung von Kai Dikhas.
Der Ausstellungsort war bewusst gewählt worden: Sie fand im Palazzo Bembo nahe der Rialto Brücke statt; Giovanni Bembo war ein venezianischer Patrizier, der in der Schlacht von Lepanto als sopracomito di galera (Kommandant) dreier Galeeren diente. Nun also waren „die Roma“ in seinem Palast angekommen.
Angelegt an die Feierlichkeiten zu Ehren der Rosenkranzmadonna zeigte das Ausstellungsteam eine performative Intervention, die als eine Prozession durch die Gassen Venedigs inszeniert wurde und in den Ausstellungsräumen bei Kai Dikhas nachzuvollziehen ist. Im getragenen Schritt bewegt sich die Prozession zu der Komposition Virgen de Valle von Vicente Gómez-Zarzuela y Pérez durch die Gassen Venedigs. Getragen wird eine Installation in Form eines andalusisch/sevillanischen Paso mit einer Kunstfigur aus der Reihe „Gypsy Warriors“, gestaltet von dem in Köln lebenden Künstler Kálmán Várady. Gypsy Warriors – das lässt sich hier deuten als die vergessenen Roma-Krieger der Schlacht von Lepanto. Ihre Gestalten bestehen aus von dem Künstler bearbeiteten Heiligenfiguren, die über und über mit Objekten behängt sind.
Wie kam die Ausstellung zustande, frage ich Moritz Pankok im April 2025 in Berlin? „Das erste Mal hörte ich das Gerücht, Roma seien an der Seeschlacht beteiligt gewesen von dem Künstler Alfred Ullrich im Jahr 2020, als er über ein Kunstwerk nachdachte. Dann begann eine lange Spurensuche: Denn was aus der allgemeinen Überlieferung der Sieger eben getilgt wurde, ist, dass mehrere hundert Ruderer der venezianischen und spanischen Galeeren Roma, Gitanos aus Spanien und Roma aus dem Vatikanstaat waren. Man zwang sie, auf den Galeeren zu rudern. Es ist also auch ihrer Kraft zu verdanken, dass die Heilige Allianz die Schlacht gewinnen konnte. Es gibt sowohl in Spanien als auch im Vatikanstaat einige Aufzeichnungen, sowohl in Form von Dekreten des spanischen Königs Philip II. als auch von Papst Pius V., die das belegen. Im letzteren Falle halfen uns Quellen, die der Komponist Santino Spinelli in Italien fand. Tatsächlich war die Internierung der Gitanos in Spanien die erste rassistische Verfolgung und lieferte die Blaupause für spätere Wellen der Verfolgung dort.“
Kämpften die Roma auch auf Seiten der Osmanen? „Ja, das hat uns der Wissenschaftler in Romani Studies und Traveller, Dr. Adrian R. Marsh, der lange in Istanbul lebte, im Rahmen unserer Konferenz am 7. Oktober 2024 berichtet. Wie in modernen Kriegen, beispielsweise im ehemaligen Jugoslawien, fanden sich also schon damals Roma auf beiden Seiten wieder.“
Moritz Pankok erwähnt aus kuratorischer Sicht, dass die Schlacht von Lepanto ein frühes Medienereignis war. Warum? „Zur Zeit der Schlacht war Venedig das europäische Zentrum für den Druck und die Veröffentlichung von Büchern, in denen die türkischen Feinde in vielen Fällen als monströs und böse dargestellt wurden. Auch diese frühe Version der Massenmedien war von hegemonialer Macht geprägt. Die rassistischen Darstellungen liegen auch dem aktuellen Antagonismus, dem Minderheiten wie die Roma noch heute ausgesetzt sind, zu Grunde.“
RʳOMA LEPANTO will sein europäisches Publikum ausdrücklich mit seiner Vergangenheit konfrontieren. Die Ausstellung knüpft an frühere Erfolge in der Präsentation der Kunst der Sinti und Roma auf den Biennalen in Venedig an. So seien Sinti und Roma ein Teil von Venedig, der Biennale von Venedig und von Europa und seiner Geschichte, betont Moritz Pankok, der schon die nächste Biennale Venedig 2026 im Kopf hat: „Mit RʳOMA LEPANTO ist die Forderung der Künstler*innen, unserer Stiftung, aber auch von Roma Organisationen aus ganz Europa, wie auch dem Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg verbunden – nach einer permanenten Präsenz von Roma Kultur in Venedig während der Biennalen, aber auch darüber hinaus. Wir fordern einen ,ROMA PROJECT SPACE VENICE' als Ersatz für einen nationalen Pavillon, den einer nicht als Staat organisierte Minderheit laut der Statuten der Biennale nicht zusteht. An der Realisierung dieser Forderung werden wir in den kommenden Jahren arbeiten. Wir glauben, dass es eine sehr zeitgemäße und erfolgreiche Ergänzung der Biennale sein wird.“
Am 16. Mai ist anlässlich des Tages des Roma Widerstandes um 19.00 Uhr ein Artist Talk mit dem Künstler Alfred Ullrich in der Ausstellung.
RʳOMA LEPANTO ist ein Projekt der Stiftung Kai Dikhas (https://kaidikhas.com/exhibitions) in Zusammenarbeit mit ERIAC (European Roma Institute for Arts and Culture) (https://eriac.org/), dem Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma (https://dokuzentrum.sintiundroma.de/ ) und ECC (European Cultural Centre Italy) (https://ecc-italy.eu/).
Erstellungsdatum: 16.04.2025