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Ein Porträt des Dichters Muepu Muamba

Afrika trägt viele Masken

Cornelia Wilß


Muepu Muamba. Foto: Alexander Paul Englert

„Die Pflicht zur Einmischung”, der Titel eines Buches des kongolesischen Dichters Muepu Muamba, geht auf ein gleichnamiges Gedicht zurück, in dem er eine Utopie des menschlichen Zusammenlebens entwirft. Diese wird sich jedoch erst dann in Realität verwandeln, wenn Einmischung zur Pflicht erhoben wird. Cornelia Wilß stellt Leben und Werk des Dichters vor, der seit Ende der 1980er-Jahre in Frankfurt lebt.

Nächte des Taumels

Als sich Belgisch-Kongo 1960 von dem Kolonialregime Belgiens befreite und sich Licht am Horizont des geschundenen Landes zeigte, war der Dichter Muepu Muamba, der in Kinshasa aufwuchs, gerade einmal vierzehn Jahre alt. In den Nächten des Taumels, wie er rückblickend schreibt, träumte die Jugend damals von einem besseren Morgen – und wurde doch bitter enttäuscht. Die Hoffnung ruhte zunächst auf Patrice Lumumba, der erste verehrte Premierminister des neuen Kongo (heute Demokratische Republik Kongo).

Afrika in eigener Sache

Nach dem Erscheinen des Novellenbandes Ventres Creux (dt. leere Bäuche) kam der junge Verleger und Autor in Konflikt mit den Schergen des korrupten Regimes des Sese Seko Mobutu, der das Land seit der Unabhängigkeit nach mehrjährigen innenpolitischen Konflikten 32 Jahre diktatorisch regierte. Im Oktober 1977 wurde Muepu Muamba von der Frankfurter Buchmesse eingeladen, er blieb ein Jahr in Deutschland und arbeitete mit dem Autor Jochen R. Klicker und dem Fotografen Claude Paysan an dem damals viel beachteten Band Afrika in eigener Sache – Unter dem Baobab gesprochen. Das Buch erschien 1980 im Peter Hammer Verlag, Leiter war damals Hermann Schulz, der sich auf Literatur aus Afrika und Lateinamerika spezialisiert hatte. In dem Band finden sich zehn Essays zur Vergangenheit und Zukunft des afrikanischen Kontinents, so benannte „Wimpernschläge der Realität“. In seinen Gedanken zur bildenden Kunst schreibt Muamba etwa über die Deutung und Bedeutung von Masken in Afrika: „Der Künstler lebte von der Wichtigkeit, die ihm die Mythologie verlieh, die er wiederum durch seine Kunst vergegenwärtigte. Wenn er beispielsweise eine Maske schuf, brachte er damit das Glück, die Macht, die Fruchtbarkeit, das Unglück, die Freude, den Fluch, Kunstwerk kein neutrales ästhetisches Objekt, sondern eine Stellungnahme.“ Und weiter heißt es in dem Text, der viel von der aktuell geführten Diskussion über Kunst in und aus Afrika im Spiegel de-kolonialer Diskurse vorwegnimmt: „Afrika trägt viele Masken; man muss durch sie hindurch, um Weite und Tiefe zu erfahren. Andernfalls tut sich nur Leere auf. Afrika versteht es sehr gut, sich mit seiner Wirklichkeit hinter Masken zu entziehen. Auch die Kolonisatoren, die Jahrhunderte bei uns gelebt haben, verstanden nichts von Afrika. Sie waren davon überzeugt, den Kontinent mit wissenschaftlicher Gelehrsamkeit erklären zu können. Aber niemals haben sie eine afrikanische Maske aufgesetzt, um in Afrika einzudringen. So haben sie es nie zähmen können.“


Muepu Muamba, Foto: Alexander Paul Englert

 

Im Jahr 1979 veranstalteten die Berliner Festspiele unter der Leitung von Jochen R. Klicker, und Gereon Sievernich das erste Horizonte – Festival der Weltkulturen. Die Initiatoren beteuerten damals, sich mit dem kulturellen Reichtum des Globalen Südens auseinandersetzen zu wollen. Das erste Festivaljahr – drei weitere sollten folgen – war der Kunst aus Afrika gewidmet. Einer der Gäste war Muepu Muamba, der das Festival angeregt hatte. Er äußerte in Berlin damals scharfe Kritik am korrupten Mobutu-Regime und prangerte die Zensur an, die öffentlich ausgesprochene Kritik im Keim erstickte. Seine Äußerungen blieben nicht ohne Wirkung. Sie läuteten den Beginn seines noch immer währenden Lebens im Exil ein. Freunde hatten ihn gewarnt, er würde enorme Schwierigkeiten bekommen, wenn er zurückkehrte, und … er ging nicht mehr zurück in den Kongo. Aber er wollte in Afrika ein Land finden, das ihm Asyl gewährte. Vergeblich. Seine Odyssee dauerte fünf Jahre, bis er 1984 endlich in Paris (!) den Status des politischen Flüchtlings erhielt. Jahre später zog er gemeinsam mit seiner Frau Maria Kohlert-Németh, die als Kulturwissenschaftlerin arbeitete, nach Frankfurt am Main. Bis heute ist er nicht mehr in den Kongo gereist.

 Von der Pflicht, sich einzumischen

Muepu Muamba schreibt auf Französisch, die meisten seiner Gedichte hat Maria Kohlert-Németh ins Deutsche übertragen. Im Jahr 1988 veröffentlichte er im Heidelberger Verlag Kivouvou in der Reihe Éditions Bantoues 1988 einen Band mit dem programmatischen Titel "Devoir d’ingérence – Pflicht zur Einmischung". Der Klappentext deutet auf das spätere literarische Werk des Autors. Darin ist von Schmerz und Trauer die Rede und ein Erinnern an die Verantwortung des Menschen gegenüber anderen Menschen, denn allzu oft führe die Überhöhung des einen Menschen zur Missachtung des menschlichen Gegenübers. Und das führe zwangsläufig zu Grausamkeit.

 

Pflicht zur Einmischung
an Mavuba
 

Eines Tages
vielleicht morgen
wird Leben sich befruchten
auf der ganzen Erde
aus der Liebesumarmung
Es wird keine
    inneren Angelegenheiten mehr geben
    Zärtlichkeit wird
    M e n s c h und S t a a t
    T o t e n v ö g e l
    von ihrem Sockel stoßen
    das Recht auf Einmischung
    wird zur universellen Pflicht erhoben
    Leiden diese Trübsal die sich
    frisch-fröhlich um uns auftürmt
    endlich entfernt
dann erst wird unsere Welt
    m e n s c h e n – w ü r d i g erstehen

Eines Tages
vielleicht morgen
wird Brüderlichkeit die Zahlung
aller auf den Garten den Herzens
ausgestellten Wechsel einfordern
die Grausamkeit muss notgedrungen
ihre schreckliche Blutschuld begleichen
Es wird keine
    äußeren Angelegenheiten mehr geben
    die Feuerwolke der Liebkosungen
    wird Gleichgültigkeit diesen
    Grabgesang der Seele
    von ihrem Sockel stoßen
    zugunsten der Hilfsbereitschaft
    Den Völkern in Gefahr
    nicht gewährter Beistand
    wird als unsühnbares Verbrechen gelten
dann erst hört Leben auf
    den widerlichen bitteren
    den Aschengeschmack zu haben.

Paris, 24. Januar 1986

Übersetzt aus dem Französischen von Maria Kohlert-Németh.

 

 Devoir d’ingérence

à Mavuba
Un jour
demain peut-être la vie se fleurira de
l’étreinte de l’amour sur la terre
entière
il n’y aura plus d’affaires intérieures
La tendresse chassera l’homme
et
L’état oiseaux mortuaires de leur
piédestal le droit d’ingérence
deviendra un devoir universel la
souffrance cette désolation qui
s’amoncelle allègrement autour de nous
enfin éloignée alors seulement notre
monde rejaillira pro-homme
un jour
demain peut-être la fraternité exigera
le paiement de toutes les traites
tirées sur le jardin du cœur la
cruauté devra forcément s’acquitter de
sa terrible dette de sang il n’y aura
plus d’affaires étrangères la nuée de
caresses chassera l’indifférence cette
oraison funèbre de l'âme
de son piédestal au profit de la
sollicitude
la non-assistance aux peuples en danger
deviendra un crime inexpiable
alors
seulement la vie cessera d’avoir ce
goût répugnant d’amertume et
de cendre.
 
Paris, le 24 janvier 1986

 

Jahre später erschien in der Anthologie Sisyphos im Lärm der Stille – 2012 im Draupadi Verlag, der von Christian Weiß geleitet wird, eine Auswahl von Texten aus den Jahren 1973 bis 2008, herausgegeben von der Übersetzerin und Publizistin Barbara Höhfeld. Gleich zu Anfang des Bandes ist ein bemerkenswerter Brief des aus Kamerun stammenden Schriftstellers Patrice Nganga, der heute in den USA lebt und arbeitet, an den Freund Muepu, abgedruckt. Nganga erzählt in dem Brief, wie er in seiner Frankfurter Zeit Muepu Muamba als einen „Afrikaner“, aufrechtstehend und lesend in einer Straßenbahn kennenlernt. Tief beeindruckt begann Nganga, das Gespräch zu suchen; sein Brief ist eine Hommage an den Weggenossen. In Muambas Gedichten bräche sich der „vulkanische Schmerz des Planeten Bahn“, heißt es in dem Text. Er habe von ihm, Muepu Muamba gelernt, dass Schriftsteller sein, heiße, ein Ohr zu haben, eher noch als eine Feder und zuzuhören, um den sehnsuchtsvollen Schmerz der Welt herauszuhören.

Muambas Gedichte lesen sich nun jedoch keineswegs nur als Wut-Reden oder als Hieroglyphen des Schmerzes. Nein, nicht nur ein gespannter Abzug am Revolver sei Afrika, wie es Frantz Fanon sagte, meint der Dichter. In Mein Land O zeigen sich die Konturen eines anderen lebendigen Kosmos: 

 

Mein Land O

an Nani de Vries

 

                                  Nein             
Nicht nur ein gespannter Abzug am Revolver Afrika ist meine
wellige Heimat ich komme aus dem Wasserland von Früchten
überladen wie ein lachender Garten und Träume zieht mein Herz hinter sich her die unaufhörlich hoffnungsvoll Wellen schlagen mein

gefangengenommenes Land

                                 einst war

Zaïre ein Kind der muszierenden Bäume von träumerischem Wasser bedeckt mein

Land O wie die doppelte feenhafte Mondsichel der Zärtlichkeit dort wuchs das
Lachen aus Blütenkronen wie die Verführung
der Freude am Vagabundieren

                                   aber
heute ist mein Land aufs letzte Hemd ausgeplündert ein Kind des Elends
wie könnte ich euch von den zauberhaften Verwandlungen meines alten
unzähmbaren Landes erzählen wo doch in jedem Augenblick die Farbe des
Todes Tränen und Trauer über sein azurblaues Bett ergießt
                                   diese
Landschaft der Zärtlichkeit vielleicht kann ich noch einmal euch vom
Göttlichen Zauber des Munkamba und vom stolzen Blick des Kivu
erzählen mein Wasserland Glanzlichter der Flüsse die sich nach
Liebkosungen sehnen mein Wasserland eine Unendlichkeit
von fröhlichen Flüssen und samtigen Bächen
                                    noch
ist der feenhafte Gesang der Quellen nicht versiegt
deshalb kann ich nicht anderswo sein ich
der so lange woanders lebte mein Land O.
 
                                                                                              Amsterdam, 15. April 1990
 
Übersetzt aus dem Französischen von Maria Kohlert-Németh
 
 
Ma Terre D’O 
à Nani de Vries
 
                                           Non
ce n’est pas seulement une gâchette en attente sur le
revolver afrique mon pays onduleux je viens de la terre
d’ e a u  fruitée comme un riant bocage et mon cœur traîne
des vagues de rêves qui prennent sans cesse l’espoir
d’assaut ma terre forclose
 
                                            le
zaïre était jadis natif des arbres musiciens couvert d’eau
songeuse ma terre d’O comme ce double croissant féerique
de tendresse le rire y poussait de corolles de fleurs
semblable à la séduction de plaisir bohème
 
                                             mais
aujourd’hui mon pays likuta démonétisé est natif de la
misère comment pourrais-je vous conter les
métamorphoses enchanteresses de ma vielle terre
d’insolence quand le coloris de la mort à chaque instant
répand les larmes et le deuil sur son lit d’azur
 
                                               ce
paysage de douceur un jour peut-être parlerai-je de
l’envoûtement divin de munkamba e du regard fier de
kivu ma terre d’eau reflets de fleuves qui aiment les
caresses fines ma terre d’ e a u  une infinité de rivières
joyeuses et de ruisseaux onctueux
 
                                               les
sources n’ont pas encore tari de leurs mélodies aérinnes
voilà pourquoi je ne puis être vraiment d’ailleurs moi qui
ai tant vécu ailleurs m a  t e r r e  d’ O.
 
                                                   Amsterdam, le 15. Avril 1990
 
(Aus dem Band: Et si...Und wenn…Lyrik muepu muamba grafik claudia, Edition Workshop Kultur, Gladbeck 1999)

 


Muepu Muamba, Foto: Alexander Paul Englert

Moyo! Der Morgen bricht an 

So der Titel der ersten deutschsprachigen Anthologie kongolesischer Schriftsteller*innen, die 2013 im Brandes & Apsel Verlag erschien. Muepu Muamba wollte anhand einer Auswahl von Texten kongolesischer Autoren und Autorinnen ein „anderes Bild vom Kongo entwerfen“. Er wollte, dass der Kongo sich selbst erzählt – unmittelbar, vielstimmig, unverstellt und ungebändigt: stürmisch wie unsere großen Flüsse, wie er in seinem Vorwort schrieb. Die Regierenden von heute hätten die Bedeutung von Kultur vergessen. „Nur sie erlaubt uns, ein Bild von uns selbst zu schaffen, anstatt die Zerrbilder von außen zu übernehmen.“

Moyo heißt in mehreren afrikanischen Sprachen "Herz": der Sitz der Lebenskraft, des Gefühls aber auch des Verstandes und der Weisheit. „Moyo ist ein wanderndes Wort – wie ich selbst, wie viele Kongolesen und Afrikaner in diesen Zeiten. … Wenn ich diesem Buch den Titel Moyo gebe, schrieb Muepu damals, grüße ich somit meine Freunde von Herzen, die ich während meiner Wanderungen in den Jahren des Exils hier in Deutschland gefunden habe. Denn der Mensch ist seinem Wesen nach keine Wüste, sondern ein Baum, der wandert, sich aufmacht, mit seinen Worten als Wurzeln, um anderswo heimisch zu werden, mit anderen etwas Neues zu schaffen….

Die DR Kongo wird hierzulande oft als unregierbares Land dargestellt, erschüttert von der Sinnlosigkeit von Kriegen und der Gier von Hasardeuren in den rohstoffreichen Gebieten im Osten der DR Kongo, in den Provinzen Kivu und Katanga.

Muepu Muamba ist ein Schreibender und ein Denkender, einer der sich einmischt, z.B. als Vorsitzender des Vereins „Dialog International“ (http://www.dialog-international.org/), ein transkulturelles Projekt von Menschen aus Deutschland und dem Kongo, für Frieden, Menschenrechte und Bildungsprojekte. Gemeinsam mit Gleichgesinnten, die seine Wege kreuzten, hat er in Frankfurt die weithin beachteten Filmtage Africa Alive Festival (www.africa-alive-festival.de) mit initiiert und geprägt und so neue Akzente im Kulturleben Frankfurts gesetzt. Am neunten Oktober 2022 erhielt er den Buchpreis der 11. Frankfurter Immigrationsmesse, die sowohl eine Literaturveranstaltung ist, als auch eine Veranstaltung zur Interkulturalität und die seit 2010 veranstaltet wird. Muamba widmet den Preis in seiner Dankesrede jenen, die sich aufmachen, auf der Suche nach Frieden, Gerechtigkeit und Respekt. Und auf deren Lebenswegen, so wie er es selber schmerzhaft erfahren hat, sich die Lebenspuren des Exils eingebrannt haben. Einmal, ein paar Jahre zuvor, wurde Muepu Muamba von der Dichterin Safiye Can und dem Autor Hakan Akçit in einem langen Interview (Der Andere, das ist der unverzichtbare Teil von mir selbst) für das migrationspolitische Portal der Heinrich-Böll-Stiftung gefragt, was Heimat für ihn sei: „Ich bin immer ein wenig von woanders, von hier und von dort unten. Und weder von hier noch von dort unten. … Ich habe den Duft von so vielen Gegenden und so vielen Landschaften in mich aufgenommen …. Für denjenigen, der von weit herkommt und andernorts Schutz sucht, bedeuten letztlich die Frauen und Männer, die ihn aufnehmen, Heimat.“

Im Bild eines wandernden Baumes – der Gedanke an den Baobab, „Baum des Lebens“ liegt nahe –, dessen Wurzeln ein Geflecht mit anderen eingeht, um zu überleben, findet der Dichter im Exil zu sich selbst. Im unbelaubten Zustand erinnert die Baumkrone an ein Wurzelsystem, was zu der Legende beigetragen hat, der Affenbrotbaum sei ein vom Teufel verkehrt herum gepflanzter Baum. Gleichermaßen spendet der geheimnisvolle Baum Schatten, Wasser, Nahrung und Medizin und wird deshalb verehrt. Unter seiner Krone lässt sich gut niederlassen, über Absurdes lachen, Verlorenes betrauern, Träumen nachhängen und auf Hoffnung bestehen – zärtlich und unbestechlich zugleich. Unter einem solchen Baum sitzend, lesend und schreibend stelle ich mir den Dichter Muepu Muamba vor!

 

Muepu Muamba Anthologie
Sisyphos im Lärm der Stille
Hrsg. von Barbara Höhfeld
192 S., brosch.
ISBN 978-3-937603-66-7
Draupadi Verlag, Heidelberg 2012

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Erstellungsdatum: 24.10.2024