Am 31. Januar 2025 wäre Matthias Beltz 80 Jahre alt geworden. Für das Kabarett war er ein Glücksfall. Seine Juristenlaufbahn brach er während des Referendariats ab, um als Arbeiter bei Opel in Rüsselsheim die Revolution unter den Kollegen zu betreiben. Dann aber folgte er seinem Talent und ging zum legendären ‚Karl Napps Chaostheater‘ und weiter zum ‚Vorläufigen Frankfurter Fronttheater‘. Seine Auftritte mit dem Kölner Heinrich Pachl waren Kult. Und seine luziden Sprüche sind in unseren Sprachschatz eingegangen. Er war ein brillanter Kopf und ein zugewandter Mensch. Als er starb, erinnerte Lorenz Jäger an das Besondere seiner Kunst.
Matthias Beltz dachte mit der Dialektik auf Anhieb klüger. Denn wollte er den Wert väterlicher Erziehung in der bürgerlichen Kleinfamilie begründen, dann malte er sich kein idealistisches Wolkenkuckucksheim der Sanftheit und der „neuen Männer“ aus, sondern argumentierte mit dem Menschenrecht des Kindes, „etwas von der Kälte und Brutalität der Wirklichkeit, von der unbeugsamen Furchtbarkeit der Welt zu erfahren. Für dieses Erlebnis ungerechter Strenge hat es einmal den Vater gegeben und damit die Chance, sich besser vorzubereiten auf den Härtetest des Lebens.“ Wollte er nach dem 11. September den Wert nationaler Leitkultur stark machen, dann führte er keine Kanon-Debatte, sondern erinnerte an den pädagogischen Nutzen von Uhlands Kreuzzugs-Groteske über Kaiser Rotbart Lobesam: „Da sieht man zur Rechten wie zur Linken / Einen halben Türken herniedersinken“. Der Dialektiker ahnte, daß für den Frieden nichts so verheerend ist wie die Sehnsucht nach Harmonie und daß eine Versammlung der Weltmoralisten einem Schreckenskabinett gleichkommt.
Der Übergang der militanten Linken der sechziger und siebziger Jahre ins illusionäre Friedensgesäusel hatte Beltz zum Kabarettisten gemacht – und das Kabarett aus seinen sterilen, immer schon vorhersehbaren Witzeleien über die konservativen Politiker befreit. Er entdeckte, nahezu im Alleingang, die Linke als Satiregegenstand; als die Grünen erstmals in den Bundestag einzogen und man ein Siegesfest gab, las Beltz Briefe von Karl Marx: nicht zur Theorie des Klassenkampfes, sondern zur Technik des Gelderbettelns bei der Familie und bei dem Freund Friedrich Engels, der, wie Beltz anmerkte, bekanntlich „einen Alternativbetrieb“ besessen habe. Als der Nachrüstungsbeschluß vor zwanzig Jahren die Gemüter der Wohlmeinenden erregte, probte Beltz mit dem „Vorläufigen Frankfurter Fronttheater“ ein „Friedensschweigen“ – und mußte seine Satire prompt von der Wirklichkeit überholt sehen, denn irgendwo im Nordhessischen war man tatsächlich auf die Idee gekommen, auf diese Weise etwas für die Völkerversöhnung zu tun.
Beltz kam aus dem SDS, in den siebziger Jahren gehörte er zur Frankfurter Sponti-Gruppe „Revolutionärer Kampf“. Gemeinsam mit seinen Freunden entschloß er sich zur Betriebsarbeit bei Opel Rüsselsheim, wo er zum Vertrauensmann gewählt wurde. Wenige Konservative dürften über so genaue Kenntnisse reaktionärer Literatur verfügt haben wie dieser ehemalige Studentenrebell. Immer wieder schlug er Witz aus diesem Zusammenstoß. Eines der letzten Gespräche in einem Kreis von Leuten, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, betraf die Möglichkeit von „rechtem“ Kabarett. Fast jeder der Anwesenden zog sie grundsätzlich in Zweifel – nur Beltz nicht, dem sogar schon der Name für ein Ensemble eingefallen war: „Negerküsse“ sollte es heißen. 1987 hatte Beltz geschrieben: „Wenn man die Politik nicht mehr verstehen will, erklärt man alles für Theater, und wenn man die Politik genießen will, weil man keine Lust hat, die Anstrengungen des Veränderns auf sich zu nehmen, dann ernennt man die Politiker zu Spaßmachern und hat seine kleine Freude daran.“
Zur Unzeit ist Matthias Beltz am 27. März 2002 in Frankfurt gestorben.
Der Beitrag erschien zuerst in der Frankfurter Allgemeine Zeitung am 30.03.2002.
Erstellungsdatum: 30.01.2025