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Ingeborg Bachmann und ihre Lyrik (III)

Auf Widerruf

Ria Endres


Ingeborg Bachmann, 1962, wikimedia commons

Anlässlich ihres 50. Todestages ist Ingeborg Bachmann vielfach vergegenwärtigt worden, vor allem mit biografischen Betrachtungen. Publikationen von Briefwechseln lenkten den Blick insbesondere auf die vielen Liebesbeziehungen, die die als feministische Schriftstellerin Etikettierte mehr oder weniger glücklich mit Männern einging. Ria Endres hat dagegen andere Erfahrungen der ikonischen Nachkriegsliteratin als Beweggrund für ihre Lyrik benannt. Ihren Essay veröffentlichen wir in drei Teilen. Hier ist der dritte.

Das poetische Wort Ingeborg Bachmanns hat etwas Subjektives und Allgemeines. Alle ihre Liebesgedichte sind ein fortgesetztes Sprechen über die Verhinderung von Liebe, sie sind individuell und ganz allgemein mit dem Unheil verbunden. Die Liebe ist für sie wirklich ein dunkler Erdteil. Auf ihm kämpfen die Geschlechter, in Wirklichkeit innerlich schon immer voneinander getrennt. „Niemand liebt mich und hat für mich eine Lampe geschwungen“, heißt es im Gedicht „Lieder auf der Flucht“. Die Kluft zwischen den Geschlechtern ist so auch in den Gedichten nicht mehr zu überbrücken. In ihrem großen Prosawerk werden die daraus resultierenden Erkenntnisse ganz beschrieben werden. In vielen Gedichten tauchen diese Probleme in poetischen Verkleidungen auf:

 

Nebelland

 

Im Winter ist meine Geliebte

unter den Tieren des Waldes.

Daß ich vor Morgen zurückmuß,

weiß die Füchsin und lacht.

Wie die Wolken erzittern! Und mir

auf den Schneekragen fällt

eine Lage von brüchigem Eis.

 

Im Winter ist meine Geliebte

ein Baum unter Bäumen und lädt

die glückverlassenen Krähen

ein in ihr schönes Geäst. Sie weiß,

daß der Wind, wenn es dämmert,

ihr starres, mit Reif besetztes

Abendkleid hebt und mich heimjagt.

 

Im Winter ist meine Geliebte

unter den Fischen und stumm.

Hörig den Wassern, die der Strich

ihrer Flossen von innen bewegt,

steh ich am Ufer und seh,

bis mich Schollen vertreiben,

wie sie taucht und sich wendet.

 

Und wieder vom Jagdruf des Vogels

getroffen, der seine Schwingen

über mir streift, stürz ich

auf offenem Feld: sie entfiedert

die Hühner und wirft mir ein weißes

Schlüsselbein zu. Ich nehm's um den Hals

und geh fort durch den bitteren Flaum.

 

Treulos ist meine Geliebte,

ich weiß, sie schwebt manchmal

auf hohen Schuh'n nach der Stadt,

sie küßt in den Bars mit dem Strohhalm

die Gläser tief auf den Mund,

und es kommen ihr Worte für alle.

Doch diese Sprache verstehe ich nicht.

 

Nebelland hab ich gesehen,

Nebelherz hab ich gegessen.

 

In der Metamorphose der Geliebten, die dem Wasser angehört und deren poetisch-magische Verkleidungen man nicht versteht, erscheint die Nixe Undine, Hauptgestalt in Ingeborg Bachmanns berühmter Erzählung „Undine geht“. Ganze Welten liegen zwischen den Liebenden. Zutiefst romantisch ist es, sich den Abgründen, die allein schon im Unbewußten lauern, zu nähern. Literarisches Sprechen ist magisch und zweigeschlechtlich, das kann man in dem Gedicht Nebelland gut studieren. Dem männlichen lyrischen Ich kann das weibliche Ich nicht helfen, Undine, die Geliebte zu verstehen, denn sie kommt aus dem Reich der Magie. Sich in sie hineinzudenken bedeutet eine folgenreiche Irritation: einem Wahn zu unterliegen. Was ist schon lebbar in einem „Nebelland“, wo sich die Geliebte immer wieder in andere Elemente und Sphären begibt, sich verwandelt und sich entzieht. Den mythischen Ursprüngen dieser Gestalt nachzugehen und zu versuchen, sie zu entziffern, macht nicht glücklich. Aber dazu sind Gedichte nicht da. Im flirrenden Zustand sprachlicher Magie läßt man zwar die Alltagswelt weit hinter sich zurück, kann sich aber keine Freiheit verschaffen.

Doch die Freiheit des Wortes sollte weiter triumphieren, bevor sich Ingeborg Bachmann auch von ihr verabschiedet hat. „Mein Wort, errette mich“, heißt es im Gedicht „Rede und Nachrede“. Ihre Gedichte bezeugen einen enormen Gestaltungswillen. Sie haßte alles Ästhetizistische, liebte aber Sprachkompositionen, die um das Zentrum des Subjekts kreisen; aber dem Chaos der eigenen Existenz wird nicht die Mütze der Vernunft übergestülpt. Ohne wirkliche Heimat, in Herbstmanöver geraten, immer inmitten härterer Tage, durch die Sonne erblindet, der Liebe als Wahn ausgesetzt, der Schuld, der neuen Zerstörung; und plötzlich tritt Totenstille ein:

 

Exil

 

Ein Toter bin ich der wandelt

gemeldet nirgends mehr

unbekannt im Reich des Präfekten

überzählig in den goldenen Städten

und im grünenden Land

 

abgetan lange schon

und mit nichts bedacht

 

Nur mit Wind mit Zeit und mit Klang

 

der ich unter Menschen nicht leben kann

 

Ich mit der deutschen Sprache

dieser Wolke um mich

die ich halte als Haus

treibe durch alle Sprachen

 

O wie sie sich verfinstert

die dunklen die Regentöne

nur die wenigen fallen

 

In hellere Zonen trägt dann sie den Toten hinauf

 

Der Verlust der subjektiven Bedeutung in der Welt könnte nicht bitterer formuliert sein. Wirklich allein, nachdem längst Abschied vom Leben genommen wurde, ohne Heimat und tot, aber schicksalhaft verbunden mit dem Haus der Sprache, ist sie so leicht wie die Wolken, in dem sich Wind, Zeit und Klang bewegen. Aber auch die Wolke der Sprache verfinstert sich. Sprechen heißt hier, daß Regentropfen fallen und die Wolke der deutschen Sprache, ihrer Sprache, in hellere Regionen schwebt. Schwerelos in sie gehüllt:

So sieht sie die tote Dichterin. Es gibt wohl kaum ein berührenderes Beispiel in der Lyrik, als eine Verbindung herzustellen zwischen der Trennung vom Leben in der Welt und dem Eingehülltsein in die Wortseele der eigenen Sprache. Schon bald hat sich Ingeborg Bachmann nicht mehr in der Lage gesehen, weiter Gedichte zu schreiben. Immer neue Wunden der Realität sind aufgebrochen. „Ich bin der großen Weltangst Kind“ heißt es im frühen Gedicht „Hinter der Wand“. Es ist unheimlich, in der Welt zu sein. Der Schrecken nimmt kein Ende. Einsamkeit, ihre und unsere, ist etwas sehr Modernes.

Das Leben kann kein poetisches Universum sein. Im Romanzyklus „Todesarten“ breitet sich einige Jahre später der patriarchale Schrecken aus, der direkt in die Nacht der Vernichtung führt. Es gibt immer wieder Krisenzeiten, die wir letztlich erfolglos zu ignorieren versuchen, solange sie uns nicht persönlich zu betreffen scheinen. Von einer Krise der Kultur, der Kunst, der Literatur zu sprechen ist aber eine Banalität, weil diese Bereiche ohne Krisen nicht existieren könnten. Es sind immanente Krisen und Krisen der nichtkünstlerischen Welt, die von uns wahrgenommen und in eine ästhetische Form gebracht

werden, lange bevor sie aufbrechen. Ingeborg Bachmann wich dieser Erkenntnis in ihrem Schreiben nicht aus und sie bezog bewußt ihr literarische Erbe in ihre Arbeit mit ein. Eine solche Haltung ist heute alles andere als selbstverständlich, wo doch schon allein die Frage nach künstlerischen Bezügen nur noch Aggression erregen und gerne ignoriert werden. Es werden aber auch künstlerische Traditionen wie ein Steinbruch oder eine Müllmasse benutzt, die man nur recyclen muß, sofern sie etwas einbringen. Die Verwendung und Verwurstung unseres kulturellen Erbes als eigene Leistung erleichtert manchmal die Verkaufschancen. Darüber wird natürlich geschwiegen. Wie weit ist Ingeborg Bachmann davon entfernt. Vor allem die romantischen Unterströmungen, oft von ihr wegeschoben und dann doch wieder zum Leuchten gebracht, bilden einen wesentlichen Teil ihrer poetischen Haltung. Oft nimmt sie eine traditionelle Metaphernwelt auf und überführt sie in ferne, allgemeine und kosmische Mobilität. Ihre Worte stehen manchmal in einem unheimlichen Spannungsverhältnis, das die Irrfahrten ihres Lebens und der Wagemut ihres Denkens einschließt. Ihre Erschütterungen gehen in die poetische Kraft ihrer Sprache ein. Hier schreibt eine desillusionierte Romantikerin, die auch vor einer eschatologischen Geschichtsdeutung nicht zurückschreckt.

 

Enigma

 

Nichts mehr wird kommen.

 

Frühling wird nicht mehr werden.

Tausendjährige Kalender sagen es jedem voraus.

 

Aber auch Sommer und weiterhin, was so gute Namen

wie „sommerlich“ hat –

es wird nichts mehr kommen.

 

Du sollst ja nicht weinen,

sagt eine Musik.

 

Sonst

Sagt

Niemand

Etwas.

 

Lyrik erscheint heute als die überflüssigste der Künste. Aber wie bei allem, das heute als überflüssig gilt und was ja bedeutet, es solle abgeschafft werden, ist Vorsicht geboten: Das für den Menschen Überflüssigste, das er abschaffen möchte, und was er immer wieder mit Gewalt und aller Brutalität abzuschaffen versucht hat und immer wieder versucht – ist er selbst.

 

 

Siehe auch:

Ria Endres Bachmann-Essay, Teil II

Ria Endres Bachmann-Essay, Teil I

Erstellungsdatum: 27.08.2024