MenuMENU

zurück

Ausstellung „Städel | Frauen“ in Frankfurt

Beruf: Künstlerin!

Isa Bickmann


Louise Breslau (1856–1927) Jeune femme et chrysanthèmes – Porträt von Mina Carlson-Bredberg, 1890 Öl auf Leinwand Foto: Kulturmuseum St. Gallen, Michael Elser

In den letzten Jahren bekommen die vergessenen Künstlerinnen der Kunstgeschichte zunehmend Präsenz in den Ausstellungsprogrammen. Allerdings kann dies nur unter forschendem Engagement seitens der Kurator*innen geschehen, ist doch vieles bislang unbekannt geblieben: Biografien müssen recherchiert, der Standort der Werke gefunden werden. Die Künstlerinnen dem Vergessen zu entreißen, ist Verpflichtung und Fleißarbeit. Einen solchen Forschungszwischenstand bietet das Städel Museum mit seiner Schau „Städel | Frauen. Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900“, die sich den Netzwerken der Künstlerinnen um 1900 widmet. Isa Bickmann hat sie besucht.

Gleich im ersten Saal findet sich der Hingucker, der auch auf den Plakaten die Ausstellung bewirbt: Eine junge Frau lehnt an einer Kommode, auf der ein wuchernder Strauß Chrysanthemen steht, im Hintergrund ein gefälliges Türkis, das sich in den hellen Augen der jungen Frau spiegelt. Ihre roten Lippen heben sich stark von der blassen Haut ab und finden ihre Entsprechung in den Blüten der Chrysanthemen. Das farblich fein abgestimmte Bildnis überzeugt malerisch mit Details, wie z.B. bei der Spiegelung des Sprossenfensters in der Blumenvase oder der Seitenansicht der den Kopf stützenden Hand mit den abgespreizten Fingern. Es handelt sich um das Porträt der schwedischen Malerin Mina Carlson-Bredberg. Ihre Freundin Louise Catherine Breslau hat es 1890 im impressionistischen Stil erschaffen. Der im Katalog herangezogene Verweis auf den mit Breslau freundschaftlich verbundenen Edgar Degas, der 1865 ein Porträt malte, das ebenfalls eine Frau mit einem dominanten Blumenstrauß, an einer Kommode oder einem Tisch lehnend, zeigt, wird im Katalogbeitrag als Beleg für eine „bewundernde Rivalität“ mit dem Meister seitens der Künstlerin gedeutet (S. 37, Abb. siehe https://www.metmuseum.org/art/collection/search/436121).

Ist das tatsächlich ein Zitat? Und wenn ja, befreit Breslau hier nicht das Motiv vom männlichen Blick? Degas drängt seine Porträtierte derart in die rechte Bildecke, dass der Blumenstrauß in seiner ganzen Pracht den Mittelpunkt des Bildes einnimmt. Die Frau erscheint kaum mehr als Zutat. Sie schaut mit nachdenklichem Ausdruck aus dem Bild heraus. Breslau dagegen stellt das Motiv des eleganten Aufstützens des Kopfes mit den auffallend betonten Lippen in den Mittelpunkt. Mina Carlson-Bredberg blickt die Betrachtenden direkt an: offen und selbstbewusst. Der Blumenstrauß ist das Beiwerk. Auch darf man nicht vergessen, dass wir uns hier im Jahre 1890 befinden. Die stolze Femme fatale regiert und schürt männliche Ängste. Breslaus Modell trägt das in jenen Jahren bei den Malern des idealistischen Symbolismus so beliebte kaum merkliche Lächeln der zur Femme fatale gedeuteten leonardoschen Mona Lisa.

Louise Catherine Breslau war in ihrer Zeit eine ungewöhnlich erfolgreiche Künstlerin. Geboren 1856 in München, aufgewachsen in Zürich, wo sie Ottilie W. Roederstein kennenlernte, ging sie nach Paris an die private Académie Julian, die so genannte „Damenklassen“ unterhielt. 1879 durfte sie im Salon ausstellen und schuf sich in den Folgejahren einen Namen als hervorragende Porträtistin. In jenem Jahr 1890 wurde sie Gründungsmitglied des wiederbelebten Salon de la Société Nationale des Beaux-Arts. Für das hier beschriebene Porträt erhielt sie eine Goldmedaille auf der Weltausstellung. Die Galerien Georges Petit und Durand-Ruel zeigten sie in Einzelausstellungen.

Was macht nun Breslau zu einer „Städel-Frau“? Sie war befreundet mit der drei Jahre jüngeren Ottilie W. Roederstein und gehörte zu dem Netzwerk von Künstlerinnen, die sich in Paris versammelten, um sich in den „ateliers des Dames“ der Künstler Jacques Henner, Carolus Duran und Raphaël Collin sowie an den privaten Akademien ausbilden zu lassen. Zu diesen Freundeskreisen zählten die ebenfalls in der Ausstellung vertretenen Madeleine Smith, Schülerin und Freundin Roedersteins, die in Krakau geborene Olga Boznańska und die US-Amerikanerin Elizabeth Nourse und viele andere. Man lebte in Wohngemeinschaften wegen der „Schicklichkeit“ und konnte sich den Traum einer unabhängigen Existenz erfüllen. Einige Künstlerinnen mieteten nach ihrer Ausbildung Ateliers im Städel wie Mathilde Battenberg oder Else Luthmer und gaben selbst Unterricht wie Roederstein und Marie Bertuch.

Regulären Zugang zu den Akademien hatten Künstlerinnen in Deutschland bis 1919 nicht, nur zu so genannten „Damenklassen“. Allerdings gab es eine gewisse Durchlässigkeit, hatte doch der Stifter Johann Friedrich Städel 1815 die Aufnahme in den Kunstunterricht „ohne Unterschied des Geschlechts“ bestimmt. Dieses lange Zeit ignorierend, ließ man erst ab 1869 ein „Damenatelier“ zu, schloss es dann wieder 1894. In der Folgezeit gab es vereinzelt Ausnahmen wie im Fall der Bildhauerin Louise Schmidt, das Aktstudium blieb jedoch meist verwehrt. Alternativ stand die Möglichkeit zur privaten Ausbildung in den Künstlerateliers offen, die der Städellehrer Wilhelm Trübner und Ottilie W. Roederstein anboten. Ab 1904 erhielten dann auch Schülerinnen allgemeinen Zugang, 1907 kam dieses in die Statuten.


Ottilie W. Roederstein mit ihren Schülerinnen und Schülern im Städelschen Kunstinstitut, um 1898 Fotografie Roederstein-Jughenn-Archiv im Städel Museum Frankfurt am Main

 

Die enge Verbundenheit der Künstlerinnen untereinander dreht sich um die Person Ottilie W. Roedersteins. Dank dem Roederstein-Jughenn-Archiv mit Dokumenten und Fotografien aus dem Nachlass, das dem Städel Museum 2019 als Schenkung überlassen worden ist, können nun erste Forschungsergebnisse daraus vorgestellt werden. Spürbar ist dieser Zwischenstand der wissenschaftlichen Erarbeitung in der Ausstellung, die lediglich eine Etage in dem für Sonderausstellungen reservierten Gebäudeteil des Museums einnimmt, als auch in dem etwas missverständlichen Ausstellungstitel „Städel/Frauen“. Denn nicht alle Frauen waren direkt mit dem Städel verbunden, aber mit Ottilie W. Roederstein oder mit anderen „Städel-Frauen“. Breslau ist aufgrund dieser Verbindungen in der Ausstellung aufgenommen worden, nicht erwähnt wird, ob die gebürtige Schweizerin jemals in Frankfurt gewesen ist. Im Katalog rechtfertigt man die Auswahl der 26 Künstlerinnen damit, auf die „vielfältigen Berührungspunkte aufmerksam machen, die zwischen diesen Frauen und der Städelschule, dem Städelschen Kunstinstitut, der neuen Kunstgewerbeschule oder den Akteurinnen und Akteuren der Kunst- und Kulturszene der Stadt Frankfurt existierten.“ So reicht das Spektrum von jener Louise Catherine Breslau bis zu der übernächsten Generation, zu Erna Auerbach, geboren 1897 in Frankfurt, die auch Kunsthistorikerin war und als Jüdin 1933 emigrieren musste, und Inge Dinand, geboren 1907 in Darmstadt. Die beiden letzten gehörten zur Meisterklasse von Max Beckmann an der Städelschule, die 1923 mit der Kunstgewerbeschule fusioniert worden war.


Ausstellungsansicht „Städel | Frauen. Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900“ Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

 

In der Ausstellung dominiert die Porträtmalerei, war sie doch wichtig für den Lebensunterhalt. Und am Ende des Rundgangs kommt einem die Erkenntnis, dass wohl Avantgarde für diese Frauen kaum möglich war. Zumindest keine abstrakte. Impressionistische Lichtmalerei, Salonstil, Beckmannsche und Neusachliche Manier sind zu sehen, alles, was die Kunstgeschichte als weitere Ismen-Abfolge bereit hält, wie Fauvismus, Kubismus, Abstraktion, Konstruktivismus, vermisst man, obwohl das jüngste Werk in das Jahr 1935 datiert ist. Dennoch macht die Einbindung von Dokumenten und Schaubildern diese Ausstellung lebendig und informativ, wie im Fall der Pauline Kowarzik, die nicht nur Künstlerin war und sich in Paris bei Collin sowie in Frankfurt im Damenatelier von Ottilie W. Roederstein und Marie Bertuch ausbilden ließ, sondern auch Sammlerin und Mäzenin war. Sie ist kaum bekannt, dabei waren in ihrer Zeit Kowarziks Werke vielfach ausgestellt. Sie führte einen Kunstsalon, gemeinsam mit ihrem Mann eine Künstlerstiftung, und ihr gehörte eine bedeutende Privatsammlung, die u.a. Werke von Maurice Denis, Paul Gauguin, Paul Klee, Paula Modersohn-Becker, Erich Heckel u.a. umfasste. Diese Bilder wurden 1926 Dauerleihgaben des Städel Museums und 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge in alle Winde verstreut. Der Gauguin z.B. befindet sich heute in Liège. Ihr Gemälde „Weibliche Rückenfigur, in die Landschaft blickend“ von 1924 stellt eine an Gauguin und Paul Sérusier erinnernde wohltuende Unterbrechung unter den vielen Porträts der Ausstellung dar. In einer Vitrine ist in einem Protokoll der Stadtverordnetensammlung aus dem Jahre 1916 nachzulesen, dass Pauline Kowarzik zum Mitglied der „Galerie-Deputation“ ernannt worden ist, d.h. sie gehörte zur Ankaufkommission der Städtischen Galerie im Städelschen Kunstinstitut. Der Kunsthändlerin Marie Held, die eng mit der Berliner Galerie Paul Cassirer zusammenarbeitete und ab 1908 in Frankfurt die französischen und deutschen Impressionisten zeigte, wird im Katalog ein lesenswerter Beitrag gewidmet.

Das Städel Museum zeigt in dieser Ausstellung eine Reihe sehr ungewöhnlicher, ja, unangepasster Frauen um 1900. Die Auswahl der Werke hat natürlich mit der Verfügbarkeit zu tun. Dabei haben die Kuratoren Alexander Eiling, Eva-Maria Höllerer und Aude-Line Schamschula offensichtlich auf Qualität geachtet. Beeindruckend ist die Gegenüberstellung zweier Porträts eines Schwarzen (namenlosen) Offiziers des algerischen Schützenregiments, die zur selben Zeit zwischen 1887 bis 1889 entstanden sind. Das sind zwei wunderbare, würdevolle Bildnisse, eines eher frontal, geschaffen von Ottilie W. Roederstein, und das andere mit dem Blick nach rechts von ihrer Freundin Elizabeth Nourse.

Will man die Leistungen von Künstlerinnen unterminieren, die ja gerade im Fall der Porträtmalerei zu den männlichen Kollegen in direkter Konkurrenz standen, dann war dies all die Jahrzehnte in der ebenfalls männlich dominierten Kunstgeschichte leichter Hand zu verwirklichen. Damit scheint es nun zum Glück endgültig vorbei zu sein. Aber noch ist viel zu tun.

Ausstellung
 
Städel | Frauen
Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900
10.7.2024–27.10.2024
 
https://www.staedelmuseum.de/de/staedel-frauen

Katalog
 
Städel | Frauen
Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900
Hg. Alexander Eiling,
Eva-Maria Höllerer,
Aude-Line Schamschula
Beiträge von E.S. Atlan,
J. Betz, E. Dérisson,
A. Eiling, R. Freyberger,
N. Gutgesell,
E.-M. Höllerer,
A.-C. Krüger,
A.-L. Schamschula,
I. Schmeisser,
C. L. Sotzek,
M. Victor
Text: Deutsch / Englisch
232 S., geb.
184 Abbildungen in Farbe
ISBN: 978-3-7774-4308-9
Hirmer Verlag, München 2024

Bestellen

Erstellungsdatum: 23.09.2024