I. Die Treppe
Da sinkt sie hin
wie nach Besichtigungen auf der Abschlussfahrt
schon damals mit dem Schamgefühl einer Schönheit
vor einer anderen Schönheit: hinzusinken statt
zu stehen den Anblick auszuhalten auch ohne
die Spur eines Bilds das sie sich merken wird.
Da hingesunken war sie wo die andern
sich hingesetzt hatten („Bitte nicht
auf die Stufen setzen!“) Überwältigung
das Mindeste was zu zeigen war vor dem Tempel
und sie opferte sich. Den Kameraden
(man sah sich ja bald nicht mehr)
irgendwem. Fremden Bräuchen. Unverzeihlichem.
Auf die Treppen des Opernhauses sinkt sie
in alt-ebenbürtiger Schönheit.
Keiner mehr der neben ihr sitzt:
Premierenpublikum mit Platinprothesen
in Röhrenhosenbeinen platingeschiente
Wirbelsäulen von Milliardärsgattinnen
zwischendrin sie: Das Fleisch
das auch der geübteste Nager
vom Knochen zu nehmen vergisst
vom Haken zu nehmen der zufriedene Metzger
von der Karte zu nehmen der vegetarische Diner
vom Penis zu nehmen der digital gewordene Exvivant.
Sie langt nach dem Ende
jeder Stufe
taucht nach der nächst tieferen
Schande die zu bereiten ist
willenlos gewälzter
Fisch im zischenden Mehl
verirrter Wels im
verwirrten Meer
sie ist jetzt ganz allein.
Und das Publikum ganz abwesend.
Aber das war nicht der Plan
sie fällt einfach aus wie eine Vorstellung
von der die Plakate das Gegenteil weiterbehaupten.
Ihr Wunsch wäre es das Wasser
der Stadtreinigung zu sein morgens
vom Straßenrand aus
die allerunterste Treppenstufe des Opernhauses
absichtslos vom Menschlichen zu befreien.
II. Die Arkaden
Dass sie einen Eingang fingieren
ist zum Lachen wenn du dich völlig verlierst
wo denn willst du eintreten? Sie huscht
von Säule zu Säule schneller als Heisenberg
jagen die Männer sie: Wen halten sie
in ihren manschettenverspotteten
Lavendeldufthänden? Und trotzdem
sind es Männer die sie antreiben
aber es könnten auch spielende Kinder sein
wichtig ist die Hitze auf der Haut
des vor der Welt versteckten Gesichts wichtig
die Jäger auf den Bühnen zwischen den Säulen
die Jagden für Momente abgehalten
von Glücksgesellschaften die zerfallen schneller
als die Bilder in ihrem gehetzten Kopf
diese Offenheit hat sie einem Erlebnis
immer zugetraut mit jedem anderen Erlebnis
unauflöslich zusammenzuhängen jedem Ort
der Welt mit völlig anderen Orten auf gänzlich
fremden Welten familiär und ungeniert
zusammenzufallen. Sekt trinken war
die Behauptung des Teenagers wild zu sein.
Das Leben muss jetzt geführt werden (was
ein ähnlicher Witz ist wie dass die Opernarkaden
ein Eingang wären zu irgendwas: führen
lässt sich kein Leben!) Männer wird sie mischen
wie Karten austeilen wie selbstgeborene Kinder
die sie von hinten als Notzüchtiger überfallen
anders geht es nicht Hände weg vom Steuer
Augen aufgerissen oder ausgerissen bloß kein
Schädel als Ausrede für Bildverkleinerungen.
Die Achten stehen für Unendlichkeiten
sind die Bewegungen die zwischen den Säulen
ausgeführt werden ohne je einen Punkt zu erreichen
der schon einmal berührt wurde
das normal zu finden daran keine Fragen zu knüpfen
ist das Neue von dem sie schon immer wusste
dass sie darin aufgehen wird wie eine Rechnung
die zu schwierig war für sie und die darum ein neues
Element brauchte aber was ist neu daran Leute wenn
sie es wie gesagt schon ihr ganzes Leben lang wusste?
III. Die Balkone
Da kann man jetzt nicht mehr hinwegsehen drüber:
Leben zu dem ein Eingang geführt haben muss.
Wenn auch der Balkon aus Sicht der Opernregie
nur ein Eingang zurück ins Opernhaus und damit
bezahlte Kunstleben im Zuschauerbassin ist
weiß es der erste Blick besser wusste es der Architekt
vom ersten Einfall an dass er mit den Balkonen eine
Parallelwelt baut neben die Vergessenheit
in der die Oper bald ihr gerüchtweise aufpoppendes Dasein
beklagen würde in löchrigen Stimmlagen durch welche
Wasseradern der unteren Wirklichkeit sich vernetzen
würden zu eigensüchtigen Zwecken nass werden
miteinander und vertraut wie die Leiber im Tempelfries.
Unauflöslich die Extrakte gemeinsamer Erinnerung
mit der Mutter die sie getragen hat über die Abgründe
des Draußenseins von dem die Mutter zurückkam mit den
ersten Anzeichen ihrer Schwangerschaft. Die Spiele
mit der Mutter an der Mauer auf die sie wollte und kletterte
auf der sie unmögliche Schritte setzte für immer frei wurde
von den Möglichkeiten ihren Voraussagen die Angst
die alles machte was nicht Mauer war die Arme der Mutter
die Rettungen das Zusammenkommen der Unbesiegbaren
das Beieinandersein durch das Spiel das Verschwinden
der Draußenwelt aus dem zweiten Bauch den das Spiel
durch die Welt trug auf den Beinen der zweiten Mutter.
Die Männer deren Ungeteiltheit sie verstand waren
ihrem Verstehen ausgeliefert wie einem wilden Tier
sie lernte sie lesen mit dem gesenkten Blick der Bedienung
zwischen den Tischen da traf der Blick immer
den Richtigen die Männer konnten es leugnen ihre Beine
sich benehmen wie Tischbeine sie wusste es besser
dazwischen die Steine schrien es ungeniert in den Himmel
der wusste es schon und segnete mit gesenkten Farben
die seltenen Liebesnächte in denen die Überraschung gelang
Diener und Dienerin wussten was zu tun war kein Ende
mehr gefunden wurde das Lachen des Morgens begütigend
die Stellung auf dem Brett einfror für die Lieder
aus denen die Stellungen im Bett wiederauferstanden
wiedervereinigten in Gedanken was gedankenlos
zerfallen war in die draußen eingenommenen Einzelposen.
Sie weiß dass die Nächte sich wiederzusammensetzen aus
den achtlosen (nicht gedankenlosen) Posen der Frauen
den Schwüngen der Haarschöpfe Hüften dem
Auseinandergehen der Hände Ausfließen der Finger
in die Andeutungen der unbeachteten Nägel und weiter
die Träume der Nagelstudios Couturiers Dichter
und Architekten sie weiß dass die Leben hätten geführt
werden müssen und dass jedes das einzige gewesen wäre
ohne Platz für andere. Darum sind die Balkone
als Architektur betrachtet identisch: Die Leben wären es
in ihrer Ausschließlichkeit gewesen. Aber das Ausbleiben
des von ihr und ihrer Mutter und von der zweiten Mutter
geborenen Lebens bis zum Tod lässt nur die Auswege
in nebeneinander über den Abgrund gehängte Gleichnisse.
IV. Die Figuren
Sechs Männer haben sich auf das Dach geflüchtet
und widersprechen ihr. Von oben sprechen sie
die Sprache der Verehrten. Bleib unten spricht der erste
da siehst du mich besser. Meinen Mantel kriegst du
nicht auf glaubt der zweite. Ich nenne ihn Würde.
Den dritten plagt die Gicht
drum steht er stramm vor sich.
Der vierte guckt sich tief in den Ausschnitt. So
wirkt seine Abwehrgeste jugendlich souverän hofft er.
Der fünfte überlegt sogar ob er mit ihr nicht glücklich wäre
bleibt in der Geste des Nachdenkenden allein zurück.
Der Letzte spielt den Heiligen und ist vielleicht
ein bisschen heilig geworden aber zu spät für sie.
Erstellungsdatum: 03.10.2024