MenuMENU

zurück

Kommentar zur christdemokratischen Asylpolitik

Das Geschwätz von gestern

Peter Kern


Ort des Asyls. Foto: Bernd Leukert

Wäre es nicht an der Zeit, die politischen Parteien zu bitten, ihre Namen zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, damit die Wählerinnen und Wähler auch sicher sind, dass das, was draufsteht, auch drin ist? Das Stammtischthema Asylpolitik treibt zu Wählende und Wählende in einen irrationalen Schwindel, in dem sich alle parteilichen Grundsätze in Luft auflösen. Peter Kern kommentiert die Äußerungen des christdemokratischen Kanzlerkandidaten.

 

Ein gegebenes Wort zu halten ist ein Leichtes, wenn der Wortbruch keinen Vorteil verschafft. Das Versprechen kostet dann nichts, es gleicht einer edlen Geste. Ob das Versprechen etwas taugt und auf die schönen Worte etwas zu geben ist, erweist sich nur in einer Art Stresstest: Bleibe ich bei meinem Wort, auch wenn es mit Verzicht verbunden ist?

Merz kann nicht verzichten; zu verlockend erscheint ihm der politische Gewinn, den er aus der Mordtat eines Wahnsinnigen ziehen will. Die Untat eines nicht Zurechnungsfähigen verlockt zu einer kühl kalkulierten Aktion eines Politikers, der sich sehr schlau dabei dünkt.

Es ist eine Aktion, denn ein parlamentarischer Akt, mit dem eine Gesetzgebung mit Lesung und nochmaliger Lesung ihren Lauf nehmen soll, ist diese Finte der CDU-Verantwortlichen natürlich nicht. Man will die anderen vorführen. Was von der Ampel übrig blieb, soll in die Tonne. Der symbolische Rest des Asylrechts soll auch in die Tonne, nachdem es materiell längst ausgehöhlt ist. Alle die Bundesrepublik umgebenden Länder müssen als sichere Drittstaaten gelten. Wer hierzulande um Asyl bittet, muss mit dem Fallschirm angelandet sein. Dafür hat die ganz große Koalition längst gesorgt.

Werden aus Merz‘ Parolen Gesetze und wird sein Karriereplan (vom Rentner zum Kanzler) doch noch wahr, wird er sich mit seinen Amtsbrüdern, z. B. dem in Österreich, ins Benehmen setzen müssen. Sobald er dem Herrn Kickl all die dunkelhäutigen, auf der Flucht befindlichen Elenden zurück ins schmucke Salzkammergut schicken will, wird Friedrich Merz eine Otto-Rehhagel-Weisheit nachvollziehen müssen: Die Wahrheit ist auf dem Platz. Die auf deutschem Territorium befindlichen Migranten, warum soll ihm der Kickl die abnehmen? Teilt er doch das Urteil des Herrn Merz: alles Gesocks, Vergewaltiger und Totschläger. Wohin also mit den Flüchtlingen?

Merz hat mit seiner die Stimmung der Verhetzten aufnehmenden Aktion die Europäische Union schwer beschädigt. Vielleicht darf er künftig einmal - als der Regierungschef des für die EU wichtigsten Landes- für sich in Anspruch nehmen, der Verweser der europäischen Einigungsidee zu sein. Sein Vorstoß macht deutlich, was der Wert langwierig verhandelter europäischer Vereinbarungen ist. Für den sogenannten Asylkompromiss muss nun gelten: wie gewonnen, so zerronnen. Herr Orban wird sich freuen. Merz stand unter Druck, denn die Flüchtlingszahlen gehen aktuell ja zurück. Was für ein Glück für ihn, dass die Tat eines Irren die Schlagzeilen dominiert und nicht dieser Fakt.

Wird es eine mit einer Zunge sprechende Europäische Union künftig noch geben? Die Union kann sich doch rückentwickeln zu einer reinen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; EWG – die Älteren erinnern sich noch. Das will die AfD und Merz will es auch. Politisch gilt ansonsten Germany First. Ein politisch zertrümmertes Europa mit wiederbelebten Nationalismen – Trump und Xi Jinping wird es recht sein.

Seinen Freunden von den Unternehmensverbänden wird Merz erklären müssen, wie es gehen soll mit der Freizügigkeit des Warenverkehrs in der EU, wenn jeder Spediteur an der Grenze zu kontrollieren ist und hinter der Grenze die Fabriken auf die dringend benötigten Bauteile endlos warten müssen. Just in time, das war dann einmal. Den Wirtschaftsfachmann wird man Merz kaum abnehmen können.

Er will auch eine neue „Gefährderkategorie“ eingeführt sehen und nimmt damit in Kauf, was aus dieser Kategorisierung folgen wird: „Eine Stigmatisierung psychisch kranker Menschen ist dabei ausgeschlossen“, heißt es in einer salvatorischen Klausel. Merz ist von der Trumpschen Gestik begeistert, von Sätzen wie „Meine erste Regierungshandlung wird es sein…“ Es gehört zur kulturellen und politischen Wetterkunde, dass der US-Einfluss auf die hiesigen Verhältnisse einige Zeit braucht, bis er sich geltend macht. Das gilt für die jeweils angesagte Popkultur genauso wie für die politische Kultur. Merz übereilt sich; er will den Trump machen, aber es dauert noch, bis die deutsche Gesellschaft die ganz grellen Auftritte goutieren wird. Die in der Medienöffentlichkeit präsenten Köpfe arbeiten daran, und auch da gibt es schon die ganz große Koalition. Weidel lässt sich wie Helene Fischer feiern und für Wagenknecht gehen die leuchtenden Armbändchen an, wenn die Diva den verdunkelten Raum betritt und der Parteitag ihr zujubelt.


Politik als Entertainment. Dabei bleibt draußen vor, was zu bewältigen ansteht: der völlige Umbruch der deutschen Industriegesellschaft hin zu CO2-freien Produktionsprozessen. Wenn sich der Kanzlerkandidat zwei Sätze dazu abquält, sind sie von der ihm eigenen Ambiguität: Einmal propagiert er Technologieoffenheit statt Festlegung auf Wind- und Sonnenenergie, um am nächsten Tag den auf der energetischen Basis von Wasserstoff produzierten Stahl für unmöglich zu erklären. Er setzt auf eine entpolitisierte Öffentlichkeit, die sich schnell langweilt und mit Mord und Totschlag unterhalten werden will.

Erstellungsdatum: 31.01.2025