Der Wortmeldungen-Literaturpreis der Crespo Foundation für Josefine Soppa
Zwischen Körperlichkeit und KI finden Verluste statt. Menschen verlieren ihre Sprache, ihre Fähigkeiten, ihre Persönlichkeit. Zugleich findet neues Leben in die Welt, lernt, sich zu bewegen, zu begreifen, zu sprechen. Die in Berlin lebende Autorin Josefine Soppa hat ihre Sprachreflexionen in solchen Spannungsverhältnissen entstehen lassen und wurde für die Arbeit Klick Klack, der Bergfrau erwacht mit dem WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Literaturpreis für kritische Kurztexte am 13. Juni 2025 ausgezeichnet. Hanna Engelmeiers Laudatio auf Josefine Soppa beschäftigt sich näher mit den Sprachkrisen und verbalen Ertüchtigungen.
Auf der Suche nach einem Zitat, das zeigen könnte, warum Josefine Soppas Text Klick Klack, der Bergfrau erwacht so gut ist, warum dieser Text derjenige ist, der heute mit dem Wortmeldungen-Literaturpreis der Crespo Foundation ausgezeichnet wird, kämen viele in Frage. Zum Beispiel solche, die etwas Wichtiges sagen über Verlust, Fürsorge, Arbeit oder unser Verhältnis zu Sprache. Es gibt schöne Stellen zu zitieren, in denen auf Basis künstlicher Intelligenz operierende Sprachanwendungen als „Arbeiterkind“ oder „Servicekraft“ auftauchen und die zeigen, warum eine Auseinandersetzung mit ihnen mit der Frage nach Verlust, Fürsorge und Arbeit zusammengehört.
Aber vielleicht ist der Satz, in dem die ganze Kraft des Textes steckt, ein ganz anderer, ein auf den ersten Blick eher unscheinbarer, einer, der einen „kriegt“, wie es am Ende des Textes über die Dunkelheit heißt, die nach der am Fenster stehenden Erzählerin greift.
„Ich vertraue meinen Verben.“
Die ersten Verben, die in Josefine Soppas Text auffallen, sind testen, verbinden, anschließen, beenden, schaffen, ankommen, sehen, feststellen, erwischen, prognostizieren, schreiben. Wenn man wissen möchte, wie ihr Text gemacht ist, kann man sich an diese Verben halten und beobachten, wie sie den Text durchziehen, in dem sich die Erzählerin dabei beobachtet, wie sie unter anderem im Gespräch mit einem Chatbot den Verlust bearbeitet, der sich in der Parkinsonerkrankung ihres Vaters vorbereitet. Das langsame Erleiden dieses Verlustes geht mit der Beobachtung einher, wie ihr Vater selbst den Verlust seiner Sprache erlebt, wie er sich mit seinem Körper dagegen stemmt, dass seine Worte nicht mehr wie gewohnt von innen nach außen wandern. Sie liest ein wissenschaftliches Paper über Versuche, mittels MRT Gedanken in Schrift zu übersetzen: Wäre es vielleicht doch möglich, anders als über eine Skelett gewordene Sprache und über körperliche Berührung mit dem Vater zu kommunizieren?
Josefine Soppas Text behandelt die kollektive Sprachkrise, in die wir alle derzeit geraten und von der nicht abzusehen ist, wie weit sie Arbeitsweisen, Sprachgewohnheiten, Umgangsformen und die Literatur noch verändern wird. Diese Sprachkrise nimmt ihr Text höchstpersönlich, da das allgemeine Ringen mit der Angst davor, dass nichts von dem übrig bleiben wird, was wir als herausfordernde, beglückende, prekäre Arbeit des Schreibens von Literatur kennengelernt haben, mit dem ganz individuellen Ringen mit Sprache zusammenfällt.
Die Sprache der Menschen kommt aus dem Körper, das macht der Text ganz deutlich: Ein alternder, kranker Körper, der der Fürsorge bedarf und immer größere Schwierigkeiten hat, Sprache zu erzeugen, zeigt das ebenso an wie der hilflose Körper des Babys der Erzählerin, das noch keine verbale Sprache hat, um seine Bedürfnisse auszudrücken. Der Vater und das Baby stehen an unterschiedlichen Seiten der Sprachschwelle. Die Tochter des Vaters und Mutter des Babys beobachtet sie dabei. Klick Klack, der Bergfrau erwacht ist im Präsens verfasst. Die Erzählerin registriert alles, was geschieht, ohne mitzuteilen, welche Gefühle das auslöst. Die Kraft des Textes liegt in dieser Dezenz, im Vertrauen auf die eigene Wahrnehmung und die Schlüsse daraus, die ihre Darstellung auch für andere zulässt.
Unterdessen steht die Erzählerin selbst an einer Schwelle: an der des Übergangs zu einem Leben ohne Vater und an der Schwelle zu einer Ersetzung ihrer eigenen Sprache durch die einer Maschine. Diese Maschine taucht im Text als ChatGPT auf und wird auf eine Weise personifiziert, die einen erst auf eine falsche Fährte locken mag.
Eine geläufige Kritik an KI wehrt sich gegen Anthropomorphismen. Schon das Personalpronomen „sie“ für eine App wird zum Problem, weil dadurch die Vermenschlichung dessen droht, was so viel Unmenschliches voraussetzt, fördert und zur Folge hat. Josefine Soppa schreibt von der Lage der „Arbeiter*innen im Bergbau, die die Rohstoffe abbauen, über die Fabrikarbeiter*innen, die Hardware zusammensetzen, über die Transportarbeiter*innen, die Rohstoffe, Einzelteile, Zusammengesetztes zu ihren Produktions- und Vertriebsorten liefern, über Datenarbeiter*innen, die von überallher mit ihren Klicks als Entscheidungen die Sprache trainieren“. Sie alle sind unsichtbar in den Gesprächen mit einem Interface, das sich nicht von dem unterscheidet, mit dem Freund*innen oder Familie zu erreichen sind. Harte Arbeit wird unsichtbar, wenn, wie in Klick Klack, der Bergfrau erwacht ein Gespräch darüber stattfindet, wo denn die Sprache beginnt, die so mitgeschaffen wird, von – ich wiederhole es – den Arbeiter*innen im Bergbau, den Fabrikarbeiter*innen, die die Hardware zusammensetzen, den Daten- und Transportarbeiter*innen.
Die Maschinensprache, so die Maschine, beginnt in der Erde.
„Meine Sprache beginnt in der Erde“ kann je nach Zusammenhang ein sehr poetischer Satz sein und es eine der Stärken von Josefine Soppas Text, dass sie an der zufälligen und weniger zufälligen Schönheit, die ihr ChatGPT kreiert, nicht herumkrittelt, dass sie nicht besserwisserisch versucht, die KI bei Fehlern zu erwischen, zu prognostizieren, wie sie sie von rechts überholen könnte. Sie identifiziert sich viel mehr mit ihr, mit ihrer Form des „Als-ob-Verstehens“, die sie „an den angeeigneten Habitus der Arbeiter*innenkinder in Institutionen und Gesprächen [erinnert], die ihnen nicht ‚gehörenʼ; das ist mein Habitus, das ist der Habitus von KI, dem größten aller Arbeiter*innenkinder.“
Diese Personifizierung und Vermenschlichung, gegen die zu sträuben sie doch alle guten Gründe hätte, wird bei Josefine Soppa zur Chance, über die Materialität von Technik und Sprache nachzudenken, über die Reproduktionsarbeit, die notwendig ist, um beides am Laufen zu halten, über das Mitgefühl für die kleinsten Arbeiter*innenkinder von allen, die vom größten unter ihnen überdeckt zu werden drohen.
Die Zusammenführung der brutalen persönlichen Erfahrung, den eigenen Vater in einer Parkinsonerkrankung immer weniger werden zu sehen mit der Reflexion auf die poetischen Potenziale von auf großen Sprachmodellen beruhenden Anwendungen, die weiterhin mit der Schilderung einer Mutterschaft unter den Bedingungen von Verlust und Technokapitalismus angereichert wird, ist kühn. Verwendet man das Adjektiv kühn, geht es oft um einen gescheiterten Versuch und zu selten um einen großen Gewinn, so wie ihn die Lektüre von Klick Klack, der Bergfrau erwacht darstellt.
Sie zeigt, dass man über all diese Dinge zusammen reden kann oder vielleicht muss, wenn sie einen so existenziell angehen, und auch, wie das gehen könnte. Das geschieht nicht in der Annahme, dass man all diese Themen geschmeidig ineinander fügen kann:
„Vor einem Jahr war ich erstaunt über meinen Haarausfall und wollte diesen Zustand beschreiben und verbinden, wusste nicht, dass ein Text keine Verbindung braucht, sondern ein nächstes Wort, einen nächsten Satz, dass diese Berechnung des nächsten Wortes geschieht, ohne dass wir sie bemerken, dass Poesie immer Prognose ist, dass meine Sprache berechenbar ist. Dass vielleicht das einzige Ziel von Autorinnen noch sein kann, im Schreiben unberechenbar zu werden. Einen unberechenbaren nächsten Satz zu setzen.“
Es sind die Verben und Prädikate, die Sätze beweglich halten. Die Verben bestimmen, was die Subjekte in diesen Sätzen tun. Begibt man sich selbst als Subjekt in einen Text, bleibt einem nichts anderes übrig, als der Stärke der eignen Verben zu vertrauen: dass sie unter anderem Handlungen benennen, die ihren Wert nur durch die Ausführung mit dem Körper gewinnen, und als von einer Maschine ausgegebene Schrift gleichgültig sind.
„Ich lege mein Baby neben meinen Vater, ans Fußende, weil er es nicht halten kann und damit er sich nicht versehentlich wälzt, damit er die schwachen Fußtritte des Babys spürt und dadurch eine Begegnung hat.“
Legen, halten, wälzen und spüren, eine Begegnung haben.
„Ich vertraue meinen Verben“.
Dieses Vertrauen ist das Gegenteil von Berechnung, denn es wurzelt in der Erfahrung einer Person, die schreibt. Dieses Vertrauen ist unberechenbar. Es gibt zwei Verben, die in der Nachbarschaft des Vertrauens eine wichtige Rolle spielen: verlieren und schenken. Wer angesichts von KI und Sprachkrise das Vertrauen in die Poesie zu verlieren droht, kann den heute hier ausgezeichneten Text lesen und sich trösten: Sie ist ja da, die Poesie, und zwar nicht nur diejenige, die eine Maschine geschrieben hat. Josefine Soppa hat sie geschrieben und nicht nur sich ein Geschenk gemacht, indem sie ihren Verben vertraut und damit den Wortmeldungen-Literaturpreis gewonnen hat. Beschenkt sind wir alle als ihr Publikum, das nach der Lektüre nie wieder einen Prompt wird schreiben können, ohne beim Erscheinen des Ergebnisses zu denken: Klick Klack, der Bergfrau erwacht.
Vielen Dank, Josefine Soppa, für diesen großartigen Text. Und herzlichen Glückwunsch zum Wortmeldungen-Literaturpreis 2025.
Erstellungsdatum: 17.06.2025