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Eine Aufforderung zum Handeln

Demokratie gestalten

Riccarda Gleichauf


Demokratie in Athen. Screenshot ZDF/Terra X/Gruppe 5/ wikimedia commons

Ohne Demokratie gibt es keine Freiheit, sich für etwas entscheiden zu können. Doch werden Fakten von Meinungen oft nicht mehr unterschieden. Die in der Anthologie „Demokratie gestalten“ versammelten Beiträge u.a. von Nicole Deitelhoff, Ina Hartwig und Mirjam Wenzel bestehen aus Momentaufnahmen unserer digital-kapitalistischen Zeit und betrachten diese aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Perspektiven mit dem Ziel, Reaktionen bei den Bürger:innen hervorzurufen. Denn: Demokratie lebt vom Diskurs, braucht Dialogbereitschaft. Mit der Wiedergabe des Vorwortes empfiehlt Riccarda Gleichauf das Buch.

 

Mit diesem Buch wollen wir unserer Haltung Ausdruck verleihen und einen Beitrag dazu leisten, dass unsere Demokratie gerettet wird: durch ein geschärftes Bewusstsein und einer Anleitung zum Handeln. Denn unsere Demokratie ist in Gefahr. Von rechts, von links, aus dem Inland wie aus dem Ausland. Die Demokratie ist die Lebensversicherung der Vielfalt. Damit sichert sie die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft. Sie gewährleistet, dass ein breites Spektrum unterschiedlichster Ideen wie praktische Handlungsoptionen verfügbar sind. Unsere Gesellschaft ist auf diese angewiesen, um auftretende komplexe Probleme zu lösen. Wir verstehen Demokratie als kulturelle Identität, als Teil unseres politischen Bewusstseins, resultierend aus dem Zeitalter der Aufklärung. Als Lebensform wirkt sie generationsübergreifend. Wir sind überzeugt, dass die Kraft der Demokratie auch genau daher rührt. Gerade in Zeiten, in denen an allen Ecken und Enden Selbstverständlichkeiten zu erodieren scheinen, ist es wichtig, dass es einen verortenden Bezugspunkt gibt, auf den man sich rückbesinnen kann, von dem aus man die Vielfalt, die Widersprüche, die Ambiguitäten, die Paradoxien, ja, das an vielen Stellen und vielen Momenten wahrgenommene Zuviel aushalten, verhandeln und einordnen kann. Die Demokratie ist dabei das Versprechen, dies in Freiheit tun zu dürfen.

Demokratie leistet das, auch wenn sie selbst unter Druck gerät. Man kann sich auf sie beziehen, sie kann Orientierung geben. Sie ist da, verlässlich, verfügbar, abrufbar. So ist das, wenn etwas eine kulturelle Identität besitzt. Sie ist erinnerbar als etwas, was uns viele Jahre ein gutes, freiheitliches Leben beschert hat. Und was ist es am meisten, nach dem sich der Mensch sehnt? Es ist die Freiheit, sich für etwas entscheiden zu können. Ein Jeder möchte in Freiheit sein Leben so führen, wie er sich das ausgemalt hat. Dies freilich in jenen Grenzen, die die Freiheit der anderen setzen und es der Rechtsstaat gestattet. Eine Demokratie braucht Rechtsstaatlichkeit. Sich auf die Demokratie zurückzubesinnen, bedeutet also auch der Freiheit zu huldigen, die ebenfalls unter Druck geraten ist. Die Freiheit der Selbstbestimmung ist gerade in diesen Zeiten wichtiger denn je. So ist es die Freiheit, die dazu geführt hat, dass Meinungen wichtig sind, dass man sie äußern darf. Wenn aber, massiv beschleunigt durch die Digitalisierung der Gesellschaft, die Meinung das Wissen und die Faktenlage ablöst, dann erscheint eine Beliebigkeit Einkehr zu halten, die am Ende die Grundlage der Demokratie gefährdet. Wenn man Fakten von Meinungen nicht mehr unterscheiden kann, weil die kulturelle Praxis bzw. ihre Techniken verloren gegangen zu sein scheinen, wie man sich dieses Wissen aneignet, dann läuft der Mensch Gefahr, trotz der oberflächlichen erscheinenden

Freiheit, diese zu verlieren, ja im Extremen eine steuerbare Figur zu werden. Geschieht dies, ist es auch nicht mehr möglich mitzubekommen, wenn Freiheit nur mehr bedeutet, dass Menschen zunehmend konsumierende Figuren auf dem Spielfeld des (Digital-)Kapitalismus sind. Sich für die Freiheit zu entscheiden, bedeutet auch, sich für den Mut der Reflexion und des Einwandes im Kontext der anderen auszusprechen.

Da, wo gestritten wird, da wo miteinander kommuniziert wird, findet kein Krieg statt. Der Kommunikationsabbruch ist zumindest ein optionaler Kipppunkt hin zur Option des Krieges. Demokratie muss im Verständnis wieder unsere zentrale Form des Miteinanders sein, eine gemeinsame Praxis, die sich niemals erschöpft und uns im Tun jene Freiheit schenkt, die uns wiederum diese Praxis erst ermöglicht. Dazu wollen wir anstiften. Wir setzen mit diesem Buch also die Demokratie als Wert, als Haltung, als Ermahnung und Erinnerung gegen die Unfreiheit. Dieses Buch ist gleichsam eine Einladung für den Diskurs und den Dialog, die beide sicherstellen, miteinander in Verbindung zu sein.

Die hier versammelten Beiträge sind eine Momentaufnahme dieser Zeit, Betrachtungen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Perspektiven, sie stellen eine streitbare Vielfalt – auch jede einzelne Perspektive – dar, auf die reagiert werden kann. Und es könnten auch ganz andere Beiträge sein, als jene, die sich hier finden. Dieses Buch ist also höchst kontingent, wie eben auch unsere Gesellschaft selbst – jedoch die Demokratie als Rahmen all dessen ist es aus unserer Perspektive nicht. 2022 riefen wir die Reihe „Demokratie gestalten“ aus Anlass des Paulskirchenjubiläums ins Leben. So erschien jeden Monat ein Essay im JOURNAL FRANKFURT zu unterschiedlichsten Aspekten der Demokratie. Wir wollten nicht nur zu den Feierlichkeiten eine Reihe von Debattenbeiträgen liefern, sondern bereits im Vorfeld und weit darüber hinaus. Demokratie ist nicht nur ein Thema für Jubiläen. Die Beiträge sind bunt und vielfältig wie unsere Stadtgesellschaft auch. Sie sind die Basis dieses Buches, das mit seinem Titel „Demokratie gestalten“ Lust darauf machen soll, selbst aktiv zu werden. Eine Demokratie lebt von aktiven Bürgerinnen und Bürgern. Als solche verstehen wir uns als Herausgeber dieses Buches auch: Als Vorstandsvorsitzender einer in den Werten der Aufklärung verankerten Stiftung, die sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit einhergehend mit dem Thema Demokratiebildung in Frankfurt einsetzt, als Chefredakteurin eines jahrzehntelang etablierten Stadtmagazins in dieser Stadt, dessen Grundlage stets das informierende, reflektierende und kritische Gesellschaftsgeschehen ist sowie als Buchautorin, verankert in der internationalen Kunst- und Kulturszene, und Mitinitiatorin des Netzwerkes Paulskirche in Frankfurt am Main.

Frankfurt setzt sich als Stadt schon immer konsequent für die Freiheit ein, die sie selbst früh erlangte und stets zu schätzen wusste. Unabhängigkeit hat ihren Preis, und den entrichten die Bürgerinnen und Bürger der Stadt gern, denn sich für Freiheit einzusetzen, rentiert sich. Freiheit gibt es nicht ohne Demokratie; sie ist das einzige System, das Freiheiten unterstützt und ermöglicht. In Frankfurt ist Demokratie Tradition. Unsere Paulskirche, Ort der Nationalversammlung von 1848, die ein Jahr später die erste demokratische Verfassung in Deutschland verkündete, gilt bekanntlich als „Wiege der Demokratie“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut steht ihr Bau für den demokratischen Neuanfang. Eine Ehre durchaus, aber vor allem Verpflichtung. Frankfurt entwickelte sich von der mittelalterlichen Provinzstadt zur souveränen „Freien Stadt“ und schließlich der heutigen global ausgerichteten Wirtschaftsmetropole. Frankfurt ist in seinem Handeln, seiner Mentalität, seiner Struktur fortschrittlich und weltoffen, gibt Tendenzen vor und ist immer einen Schritt voraus. Nun auch in der Debatte um Demokratie. Als internationale und diverse Stadt hat Frankfurt die paradiplomatische Möglichkeit, dies in die Welt zu tragen.

Unser Anspruch muss sein, weiter kraftvolle, positive Geschichten des demokratischen Gelingens zu erzählen, anstatt in zufriedene Untätigkeit zu verfallen. Wir müssen uns viel mehr als bislang für das Gemeinwesen engagieren, und wenn es uns um eine demokratischere Gesellschaft geht, ist generell die richtige Zeit immer jetzt!

Frank E. P. Dievernich
Jasmin Schülke
Paula Macedo Weiß

 

Mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Frankfurter Allgemeine Buch.

Frank E. P. Dievernich, Jasmin Schülke, Paula Macedo Weiß (Hrsg.)
Demokratie gestalten
Eine Aufforderung zum Handeln
208 S., geb.
ISBN: 978-3-96251-182-1
Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt a. M. 2024
 
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Erstellungsdatum: 15.12.2024