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Ein Interview mit Helmut Ortner

In einer Zeit, in der rechte Populisten und die AfD die deutsche Erinnerungskultur beenden möchten, wendet sich Helmut Ortner in einem Mailinterview mit dem Soziologen Patrick Allgöwer gegen jede Verharmlosung und Relativierung der NS-Vergangenheit. Die „Entsorgung“ der NS-Zeit“ will er nicht akzeptieren.
Sie beschreiben in Ihren Texten die breite Zustimmungs- und Mitmach-Mentalität der Deutschen während der nationalsozialistischen Diktatur. Wie denkt die heutige Generation der Deutschen darüber?
Helmut Ortner: „Viele Deutsche waren beteiligt an Nazi-Verbrechen. Ganz nach Goebbels Losung: „Volkgemeinschaft und Schicksalsgemeinschaft“. Das Regime erwartete und belohnte Opportunismus, Zustimmung und Anpassung. Es waren nur wenige, die sich gegen die Mehrheit stellten.Bleibt die Frage: Wie konnte sich Deutschland zu einer menschlichen Maschinerie des Zerstörens, Eroberns und Mordens entwickeln? Wie konnte das geschehen, fragt der Historiker Götz Aly. Das fragt sich auch die heutige, jüngere Generation. Warum beteiligten sich ihre Väter und Großväter an dieser nationalsozialistischen Barbarei? Was machte sie zu Mit-Läufern, Mit-Profiteuren und Weg-Sehern? Zu Tätern und Komplizen? Die Antwort ist ebenso schlicht wie beschämend: „Weil die Menschen damals so waren, wie wir heute sind.”
Sie wenden sich vehement gegen eine „Entsorgung“ der NS-Zeit, auch gegen eine Umdeutung der „Vergangenheits-geschichte“, wie sie die AfD fordert …
„Das Beenden unserer Erinnerungskultur gehört zum Weltbild der AfD. Sie nennt die Verbrechen der Nationalsozialisten vor dem Hintergrund der „tausendjährigen deutschen Geschichte” einen „Vogelschiss“, wie es ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland getan hat, und fordern eine „180-Grad-Wende“ in Erinnern der deutschen Geschichte, wie es Björn Höcke formulierte. Aus den Hitler-Deutschen wird ein „verführtes deutsches Volk“, aus Tätern und Mit-Tätern – werden einfache pflichtbewusste Soldaten und patriotische Befehlsempfänger, der Widerstand gegen das Hitler-Regime – zumal des Widerstands aus dem kommunistischen Umfeld – wird als Verrat an der Heimatfront denunziert. Eine Vergangenheitsinterpretation, die NS-Verbrechen negiert, verharmlos und umdeutet. Es geht um die Entsorgung der NS-Zeit. Das sollten und dürfen wir nicht akzeptieren.“
Die AfD wird gerne in die Nähe der NSDAP gerückt. Für wie statthaft halten Sie diesen Vergleich?
Die AFD ist nicht die NSDAP. Jeder Vergleich ist schlicht und geschichtsvergessen. Wir sind nicht im Jahr 1933, und nicht alle, die der AfD ihre Stimme geben, sind „Nazis“. Aber wer wählt, muss sich vorwerfen lassen, rechtsradikale und rechtsextremistische Politiker mit weitreichenden parlamentarischen Legitimationen und Eingriffsmöglichkeiten auszustatten. Ich nehme die AfD-Wähler dafür ausdrücklich in Mithaftung.
Unsere liberale Demokratie nimmt schleichend, aber sichtbar Schaden. Radikalisierung und Demokratieverachtung findet sich nicht mehr nur den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaft. Ein beängstigender Befund. Man muss ja nur einmal das im Jahr 2015 eröffnete NS-Dokumentationszentrum in München besuchen, um zu sehen, wie schnell so etwas gehen kann, wie damals, in den Zwanziger- und Dreißigerjahren, plötzlich ganz normale Bürger zu Weg-Sehern, Mit-Machern und Mit-Tätern wurden, als Hitlers Deutsche der kollektiven Barbarei verfielen. Wir sollten uns daran erinnern: Verbrechen und Mordtaten haben keine Außerirdischen verbrochen, die Mörder und Schergen waren ganz normale Menschen und kamen aus allen Schichten der Bevölkerung. Hitler war nicht über die Deutschen gekommen, die Deutschen waren zu Hitler gekommen.”
Sie befassen sich in Ihren Beiträgen oft mit Hitler-Deutschland. Im Februar erscheint Ihr neues Buch „GNADENLOS DEUTSCH“. Kann man da überhaupt noch Neues erfahren?
„Ich schreibe für die „Heutigen“, die vielen Unwissenden, die Ahnungslosen und Gleichgültigen. Meine Texte sind vor allem der jüngeren Generation zur Lektüre empfohlen, die in der Beschäftigung mit der deutschen Geschichte lernen wollen, statt Lehr- und Merksätze zu notieren. Diese heutige, schuldlose Generation hat nur eine Verpflichtung: Sich zu erinnern!”
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Im Februar erscheint, das neue Buch von Helmut Ortner:
GNADENLOS DEUTSCH
Täter, Helfer, Zuschauer – Und die Entsorgung der NS-Zeit
Alibri Verlag
Die Fragen stellte Patrick Allgöwer
Erstellungsdatum: 06.11.2025