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„It’s the same but different“ – „Es ist das Gleiche und doch anders“, sagt man im Englischen. Für Künstler, die die Erwartungen ihres Publikums nicht enttäuschen wollen, besteht in dieser Differenz der Freiraum ihrer Entfaltung. Und bei der Folk- und Country-Sängerin Mary Chapin Carpenter mit ihrer ausdrucksstarken Stimme, deren Artikulation nichts dem Zufall überlässt, sind darin noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft. PH Gruner hat sich ihre neue CD angehört.
Das 17. Album der unbeirrbaren Musikerin aus Virginia ringt einem eine Würdigung ihrer Persönlichkeit ab. Jede Kadenz aus „Personal History“ darf als kreative Provokation für eine solche Würdigung gesehen werden. In einer Zeit des permanenten künstlerischen Ich-Marketings und in einer Branche, die ihre Gewinne und ihr Gewicht aus der Politur von Image-Faktoren zieht, ragt MCC, wie sie sich gerne abkürzt – Mary Chapin Carpenter – deshalb heraus, weil sie all diese scheinbaren Gesetzmäßigkeiten des Marktes links und rechts liegen lässt und einfach geradeaus ihren Weg geht. Ikonisch weibliche Inszenierungen im global codierten musikalischen Rampenlicht wie sie Madonna, Rihanna oder Taylor Swift lieben und nutzen, sind ihr so fremd wie einem Braunbären die neueste E-Bike-Generation. Die kleine blonde Frau, inzwischen 67 Jahre alt, ist eine Anti-Ikone, die exakt dies genießt. Gratitude and solitude, Dankbarkeit und das Alleinsein (ergo: nicht Einsamkeit), stehen auf den biografischen Hinweisschildern, denen sie folgt.
Seit ihrem Platten-Debut von 1987 hat sie bei insgesamt 18 Grammy-Nominierungen immerhin fünf der begehrten Trophäen eingesammelt. Ihre Stilistik hat sich aus Country-infiziertem Akustik-Material weiterentwickelt zu Modern Folk und der ominösen Kategorie Americana. Diese Etiketten passen jedoch nur ausschnittweise, sie offerieren keinen Stempel, sondern stempeln ab. MCC ist als Sängerin und Songschreiberin unterwegs zwischen Folk, Rock und balladeskem Chanson. Vor allem ist sie Autorin: sie serviert viele kleine und dennoch stets bedeutsame, introspektive Geschichten und Einsichten in ihren Texten. Sie vertont Selbstbeobachtung und Selbstprüfung. Und sie lebt danach. Oder dafür. Wie man will. Jedenfalls hat sie die meiste Zeit ihres Lebens alleine verbracht, was beim Blick nach innen immer hilft. Kein Mann, keine Kinder, aber stets einen Hund. Und seit 20 Jahren im selben Haus zuhaus, ein Farmhaus mit klassischer Veranda und charismatisch weitem Blick auf die Blue Ridge Mountains im Bundesstaat Virginia, gelegen auf einem Hügelchen am Rande von Charlottesville. Auf jedem zweiten Album-Cover und in fast jedem Booklet sind das Haus und seine Lage, der Garten und die Blicke ins Land visuelle Gestaltungslemente, zeichnerisch oder fotografisch.
Erdverbundenheit, Unaufgeregtheit, Glaubwürdigkeit, Intensität, Selbstsuche und Selbstbestimmung: Jeder Liedtext seit „Time*Sex*Love“ von 2000 und „Between Here And Gone“ von 2004 holt die Selbsterfahrung von MCC auf das Niveau der Reflexion über das Leben und die Zeitläufte in der Moderne per se. Im Grunde wickelt MCC ihr Persönliches in das ethisch-philosophische Ganze. Sie schärft die Kompetenz, die Narration eines Fünfminutensongs von der Nasenspitze fort auf das Grundsätzliche zu spinnen, zu verallgemeinern, das Subjektive besonnen, unverkrampft und uneitel zu objektivieren. „Transcendental Reunion“ würde sie es nennen. „Between The Dirt And The Stars“ – dieser Songtitel von 2020 markiert ein Konzept und versinnbildlicht ein magisch metaphorisches Talent. Das inklusive und kontemplative „Wir“ in ihren Songs hebt das Trennende auf. Schicksal ist etwas für alle.
2012 schreibt sie mit „Ashes And Roses“ ein Album, das nach acht Jahren Ehe ihre Scheidung, den Tod ihres Vaters und das schwierige Überstehen einer Lungenembolie zum Thema macht. Mit „Personal History“ ist sie erneut so unverhohlen ganz bei sich wie damals, vor 13 Jahren. „Der Blick von hoch oben über die Landschaft des Lebens“, vokal unterstützt von Songschreiber-Legende James Taylor, beeindruckte damals die Feuilleton-Redaktion der FAZ und sie erklärte das Album kurzum zur „CD der Woche“. Ganz nett, aber im Grunde war dieser Silberling – thematisch, formal, literarisch wie musikalisch – eher die CD ihres Lebens.
Nach Jahren des Kontraktes mit Columbia Records wechselt Carpenter 2007 zu Rounder Records, einem eher alternativen Label, und seit 2016 produziert sie für ihr eigenes Label Lambent Light Records. Es geht um Kontrolle und um Freiheit. Um das Weglassen aller Marketing-Anforderungen. Ein weiterer Baustein jener unaggressiv-selbstbewussten Selbstorganisation, die ihr gesamtes künstlerisches Leben prägt. Seit dem Album „Sometimes Just The Sky“ (2018) reist sie für Plattenaufnahmen nach Bath in England zu den Real World Studios von Eigentümer Peter Gabriel.
Mit einer kleinen Gruppe ausgefuchst disziplinierter Musiker hat MCC dort auch wieder ihr aktuelles Album „Personal History“ eingespielt. Was zeigt das Back-Cover? Carpenter und ihren Hund von hinten, wandernd über den heimatlichen Hügel am Rande von Charlottesville, Virginia. Erwartbar? Absolut. Ansonsten Neues? Nein. Bewährtes? Ja. Überraschungen? Nur die der unbedingten Kontinuität. Langweilend? Keineswegs! Carpenter nutzt ihre kaum alternde Alt-Stimme besser denn je, mit feinem Timbre, behutsamem Vibrato, meidet weiter – mitunter leider – alles lauthals Expressive, singt mitunter ihr präzise artikuliertes Englisch als spräche sie am Telefon zu einem, direkt in die Muschel.
Die herausragend getexteten und stets klar durchhörbar vertonten Stücke konfigurieren ihren musikalischen Werdegang. Statusmeldungen zum Menschsein und Mensch bleiben. Inklusive, wie stets, einer Piano-Ballade. „The Night We Never Met“ ist eklatant ironisch und abgründig traurig in einem. Sollte in der Songlist für die schummrige Bar zum Must-have werden. Und im finalen Song „Coda“ geht es wieder um Alles oder Nichts, und darum, wie das Alles im Nichts aufgeht, wie der Einzelne tatsächlich auch mal göttlich wirken kann, durchaus, aber dennoch dabei nur die feine Linie markiert „between a gift and a mistake“.
Großartig. Ganz selten im populären Lied der Jetzt-Zeit werden menschenfreundlicher Skeptizismus, wortkräftige Aufrichtigkeit und spitzfindiger Fatalismus über Jahrzehnte so lecker kredenzt wie bei Mary Chapin Carpenter.

CD
Mary Chapin Carpenter:
„Personal History“
Lambent Light Records/Thirty Tigers, 2025
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Erstellungsdatum: 13.11.2025