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Jacques Offenbachs „Fantasio“ in Wiesbaden

Der Investor auf der Abrissbirne

Margarete Berghoff


Josefine Mindus (Theres), Mitglieder des Jungen Staatsmusicals und Gäste Foto: Thomas Aurin

Die Opéra-comique muss nicht komisch sein. Jacques Offenbachs selten aufgeführter „Fantasio“ geht zwar auf eine Komödie von Alfred de Musset zurück, aber der Komponist strebte eine anspruchsvoll-unterhaltende Umsetzung an, der die politische Doppelbödigkeit nicht abhanden kam. An der Staatsoper Wiesbaden haben die Regisseurin Anna Weber und die Dramaturgin Hanna Kneißler zu seiner Musik aber eine Kontrafaktur vorgenommen, eine erhebliche Überschreibung. Margarete Berghoff beschreibt das spektakuläre Ergebnis.

 

Das Königreich Bayern steht vor dem Staatsbankrott und möchte durch eine Heirat der Tochter des Königs mit dem Prinzen von Mantua wieder Geld in die leeren Kassen spülen und einen Krieg vermeiden. Ein Sujet, das in der Weltgeschichte viele Vorbilder findet. Die Zwangsehe wird aber durch den Studenten Fantasio vereitelt, denn er und die Prinzessin verlieben sich ineinander. Wie so oft in Offenbachs Werken siegen Menschen unterer Klassen über die obere Gesellschaftsschicht. Der Adel wird an der Nase herumgeführt und am Ende gibt es doch noch ein Einsehen und ein Happy End.

In Wiesbaden haben die Regisseurin Anna Weber und die Dramaturgin Hanna Kneißler eine Text-Überschreibung des Stückes gewagt. Auf die Musik von Offenbach haben sie eine ganz neue zeitbezogene Geschichte geschrieben. Hier ist es kein Staat, sondern ein Theater, das pleite ist und deshalb einen Investor sucht und diesen auch schnell findet. Zusätzlich zum Theaterkauf besteht er darauf, Theres (Josefine Mindus), die Tochter des Theaterkönigs (Fabian-Jakob Balkhausen) zu heiraten. Der Vater willigt ein. Prinz, der Investor (Jack Lee) hat aber heimliche Pläne. Er will das Theater abreißen lassen, um an gleicher Stelle ein privates Schloss für sich zu bauen. Fantasio, (Fleuranne Brockway), eine Studentin und Anführerin einer Studentenrevolte, entlarvt den Betrug. Die Studenten kämpfen mit vereinten Kräften und Erfolg für den Erhalt des Theaters und die Befreiung von Theres aus den Klauen des Investors.


v.l.n.r.: Camille Sherman (Fantasio), Galina Benevich (Theres), Inna Fedorii (Flamel), Mitglieder des Jungen Staatsmusicals und Gäste Foto: Thomas Aurin

Der Chor hat viel zu tun. Er erscheint immer wieder in großen bunten Kostümen. Bewegt sich gekonnt in den interpretierenden Choreographien von Paulina Alpen.

Unterstützt wird der Chor von Mitgliedern des jungen Staatsmusicals und Gästen, so dass es manchmal ziemlich eng auf der Bühne wird.

Jacques Offenbach hat mehrere Jahre, unterbrochen von Krieg und Krankheit an „Fantasio" gearbeitet. Seine Musik zeigt sich hier weniger „offenbachianisch“. Nicht wie gewohnt laut und schrill und voller wilder Galoppe, sondern eher lyrisch und fein. Schöne Melodien und breite orchestrale Partien und Untermalungen. Der Dirigent Chin-Chao Lin scheint diese Musik zu lieben, wendig und voller Leidenschaft dirigiert er das fantastische Orchester. Beim Applaus wirkt er so erfreut und erfüllt, dass man für einen Moment meinen könnte, Jacques Offenbach sei wieder auferstanden.

Die Regie von Anna Weber treibt die Geschichte und besonders sichtbar die Entwicklung der Personen voran. Fantasio erkennt, dass es sich lohnt, für seine Überzeugungen zu kämpfen. Prinz, der Investor, fragt sich in einer Arie, warum er nicht geliebt wird, trotz seines „Großgönnertums“. Im Finale singt er, einsam auf einer bedrohlich schwingenden Abrisskugel sitzend, die hier allerdings nur aus Pappmaché besteht. Alles hat sich gegen ihn gewendet und er tritt von seinem Kaufvertrag zurück. Mit Schnelligkeit, Leidenschaft, Innehalten, Nachdenken, und großem Ideenreichtum vollziehen sich diese Wandlungen.

Anna Weber arbeitet mit kleinen Details, die sich eindeutig vermitteln und den Personen ihre Einzigartigkeit geben. Der verzaubernden Fantasiewelt des Theaters wird hier eine besondere Bedeutung gegeben. Fantasie, nicht nur als bereichernder Selbstzweck, sondern als Experimentierfeld und Motor für anstehende Veränderungen.

Die spürbar gute Zusammenarbeit zwischen der Regisseurin, der Bühnenbildnerin und der Kostümbildnerin ist der Arbeit anzumerken.

Am Ende entdecken Fantasio und Theres das Publikum und sprechen es direkt an: Ein Dankeschön und gleichzeitig die Aufforderung, kämpft für uns und für das Theater.

Das macht deutlich, dass auch wir als Zuschauer*innen und Zuhörer*innen Verantwortung tragen für den Erhalt von Kunst Kultur und Theater. Nutzen wir dafür unsere Fantasie.

 

 

Nächste Vorstellungen am 9. und 23. März

 

https://www.staatstheater-wiesbaden.de/spielplan/a-z/fantasio/

 

Jacques Offenbach
Fantasio
Opéra-comique in drei Akten (1872)
Libretto von Paul de Musset und Charles Nuitter nach der Komödie von Alfred de Musset, in einer Übersetzung von Carsten Golbeck, Fassung von Anna Weber und Hanna Kneißler
 
Besetzung:
Musikalische Leitung:
Chin-Chao Lin/Holger Reinhardt
Inszenierung:
Anna Weber
Bühne:
Sina Manthey
Kostüme:
Laura Kirst
Choreografie:
Paulina Alpen
Licht:
Marcel Hahn
Chor:
Albert Horne
Dramaturgie:
Hanna Kneißler
 
 
Fantasio: Fleuranne Brockway/Camille Sherman
Theres: Josefine Mindus/Galina Benevich
Ein Prinz: Jack Lee
Marinoni: Sascha Zarrabi
König vom Theater: Jonathan Macker/Fabian-Jakob Balkhausen
Flamel: Inna Fedorii
Rutten: Michael Birnbaum
Sparck: James Young
Facio: Joshua Sanders
Hartmann: Wooseok Shim
Bühnentroll: Martin Stoschka/John Holyoke
Mitglieder des Jungen Staatsmusicals & Gäste:
Marei Bär/Tara Daphne Bethke/Pauline Bischoff/Noemi Brumbach/Rosali Bördner/Merve Senol/Charlotte Kühn/Zoe Krawinkel/Denise Moser/Fabiana Renker/Elena Simeonova
Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden

Erstellungsdatum: 01.02.2025