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Romanauszug

Der Teufel

Andreas Maier


TV-Testbild ab 1967, Foto: Pixabay

Im zeitlichen Abstand erst wird deutlich, was für einen ungeahnten Einfluss das deutsche Fernsehprogramm in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die Gemüter der heranwachsenden Generation hatte. Die künstliche Schlagerseligkeit, die angestrengte Fröhlichkeit, die als ‚volkstümlich’ verkauft wurde, hat sich ihr, zumeist mit einer unüberwindlichen Distanz, ins Gedächtnis gelegt. Andreas Maiers Reminiszenz erinnert daran, worauf wir gerne verzichtet hätten.

 

Das mal wieder kranke Kind im Bett der Eltern, lassen wir es für das folgende fünf sein, ist in seinen Fernsehgewohnheiten bereits so gestählt, daß es morgens hinnimmt, was auch immer kommt. Sogar der Blaue Bock, der manchmal um acht Uhr morgens wiederholt wird, wird hingenommen und dem Nichtschauen vorgezogen. Das kranke Kind liegt im Bett und schaut Heinz Schenk, Roy Black und Ivan Rebroff, die allesamt von Dingen singen, die das Kind nicht verstehen kann, die Getränke trinken, die für das Kind völlig unbekannt sind, und die massenhaft Zigaretten und Pfeifen und Zigarren rauchen, ohne daß im Zimmer je davon zu riechen wäre. Nichts davon entstammt dem Zimmer, dem Haus, der Straße und dem Ort, in dem sich das Kind befindet, aber es strahlt zugleich aus zahllosen Bildschirmen in die diversen Zimmer des Ortes hinein, und die Mutter sagt: Auch drüben in Bad Nauheim sitzt jetzt der Onkel vor dem Bildschirm und schaut den Blauen Bock.

Der Onkel hatte dann nämlich an diesem Tag Spätschicht und am morgen noch frei.

Das Kind liegt hinter zugezogenen Stores (sie werden alle vier Wochen gewaschen) im leeren Schlafzimmer im ersten Stock des aus Firmengeld neugebauten Hauses auf dem ehemaligen Familiengrundstück der Familie Boll in Friedberg in der Wetterau, noch spricht es nicht viel, noch sitzt es meist stumm da, und wenn Verwandte kommen, hat es vor denen grundsätzlich Angst. Es schaut, ohne zu verstehen, allein, aber ohne sich einsam zu fühlen, den Blauen Bock.

Erstellungsdatum: 30.07.2024