Zakir Hussain ließ die Tablaklänge rollen, grollen, singen und tanzen und machte aus seinem Schlagwerk ein Melodieinstrument. Als virtuoser Techniker und sensibler Musiker beeinflusste er ganze Musikergenerationen. Im Gespräch mit Clair Lüdenbach erzählte er von seiner Familie und den Veränderungen in der indischen Klassik.
Es war in Kolkata im Herbst 1973, als ich Zakir Hussain zum ersten Mal im Konzertsaal „Rabindra Sadan“ hörte. Für mich war es überhaupt das erste Konzert nach meiner Ankunft in Kolkata, wo ich einige Zeit leben wollte. An diesem Abend traten viele bedeutende Instrumentalisten und ihre Tablabegleiter auf. Man sah und hörte die unglaublichste melodische und rhythmische Virtuosität. Seit damals ist mir der junge Tablaspieler Zakir Hussain in Erinnerung. Als er in den 60er Jahren an der Seite Ravi Shankars sein Debüt hatte, war schnell klar, dass er keinen berühmten Protegé brauchte. Seine unglaublich virtuose Klangsprache revolutionierte die rhythmische Performance in der indischen Klassik. Die großen, dunklen Knopfaugen und der wilde Lockenkopf verzückten vor allem viele junge Zuhörerinnen. Danach begegnete ich dem erfolgreichen Jungsolisten noch viele Jahre im Konzertsaal. 30 Jahre später konnte ich ihn zum ersten Mal für ein Interview nach einem Konzert mit Shakti und John McLaughlin in Darmstadt treffen. Seine unkomplizierter Umgangsweise, völlig ohne Starallüren – in Indien galt er als Megastar – beeindruckten mich aufs Neue. Zehn Jahre später machte ich in Köln ein weiteres Interview mit ihm. Und nun, nach gut weiteren zehn Jahren, ist Zakir Hussain in seiner Wahlheimat Kalifornien gestorben.
Zakir Hussain war der erste Sohn der Familie, nachdem zehn Jahre zuvor zwei Schwestern geboren waren. Einige Jahre später bekam Zakir noch zwei Brüder, die ebenfalls Tablaspieler wurden, aber nie an die Meisterschaft des großen Bruders herankamen. Immer wieder treten die Brüder gemeinsam auf, oder Zakir spielt in den Fusionbands seiner Geschwister. Während Zakir den Nachnamen Hussain trägt, behielten die Brüder Fazal und Taufik den ursprünglichen Familiennamen Quaraishi. Wobei der Vater diesen Namen auch ablegte und sich einfach Alla Rakha nannte.
In unserem Gespräch betonte der Künstler, immer noch ein Lernender zu sein:
Ich lerne immer noch, um ein besserer Tablaspieler zu werden. Ich bin immer noch ein Schüler. Mein Vater sagte mir, sei ein guter Schüler und versuche nicht, ein Guru zu werden, dann ist alles in Ordnung. Es war eine sehr richtige Bemerkung, denn man geht jeden Tag raus und lernt dazu. Man sieht Dinge, die einen Inspirieren, und dann schaut man auf das, was man selbst macht, in einem anderen Licht, mit den Augen und den Ohren eines Anderen. Wenn so etwas passiert, dann wächst man als Künstler. Und ich hoffe, dass so ein Wachstum weiterhin geschieht. Insofern hat sich nichts geändert, aber mein Blick auf die Welt ist klarer geworden.
Wenn der bedeutendste lebende Tablaspieler sich als Schüler bezeichnet, dann klingt das wie ein Understatement, aber es entspricht seiner Persönlichkeit. Denn wie nur wenige Künstler hat er keine Starallüren und geht mit offenen Ohren durch die Welt. Diese Offenheit und sein unbestreitbares Können befähigen ihn, von den jungen Tablaspielern, die ihm seit Jahrzehnten nacheifern, zu lernen. Die wichtigste Grundlage für diese sinnliche Wachsamkeit lernte er durch seinen Vater Alla Rakha, der ihn liebevoll lehrte und leitete. Aber vielleicht noch bedeutender für seine Persönlichkeitsentwicklung war seine Mutter, eine einfache muslimische Hausfrau. Sie hatte früh erkannt, dass man Bildung brauchte, um als internationaler Künstler bestehen zu können. Denn ihr Mann Alla Rakha konnte nicht lesen und schreiben und fühlte sich daher im großen Showgeschäft an der Seite von Ravi Shankar häufig verunsichert. Welche Ausbildung hatte denn die Mutter?
Sie ging überhaupt nicht zur Schule. Doch ich würde sagen, dass sie mehr Bildung besaß als viele gebildete Menschen. Obwohl sie nie eine Schule besuchte, sorgte sie dafür, dass wir das aber taten. Sie sorgte dafür, dass wir lernten und alles erhielten, so dass wir in der Welt bestehen konnten: dass wir kommunizieren und uns auseinandersetzen konnten, denn mein Vater war immer auf Reisen. Es war unsere Mutter, die uns großzog. Sie passte auf uns auf und sorgte dafür, dass wir alles Notwendige erhielten. Für jemanden, der überhaupt keine Bildung besaß, war all das wirklich erstaunlich. Meine Mutter erzählte mir, dass mir mein Vater, wenn er mich als Baby getragen hat, Rhythmen ins Ohr sang. Auf diese Weise begann mein Training schon als ich sehr jung war. Das waren geistige Übungen, und als ich drei Jahre alt war, spielte ich schon ein bisschen, denn ich spielte schon mit sieben auf der Bühne. Als ich dann zwölf Jahre alt war, begann ich als professioneller Musiker. - Ich ging auch zur Schule. Das Training war in dem Sinne schwierig, als mein Vater mich um drei Uhr nachts weckte und mich dann unterrichtete. Denn um diese Zeit ist es sehr still, alle schlafen und es gibt keine Störungen. Er kam um diese Zeit von seinen Konzertauftritten und weckte mich dann für den Unterricht. Ich lernte dann mit ihm etwa drei Stunden und ging dann um sieben in die Schule. Bis zwei, drei Uhr war ich in der Schule, dann kam ich nach Hause und begann zu üben, machte meine Hausaufgaben, hatte mein Abendessen und ging schlafen.
Weil Ravi Shankar in Kalifornien lebte, wohnte auch bald Zakirs Vater Alla Rakha dort. So wurde Amerika das zweite Zuhause für die Familie. Ich fragte, ob das seine Karriere förderte.
Ich hatte Glück. Ich war jung, als ich studierte. Aber Indien änderte sich auch damals in den 60er Jahren. Es gab im Westen ein großes Interesse an Indien. Mein Vater brachte mir damals viele Platten und Kassetten mit, und die hörte ich an und wurde davon beeinflusst. Gleichzeitig gab es die indische Filmmusik. Die Filmmusik war immer eine Kombination von indischer Musik und westlicher Musik. Orchester spielten mit indischen Musikern, und ich wuchs mit indischen Filmen auf. Daher war ich schon daran gewöhnt, mit westlichen Instrumenten zu spielen. Als ich in Amerika ankam, war ich 18, ich war jung und hatte schon 15 Jahre meine Musik studiert, darin war ich trainiert und verwurzelt. Ich glaube, es war eine ideale Kombination von Jugendlichkeit und Tradition. Dadurch konnte ich mich leicht unter westliche Musiker mischen, mich einpassen und mit ihnen arbeiten. Und durch den bekannten Namen meines Vaters traf ich viele Musiker und arbeitete mit ihnen, wie zum Beispiel John McLaughlin 1974. Und schon 1975 spielten wir zusammen. Das ist eine lange Zeit. Micky Hart, Ola Tunci und Airto Moreira, all diese Leute traf ich in Kalifornien und arbeitete mit ihnen. Ich war am richtigen Ort zur richtigen Zeit, und ich war jung und wollte all das. Es funktionierte.
In Indien war Zakir Hussain der höchstbezahlte Tablaspieler. Vor allem aber ist sein Honorar nicht an das des Instrumentalisten oder Sängers gebunden, sondern er ist ein eigenständiger Starinterpret. Bis heute erhalten viele Begleiter auf den Rhythmusinstrumenten nur 10% der Gage des jeweiligen Künstlers, den er begleitet. Ravi Shankar stellte als Erster seine Begleiter in den Mittelpunkt und machte sie zu eigenständigen Solisten. Für Zakir Hussain gab es damals drei große Tablapersönlichkeiten, die ihm Vorbild waren:
Das war mein Vater Alla Rakha, Kishan Maharaj und Shanta Prasad. Das waren wirklich unglaubliche Persönlichkeiten, die konnten wirklich Tabla spielen. Und nicht nur Tabla spielen, sondern sie spielten Tabla mit der Arroganz, dem Ego, einer ungeheuren Selbstsicherheit, die wussten genau, was sie machten. Dass die im Hintergrund bleiben sollten, nein, das kam nicht in Frage.
Mit Zakir Hussain begann in den 70er Jahren eine neue Zeit. Seit Beginn der 90er Jahre hat sich Indien in jeder Hinsicht gewandelt. Hat sich damit auch die Musik verändert?
Es ist mehr universal. Zum Beispiel gehöre ich noch zur alten Schule, deshalb schaue ich nur mit großer Zurückhaltung ins Repertoire anderer Meister oder auf die Lehrmethode anderer Gurus. Aber die jungen Leute heute haben damit kein Problem, die wollen alles lernen, sehen und verstehen. Und wenn die dann zu mir kommen und ich ihnen was erzähle, dann sagen sie: aha, es ist so ähnlich wie der das macht. Sie erklären es dann auf eine Art und Weise, die ein eher multidimensionales Verständnis meiner Arbeit offenbart. Denn sie sehen es aus meinem Blickwinkel und dem der anderen Meister. Heute ist es so einfach zu lernen, ganz egal ob über You Tube, oder bestimmte Websites, Audioaufnahmen, Videos, egal wie.
Entstehen, unabhängig vom Ausdruck, auch neue Rhythmen?
Es entstehen keine neuen Rhythmen, aber neue Muster, und neue tonale Texturen. Denn heute, sogar innerhalb der letzten zehn Jahre, sind die Instrumente verbessert und verfeinert worden. Es gibt verschiedene Verfahren, um aus der Tabla ein besseres Instrument zu machen, ein resonanzstärkeres Instrument, ein genauer stimmbares Instrument. Wenn man so etwas mit der Hand macht, dann ist es schwierig, eine Balance herzustellen, denn man verwendet ja keine Maschine. Jetzt hat man einen Weg gefunden, um eine gute Balance und eine gute Stimmung herzustellen. Man hat einen Weg gefunden, die Paste für die Stimmung auf eine mehr mathematisch-wissenschaftliche Weise aufzutragen, damit wurde die Tonhöhe genauer als je zuvor. Das lässt die Resonanz richtig aufblühen. Wenn das passiert, dann hat man selbst viel mehr Möglichkeiten der Anwendungen und des Genusses.
In Indien bekomme ich immer die Antwort: Unsere Musik kann man nicht verändern. Gleichzeitig höre ich aber, dass sie sich ändert. Ist diese Antwort eine Art Selbstschutz?
Nein, kein Selbstschutz. Ich glaube, man möchte die Bedeutung dessen, was sie machen, konservieren. Wenn man zum Beispiel mit einem Schüler über seinen Guru spricht, dann spricht man über ihn, als wäre er ein Gott. Das ist sehr wichtig. Ein Teil davon ist Verehrung und ein Teil ist Hingabe, diese Art von Verständnis, was der eigene Guru bedeutet. Aber ein Teil davon ist auch eine Art Eigendünkel innerhalb dieser Verbindung und ebenso auch ein Selbstzugehörigkeitsgefühl. Das gibt dir eine Identität. Wenn man also so reagiert und sagt, dies ist die Tradition und kann nicht verändert werden etc. ... , dann heißt das: Ich identifiziere mich mit dieser alten Geschichte, und sie ist ein Wert an sich, eine legitimierte Behauptung. Gleichzeitig aber stellst du fest, dass du als ein Unterhaltungskünstler mit deinem Publikum kommunizieren musst. Aus diesem Grund musst du einen Weg finden, um zu interagieren und dadurch wirst du dich verändern, und die musikalische Sprache sich ein bisschen anpassen, um mit den Zuhörern sprechen zu können. In diesem Sinne sind die jungen indischen Musiker viel offener. In Indien werden Sie immer auf Musiker treffen, deren musikalischer Horizont noch nicht über die Schwelle ihres Hauses reicht. Und das sind diejenigen, die sich ständig fragen, sollte ich stehen bleiben oder mich einfach gehen lassen? Sie sind unsicher. Sie haben noch nicht begriffen, dass man, wenn man loslässt, nicht losgelöst ist. Das heißt ganz einfach, man ist Träger eines sehr wertvollen Erbes. Man trägt es dorthin, wo man es mit anderen teilen kann.
Erstellungsdatum: 17.12.2024