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Ausstellung Berlin Claude Lanzmann. Die Aufzeichnungen

Zum 100. Geburtstag von Claude Lanzmann (1925–2018) – dem herausragenden französischen Journalisten, Filmemacher und Chronisten der Schoa – präsentiert das Jüdische Museum Berlin (JMB) eine Ausstellung, die Geschichte hörbar macht: Claude Lanzmann. Die Aufzeichnungen.
„Wir sind stolz darauf, dass wir das Audio-Archiv zu Lanzmanns weltberühmtem Dokumentarfilm Shoah (1985) erstmals öffentlich zugänglich machen“, so Hetty Berg, die Direktorin des JMB.
Die Aufnahmen dokumentieren die zahlreichen Gespräche, die Lanzmann und seine Mitarbeiterinnen Corinna Coulmas und Irena Steinfeldt-Levy in den 1970er Jahren während der mehrjährigen Recherchen vor Beginn der Dreharbeiten führten – mit Überlebenden, mit Tätern und mit Dritten. Shoah prägte international die Wahrnehmung des Massenmords an den europäischen Juden. Der Film ist 9 Stunden 26 Minuten lang und enthält kein historisches Bildmaterial.
„Ende 2021 schenkte die Association Claude et Felix Lanzmann (A.C.F.L.), vertreten durch Dominique Lanzmann, dem JMB Lanzmanns Audio-Archiv“, erzählt Hetty Berg. „Das bildet nun unsere Sammlung Lanzmann, an deren Erschließung wir seitdem arbeiten. Die Sammlung Lanzmann zählt seit 2023 gemeinsam mit Shoah zum UNESCO-Weltkulturerbe.“ 2022 kamen weitere Kassetten hinzu, insgesamt handelt es sich um mehr als 220 Stunden Tonmaterial. Das JMB hat die 152 Audiokassetten digitalisiert und die Audiomitschnitte transkribiert. Ab Ausstellungsbeginn werden die ersten Aufnahmen mit deutschen und englischen Übersetzungen in einer Online-Edition für alle Interessierten zugänglich sein; in den in der Ausstellung zu hörenden Interviews sprechen die Beteiligten Französisch, Deutsch, Englisch, Hebräisch, Jiddisch und Polnisch. Bis Ende 2027 wird der sukzessive Veröffentlichungsprozess abgeschlossen sein.
Kuratorin Dr. Tamar Lewinsky erläutert: „Die Ausstellung lädt die Besucher*innen zu einem besonderen Hörerlebnis ein: Ausgewählte Originalaufnahmen folgen den Recherchen Lanzmanns und geben Einblick in das vielschichtige Erinnern an die Schoa in den 1970er Jahren.“ Die visuell zurückhaltende Gestaltung fördert das genaue Zuhören. Insgesamt sind in der Ausstellung rund 90 Minuten Tonmaterial zu hören.

Die Besucher*innen können sich mit Kopfhörern frei im Raum bewegen, sich in einen der Hörbereiche begeben und sich individuell in die sechs ausgewählten Themenschwerpunkte vertiefen, die präsentiert werden: Im ersten Kapitel spricht Lanzmanns mit anderen über sein Projekt und darüber, was es in finanzieller, methodischer und psychologischer Hinsicht für ihn bedeutet. Im zweiten Kapitel kommen Gesprächspartner zu Wort, die er später nicht gefilmt hat, weil sie abgesagt haben. Es folgt ein Kapitel über die Täter und wie sie ihr eigenes Tun reflektiert oder eben nicht reflektiert haben und wie Lanzmann sie zum Sprechen gebracht hat. Das vierte Kapitel widmet sich dem Holocaust in Litauen, stellvertretend für die vielen Forschungsthemen, die letztlich nicht in den Film gekommen sind. Im fünften Kapitel geht es um die Reise nach Polen 1978: Lanzmann besucht zum ersten Mal die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und andere Orte und spricht mit Zeitzeugen. Im sechsten Kapitel unserer Ausstellung werden dann ausgewählte Ton- und Filmaufnahmen aus dem Rohmaterial miteinander konfrontiert.
Auf Monitoren laufen Transkriptionen und Übersetzungen aus den unterschiedlichen Sprachen mit, in denen die Gespräche geführt wurden. Die Aufzeichnungen geben auch die Hintergrundgeräusche der verschiedenen Gesprächssituationen wieder, zum Beispiel Geschirrklappern, Kinderstimmen oder Schritte. Dadurch entsteht eine jeweils besondere Atmosphäre, in der jedes Geräusch von den Besucher*innen auf eine potenzielle Bedeutung hin geprüft werden kann. Originaldokumente aus dem Privatarchiv von Claude Lanzmann, ein Videointerview mit Lanzmanns Mitarbeiterinnen, das das JMB 2025 aufgenommen hat, sowie andere Dokumente und Filmaufnahmen unterstützen dabei, die Aufnahmen einzuordnen.
„Es liegt mir sehr am Herzen, dieses wichtige Projekt zu unterstützen. Angesichts der beschämenden Zunahme des Antisemitismus und angesichts des Verlustes der letzten Zeitzeugen sind wir alle aufgefordert, die Erinnerung an die Schoa zu stärken und Räume zu schaffen, in denen Geschichte erlebt und reflektiert werden kann. Mit der Förderung der Vermittlungsarbeit zu Claude Lanzmanns Audio-Archiv möchten wir als Auswärtiges Amt zur Erhaltung und Weiterentwicklung unser Erinnerungskultur beitragen“, sagt Außenminister Dr. Johann Wadephul.
Lena Altman, Co-CEO der Alfred Landecker Foundation: „Das Lanzmann-Audio-Archiv bewahrt einzigartige Zeugnisse des 20. Jahrhunderts – Stimmen von Überlebenden des Holocaust ebenso wie von Tätern. Es zeigt, was Erinnerung leisten kann, wenn sie das Grauen durch die Stimmen derer erfahrbar macht, die es erlitten, bezeugt oder auch verursacht haben. In einer Zeit, in der die letzten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen verstummen und Antisemitismus wieder wächst, ermöglicht das Archiv den Zugang zu diesen Stimmen und hält ihre Geschichten im Bewusstsein kommender Generationen lebendig.“
„Claude Lanzmann gehörte zu den ersten französischen Intellektuellen, die die Annäherung zwischen unseren beiden Ländern nach dem Krieg unterstützt haben, denn er wusste, dass die Kultur, die Kunst und das Wissen nie den Nazis gehört hatten und dass die europäische Einigung unmittelbar nach dem Krieg, fernab von Ressentiments und Rachegefühlen, erträumt und erarbeitet werden muss“, so der französische Botschafter in Deutschland, François Delattre.
Erstellungsdatum: 11.12.2025