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Alain Mabanckou: Das Geschäft der Toten

Die Dinge umgekehrt sehen

Andrea Pollmeier


Alain Mabanckou, Foto: Harald Krichel/Wikimedia Commons

Aus der magisch-surrealen Perspektive eines frisch Gestorbenen blickt der Autor Alain Mabanckou in seinem Roman „Das Geschäft der Toten“ auf die Zustände im heutigen Kongo. Er zeigt eine postkoloniale Gesellschaft, die von regionalen Mythen geprägt und in machtpolitische Intrigen verflochten ist. Auf skurril ungezwungene Weise wird so sichtbar, wer Drahtzieher, Profiteure und Benachteiligte sind. Mabanckou wurde 2012 von der Académie française für sein Gesamtwerk mit dem Grand Prix de Littérature ausgezeichnet, Andrea Pollmeier stellt den von Holger Fock und Sabine Müller übersetzten Roman vor.

 

An der hauchdünnen Nahtstelle, die das Leben mit dem Tod verbindet, gibt es üppigen Raum für Spekulation. Alain Mabanckou, 1966 in der Republik Kongo geboren, hat sich in seinem von Holger Fock und Sabine Müller übersetzten Roman „Das Geschäft der Toten“ auf diesen Moment konzentriert. Im Stil des magischen Realismus erzählt der Autor, der 2012 von der Académie française für sein Gesamtwerk mit dem Grand Prix de Littérature  ausgezeichnet worden ist, aus der Perspektive eines Mannes, der gerade seine eigene Beisetzung erlebt. Vier Tage hat der Verstorbene Liwa Ekimakingai Zeit, um nach der Bestattung zwischen Friedhof, Totenreich und Lebenden zu wandeln. Nichts Edleres könne er dann noch tun, als – so die an ihn gerichtete Mission – „in die Welt der Lebenden zurückzukehren, um eine Tat zu vollbringen, die ihm für alle Ewigkeit Größe verleiht, das heißt, allen Leben und Liebe einzuflößen, denen man diese ungerechterweise vorenthalten hat.“

Aus dieser besonderen Perspektive beobachtet Mabanckou die Gesellschaft im heutigen Kongo, gibt Einblick in den Zustand einer postkolonialen Welt, die von regionalen Mythen geprägt und in machtpolitische Intrigen verflochten ist. Auf skurril ungezwungene Weise wird so sichtbar, wer die Drahtzieher, Profiteure und Benachteiligten sind.
Es sind vier Tage im „neuen Leben“ des Verstorbenen, von denen der Autor erzählt. Die Geschichten aus dem Leben des Toten basieren auf Erzählungen von Mabanckous Eltern, Pauline Kengué und Roger Komangou und dringen tief in das Beziehungsgeflecht zwischen den Menschen ein.
Die Nahtstelle zwischen Leben und Tod hat der Sterbende wie ein überwältigendes Naturereignis erlebt. In der Form eines Selbstgesprächs schildert Liwa, wie das Erdreich aufreißt und er wie von einem Wirbelsturm angesaugt und herumgeschleudert wird. Er landet unter einem Erdhaufen, auf dem ein nagelneues Holzkreuz angebracht ist. „Vor weniger als einer Stunde hat ein neues Leben für dich begonnen…“.

Mit anschaulicher Phantasie lenkt Mabanckou den Blick in eine Welt, die unter dem Erdhaufen ihren Platz hat, beschreibt Bilder eines im Sarg Eingesperrten, der prüft, was weiterhin möglich ist. Liwa beobachtet sich selbst, wie er nach einem Kieselstein greift, die Berührung genießt und den Stein dann ins Leere schleudert. Endlos erscheinende Stille folgt, der Duft des Eau de Toilette Mananas, das man über die Leichen versprüht, schwebt in der Luft. Orientierungspunkte haben sich „im längsten Traum des eigenen Todes“ verschoben. Man sieht die Dinge umgekehrt, als befände sich der Kopf am Boden und die Füße in der Luft – „Überhaupt liegt alles, was du vor dir siehst, in deinem Rücken, und alles, was in deinem Rücken ist, vor dir.“ „Alles was du siehst und dem du dich gern nähern würdest, entfernt sich mit jedem Schritt, den du darauf zu machst.“

Liwa folgt in dieser magisch realen Atmosphäre den Spuren seines bisherigen Lebens. Er verlässt die Grabstätte, fliegt wie ein Kormoran und folgt der Rue du Joli-Soir, in der Huhn- und Hammelspieße verkauft werden und es nach in heißem Fett ausgebackenen Festtagskrapfen riecht, bis zum Haus der Großmutter Mâ Lembé. Eine Schar von Besuchern zelebriert hier seine Totenfeier und ruft alte Erinnerungen und Volksweisheiten der heimatlichen Ethnie der Babembe wach.

Erzählt wird zum Beispiel, wie es der Großmutter gelang zu überleben, nachdem sie von einem Polizisten geschwängert worden war: „Du kannst nichts gegen sie tun, sie werden von ihren Kollegen geschützt,“ sagt sie. Die Großmutter verlässt darum mit ihrem Kind den Heimatort und geht in die Hafenstadt Pointe Noire, wo auch Mabanckou seine Kindheit verbracht hat.  
Dort erwirbt sie ein Stück Land, in dessen Kaufpreis die „Herkunft“ aus der Region Bouenza von der Ethnie der Babembe berücksichtigt ist.

Unterstützung für diesen Kauf erhält sie durch die Frauen, die mit ihr auf dem Grand Marché ihre Marktstände betreiben. „Deren Solidarität ist nicht nur Legende,“ heißt es im Buch, denn es gebe, so Liwa, ein kluges Kreditsystem, „Likelemba“:  Jeden Monat sparen die ca. 100 Frauen des Marktes eine gemeinsam vereinbarte Summe und geben dieses Geld nach einem im Voraus festgelegten Rotationsverfahren einer Person aus der Gruppe, die einen solchen Betrag in so kurzer Zeit nie hätte ansparen können. Es wird von allen so lange eingezahlt, bis die letzte Händlerin in den Genuss derselben Ausschüttung gekommen ist. Dieses Kreditsystem ohne Zinsen bildet, so der Bericht im Buch, die Basis der Unabhängigkeit dieser Frauen und basiert auf Vertrauen und Freundschaft.
Gefährdungen erleben Frauen nicht nur von Polizisten, sondern auch von Priestern, mächtigen Geschäftsleuten und Politikern. Mabanckou zeichnet mit Hilfe seines Erzählers Liwa Spuren dieser Übergriffe nach, keine Mauern, keine Wachleute und keine Waffen können den Weg des Zurückkehrenden mehr stoppen. Wie ein Allwissender durchschaut er all die geheimen Bündnisse und hält auf eine ihm erst jetzt mögliche Weise Gericht.

Alain Mabanckou
Das Geschäft der Toten

Roman
Aus dem Französischen von
Holger Fock und Sabine Müller
240 Seiten
Gebunden, mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-95438-166-1
Verlag Liebeskind, München 2023

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Erstellungsdatum: 02.12.2024