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Ingeborg Bachmanns Lyrik (II)

Die härteren Tage

Ria Endres


Ingeborg Bachmann, 1962, wikimedia commons

Anlässlich ihres 50. Todestages ist Ingeborg Bachmann vielfach vergegenwärtigt worden, vor allem mit biografischen Betrachtungen. Publikationen von Briefwechseln lenkten den Blick insbesondere auf die vielen Liebesbeziehungen, die die als feministische Schriftstellerin Etikettierte mehr oder weniger glücklich mit Männern einging. Ria Endres hat dagegen andere Erfahrungen der ikonischen Nachkriegsliteratin als Beweggrund für ihre Lyrik benannt. Ihren Essay veröffentlichen wir in drei Teilen. Hier ist der zweite.

 

Reklame

 

Wohin aber gehen wir

ohne sorge sei ohne sorge

wenn es dunkel und wenn es kalt wird

sei ohne sorge

aber

mit musik

was sollen wir tun

heiter und mit musik

und denken

heiter

angesichts eines Endes

mit musik

und wohin tragen wir

am besten

unsere Fragen und den Schauer aller Jahre

in die Traumwäscherei ohne sorge sei ohne sorge

was aber geschieht

am besten

wenn Totenstille

 

eintritt  

 

Im Gedicht „Reklame“ werden zutiefst beunruhigende Fragen nach dem Lebensende und dem Zustand danach gestellt. Gerade der säkularisierte Mensch muß von der Totenstille geängstigt sein. Als Pseudoantworten montiert Ingeborg Bachmann gefährlich einfache Reklamesätze zwischen die Zeilen. Die suggerierte Sorglosigkeit durch heitere Musik und Ablenkung der Traumwäscherei machen die Fragen noch existentieller und paradoxer zugleich, sind doch die Reklameantworten der reinste Hohn. Die heitere Musik der Werbung zerstört die „musikalischen Seelenverhältnisse.“ Gerade weil der moderne Mensch „in die Zeit verbannt / und aus dem Raum gestoßen“ ist, wie es im Gedicht „Menschenlos“ heißt, kann es eben kein rein Poetisches schlechthin im Sinne des Novalis geben. Allerdings: Der Zustand der Sehnsucht nach Liebe, nach einer Ausfahrt an einen Ort, wo das Tote zu vergessen wäre, ist immer anwesend. Die Sehnsucht ist Motor dafür, auch wenn die Erkenntnisse bitter sind. Es ist die Sehnsucht, sich auszudehnen, zumindest über den eigene Körper mit Hilfe der Imagination hinauszuwachsen. Aber als Gefangene des Kontinents gibt es den „fernen Ort“ des Novalis nicht mehr. Gedichte entstehen trotzdem.

Ingeborg Bachmann war eine große Reisende. Rom, Apulien, Griechenland. Reisen in Landschaften, die reale Welt und Seelenzustände gleichermaßen sind. Flucht aus dem unheimlichen Land der Mörder:

 

Das erstgeborene Land

 

In mein erstgeborenes Land, in den Süden

zog ich und fand, nackt und verarmt

und bis zum Gürtel im Meer,

Stadt und Kastell.

 

Vom Staub in den Schlaf getreten

lag ich im Licht,

und vom ionischen Salz belaubt

hing ein Baumskelett über mir.

 

Da fiel kein Traum herab.

 

Da blüht kein Rosmarin,

kein Vogel frischt

sein Lied in Quellen auf.

 

In meinem erstgeborenen Land, im Süden

sprang die Viper mich an

und das Grausen im Licht.

 

O schließ

die Augen schließ!

Preß den Mund auf den Biß!

 

Und als ich mich selber trank

und mein erstgeborenes Land

die Erdbeben wiegten,

war ich zum Schauen erwacht.

 

Da fiel mir Leben zu.

 

Da ist der Stein nicht tot.

Der Docht schnellt auf,

wenn ihn ein Blick entzündet.

 

Das erstgeborene Land erweckt nicht den Eindruck eines fernen Ortes, an dem ein Rest von Utopie zu erhaschen wäre. Südliche Traumlandschaften mit blauem Meer, üppige Vegetation und flirrendes Licht gibt es hier nicht. Karger könnte die Kulisse nicht sein. Das Baumskelett scheint ohne Leben. Kein Vogel, kein Kraut. Eine halb untergegangene Stadt, vielleicht von einem Erdbeben zerstört. Kein Traum kann geträumt werden. Dieser ferne Ort taugt nicht zur Imagination. Das erstgeborene Land ist ein untergegangenes Land. Der Biß der Viper könnte tödlich sein, aber nachdem sich die Dichterin mit den Lippen das Gift aus dem Körper gesaugt hat, erwacht sie zum Leben. Plötzlich entdeckt die Dichterin Leben, wo sonst keines war. Sie gebiert sich selbst. Ein gerade noch totes Land wird ihr „erstgeborenes“ Land. Das visionäre Betrachten eines Steins, der nicht tot ist und vor allem die Gewißheit, nicht selbst tot zu sein an einem Ort, wo alles tot war, läßt aufhorchen. Die verborgensten Wünsche haben sich wenigstens in diesem Gedicht ihren Weg gebahnt. So viele Sterne erloschen sein mögen, so viele Häfen, Schiffe und Segel Schaden genommen haben, so viele Träume über Bord gegangen sind, so viele Ausfahrten vergeblich waren, die Sehnsucht zu leben und zu schreiben ist noch mächtig. Zur romantischen Bilderwelt gibt es zwar keine wirkliche Bindung, doch ihre Figuren treffen auf zerrüttete, bizarre Nachbarn. Konserviert soll bitte nichts werden. Aber der Bogen zum „blauen Licht“ wird wenigstens manchmal gespannt.

 

Siehe auch:

Ria Endres Bachmann-Essay Teil I

Ria Endres Bachmann-Essay III

Erstellungsdatum: 15.08.2024