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12-teilige ARTE-Serie

Die Mafia tötet nur im Sommer

Andrea Richter


Die Mafia mordet nur im Sommer, Filmstill/missingfilm

In der Mediathek des Fernsehsenders ARTE ist derzeit die bemerkenswerte 12-teilige Serie „Die Mafia tötet nur im Sommer“ zu finden. Auf der erzählerischen Oberfläche der Geschichte einer fiktiven kleinbürgerlichen Familie in Palermo wird ein bedrückendes Thema abgehandelt: Die sehr realen Machenschaften der Cosa Nostra, ihres Einflusses auf die Stadt und ihre Menschen in den Jahren 1979/80. Die Serie war bei ihrer Ausstrahlung 2013 auf RAI -TV in Italien ein Renner. Sehr sehenswert findet Andrea Richter sie heute noch.

Retrospektiv betrachtet der erwachsene Salvatore sein Leben als Zehnjähriger und das seiner Familie. Von ihr zärtlich Salvú genannt, beschäftigt ihn zunächst nur eine Frage: Wie ticken Mädchen und Frauen?  Denn er ist in seine Klassenkameradin Alice verliebt und weiß nicht, wie er ihr Herz gewinnen kann. So wie seine sechs Jahre ältere Schwester Angela, die als veritable, linke Polit- und Emanzipationsfurie die ganze Familie terrorisiert – wie fühlte ich mich an mich selbst in diesem Alter erinnert! - sind jedenfalls nicht alle weiblichen Wesen. Obwohl: auch seine Mutter Pia neigt zu heftigen emotionalen Ausbrüchen, agiert aber auch als liebende Mutter, Tochter, Schwester und Ehefrau. Deren Bruder Massimo geriert sich als der Größte, nomen est omen, betrachtet Frauen als Gebrauchsware, liebt einzig Autos (Alfa!) wirklich und hält Betrug und Aufschneiderei für legitime Mittel, um das Leben angenehm zu gestalten. 
Vater Lorenzo ist „ein eher ruhiger Mensch“, wie Salvatore feststellt, der ruhende Pohl der Familie, der gründlich nachdenkt, bevor er etwas entscheidet, ein gradliniger und rechtschaffener Beamter beim Einwohnermeldeamt. Zum Unverständnis vieler lehnt er es ab, sich in das System der kleinen Gefälligkeiten (favori) einzureihen und so seine Karriere und damit die Verbesserung der finanziellen Verhältnisse zu befördern. Er weiß, dass einige seiner Kollegen der Mafia zu Diensten sind. Diese, Mafia, die die für ihn geltenden Werte von Gut und Böse untergraben hat, die Angst und Grauen verbreitet und über deren Existenz nicht gesprochen werden darf (omertá). Die er hasst und bekämpfen möchte, aber zum Schutz seiner geliebten Familie ebenfalls schweigt, so wie alle anderen. Er tut nur eins: er verwehrt sich stur allen Annäherungsversuchen und bleibt lieber arm, als sich von ihr kaufen zu lassen. Doch dann wird eines Tages der kleine Salvatore Zeuge des Mordes am Chef der Palermitaner Kriminal-Polizei, Boris Giuliano. Vater Lorenzo weiß, was mit Zeugen egal welchen Alters passiert …! Insgesamt soll die Mafia zwischen 1979 und 1983 über 600 Menschen ermordet haben.

Ähnlich wie in Roberto Begninis Film „Das Leben ist schön“ (1997), der in Deutschland seinerzeit eine heftige Debatte darüber auslöste, ob die Verfolgung der italienischen Juden mit großen Humoranteilen bearbeitet werden durfte, wird hier erneut ein grausames Kapitel italienischer Geschichte einerseits witzig, andererseits tiefgründig und auf jeden Fall informativ aufgearbeitet.  Nicht nur die sizilianische Variante und Urmutter der Mafia, die Cosa Nostra, und ihre wesentlichen Protagonisten des Zeitabschnitts wie Totò Riina, Leoluca Bagarella oder Tommaso Buscetta, der später wichtigste Kronzeuge, werden benannt und mit all ihrer Primitivität und quasi karikierend gezeigt, sondern auch die Beeinflussung von Politikern und Priestern bis hin zu der der gesamt-italienischen Wahlen durch Betrug. Das alles geschah, während auf dem Stiefel-Festland der mörderische Krieg zwischen der terroristischen Linken (Brigate Rosse) und neofaschistischen Extremisten tobte und der zwischen 1969 und 1983 (anni di piombo = bleierne Zeit) mit mehr als 14.000 Anschlägen zu 374 Toten und über 1170 Verletzten führte. 
Dank des systematischen Kampfes gegen die Cosa Nostra, deren bekanntesten Gesichter die beiden 1992 in die Luft gesprengten Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino waren, hat Palermo inzwischen übriges eine der niedrigsten Mordraten in ganz Italien. 


Screenshot aus dem Trailer

Erstellungsdatum: 12.07.2024