Das KZ-Außenlager in den Frankfurter Adlerwerken
Dass die Nationalsozialisten in den Frankfurter Adlerwerken unter dem Namen Katzbach ein Konzentrationslager betrieben, blieb in der städtischen Wahrnehmung lange außen vor. Gelangten die Vorgänge erstmals Ende der 1980er-Jahre ins Blickfeld der Öffentlichkeit, legte das Fritz Bauer Institut 2021 eine umfassende Forschungsstudie vor. Doris Stickler umreißt den langen Weg zu einem angemessenen Gedenken an das vor 80 Jahren aufgelöste KZ.
Inmitten der Stadt gelegen wussten viele, was hinter den Mauern der Adlerwerke vor sich ging. Um die Kriegsproduktion aufrecht zu erhalten, hatten die Nationalsozialisten unter dem Decknamen „Katzbach“ hier 1944 ein KZ-Außenlager eingerichtet. Die über 1600 Häftlinge wurden aus Buchenwald und Dachau herangekarrt. In Frankfurt mussten sie mehr als 80 Stunden in der Woche schuften und waren unsäglichen Bedingungen ausgesetzt. Hunger, Gewalt und Schikane standen auf der Tagesordnung. Die Todesrate war die höchste aller hessischen Außenlager.
Am 16. März 1945 zwängten die NS-Schergen rund 500 todkranke Männer in einen Güterzug. Drei Tage lang mussten sie in den Waggons vor den Adlerwerken verharren, dann fuhr der Zug zum KZ Bergen-Belsen. Nur etwa zwölf von ihnen waren bei der Ankunft noch am Leben. Am 24. März – drei Tage später sollte die US-Armee die Stadt befreien – schickte man die verblieben 350 Häftlinge auf einen Todesmarsch ins 120 Kilometer entfernte Hünfeld, wo bereits der Güterzug nach Buchenwald wartete.
Nach Kriegsende gab es einige Ermittlungen zu den Verbrechen, danach wurde die Existenz des KZ Katzbach systematisch totgeschwiegen. Erst nachdem Ernst Kaiser und Michael Knorn zusammen mit Schüler:innen in den 1980er Jahren die grauenhaften Vorgänge sowie die nach Kriegsende erfolgten Beschwichtigungen und Aktenvernichtungen zu Tage förderten, wurde das Konzentrationslager Gegenstand öffentlicher Diskussion. Auf Initiative des damaligen Adlerwerke-Betriebsratsvorsitzenden Lothar Reininger gründete sich 1992 der Verein „Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim“ (LAGG), der sich seither auch der Aufarbeitung des dunklen Unternehmenskapitels verschreibt.
Den zivilgesellschaftlichen Vorstößen folgte die Stadt anfangs nur zögerlich. Erst 1998 wurde an der Außenmauer der Adlerwerke eine Gedenktafel für die ermordeten Internierten angebracht und ein öffentlicher Platz in Golub-Lebedenko-Platz umbenannt. Es sind die Familiennamen von Adam und Georgij, die bei ihrem Fluchtversuch vor den Augen der Öffentlichkeit von der SS erschossen wurden. Für die Schaffung eines dauerhaften Gedenkortes in den Räumen der Adlerwerke setzte sich der im vergangenen Jahr verstorbene Horst Koch-Panzner unermüdlich ein. Der DGB-Mitarbeiter und Arbeitsrichter war Gründungsmitglied des „Fördervereins für die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte KZ Katzbach in den Adlerwerken und zur Zwangsarbeit in Frankfurt am Main“ und bis 2022 als erster Vorsitzender aktiv.
Die Eröffnung des „Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager“ im Frühjahr 2022 ist auch sein Verdienst. Wie er betonte, sei eine bleibende Erinnerung wichtiger denn je. „Sie abzulehnen ist Wasser auf die Mühlen von Leuten, für die die NS-Gräuel nur ein Vogelschiss der Geschichte sind“, stellte Horst Koch-Panzner klar. Die Realisierung wünschte er sich umso mehr, als 2020 der letzte Zeitzeuge Andrzej Korczak-Branecki mit 90 Jahren verstorben ist. Für ihn sei das „KZ-Katzbach die schrecklichste Erfahrung seines Lebens“ gewesen, weiß der Gewerkschafter aus persönlichen Begegnungen. Trotzdem habe er sich später viele Jahre für die deutsch-polnische Verständigung eingesetzt, in Schulen von den erlittenen Torturen berichtet und die Gedenkstättenpläne unterstützt.
Von 2016 an hat sich auch Kulturdezernentin Ina Hartwig für die Einrichtung eines Informations- und Gedenkortes engagiert. Um über einen aktuellen Forschungsstand zum KZ-Außenlager zu verfügen, beauftragte die Stadt Frankfurt das Fritz Bauer Institut, das die Historikerin Andrea Rudorff mit den Recherchen betraute. Ihre 2021 abgeschlossene Studie „Katzbach – das KZ in der Stadt. Zwangsarbeit in den Adlerwerken Frankfurt am Main 1944/45“ brachte einiges Neues ans Licht. So hat sie unter anderem 36 Fluchtfälle rekonstruiert, bislang unbekannt gebliebene Überlebende ausgemacht und die überaus mangelhafte Strafverfolgung der Verantwortlichen offengelegt.
Verurteilt habe man lediglich ein paar Hilfswachmänner, so Andrea Rudorff. „Den Lagerführer Erich Franz hatten die US-Ermittler zwar bereits identifiziert, er wurde aber erst in den 1960er Jahren in seiner Heimatstadt Wien gefunden. Die österreichische Justiz stellte mangels Zeugen sein Verfahren ein.“ Die Studienautorin konnte zudem rund 160 Zeugenaussagen von Überlebenden, ehemaligen Wachmännern sowie Beschäftigten und Anwohner:innen der Adlerwerke sammeln, die in einigen Fällen Zeugen von Misshandlungen und Erschießungen geworden sind. Vor allem die Berichte der Adlerwerkebeschäftigten machen für sie deutlich: „Die Ausbeutung und Ermordung von Menschen an der eigenen Arbeitsstätte wurde von vielen als Teil einer Kriegsnormalität empfunden“.
Die hohe Zahl an zeitnahen Aussagen zum Außenlager Katzbach schreibt Andrea Rudorff den frühen Ermittlungsverfahren wie den Berichten von Überlebenden zu. „Etwa 85 Prozent der rund 1616 Männer waren am Warschauer Aufstand beteiligt und wurden während dieser Zeit deportiert.“ Zu ihnen gehörte auch Janusz Garlicki, der die Martyrien überlebte und sie in seinen Memoiren aus der Innensicht vor Augen führte. Andrea Rudorff hat das Buch übersetzt und erstmals deutschsprachigen Leser:innen zugänglich gemacht.
Durch ihre im Rahmen der Reihe „Studien zur Geschichte und Wirkung des Holocaust“ des Fritz Bauer Instituts veröffentlichten Studie über das Konzentrationslager Katzbach verfügt der „Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager“ über fundierte Informationen. Der vom „Studienkreis deutscher Widerstand“ getragene Geschichtsort hält seit drei Jahren mit einem breit gefächerten Programm nicht allein das Gedenken an die Opfer der NS-Gräuel wach. Der Geschichtsort versteht sich auch als Bildungsstätte die durch Vermittlung von Wissen über die Vergangenheit möglichst viele Menschen ermächtigen will, auch die gegenwärtigen Gefahren für Demokratie und Menschenrechten zu erkennen.
Der Geschichtsort versteht sich als Gedenk- und Bildungsstätte zum KZ Katzbach in den Adlerwerken und zu Zwangsarbeit in Frankfurt sowie als lebendiger Erinnerungsort durch die Beteiligung von Bürger:innen aus Frankfurt und dem Land Hessen. Der „Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945 e.V.“, der „Förderverein für die Errichtung einer Gedenk-und Bildungsstätte KZ-Katzbach“ und das Dezernat für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main haben den Geschichtsort Adlerwerke entwickelt, um die vielfältige Erinnerungslandschaft in Frankfurt und Hessen zu bereichern und die Zusammenarbeit und den Austausch mit anderen Gedenkstätten, Initiativen und Organisationen voranzubringen.
Unter dem Titel „80 Jahre Todesmarsch“ erinnern der Geschichtsort Adlerwerke und vielen Kooperationspartner:innen in Frankfurt und anderen hessischen Städten mit zahlreichen Veranstaltungen an die Vorgänge im KZ-Außenlager Katzbach
Alle vom 2. bis 30. März angebotenen Veranstaltungen finden sich unter: https://geschichtsort-adlerwerke.de/80-jahre-todesmarsch/
Siehe auch::
Andrea Rudorff
Katzbach – das KZ in der Stadt
Zwangsarbeit in den Adlerwerken
Frankfurt am Main 1944/45
Studien zur Geschichte
und Wirkung des Holocaust, Band 5,
hrsg. von Sybille Steinbacher
im Auftrag des Fritz Bauer Instituts
368 S., geb.
ISBN 978-3-8353-3953-8
Wallstein Verlag, Göttingen 2021
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Janusz Garlicki
Von der Wahrscheinlichkeit zu überleben
Aus dem Warschauer Aufstand
ins KZ-Außenlager bei den
Frankfurter Adlerwerken
Aus dem Polnischen
von Andrea Rudorff
292 S., brosch.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2021
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Ernst Kaiser, Michael Knorn
„Wir lebten und schliefen zwischen den Toten“
Rüstungsproduktion,
Zwangsarbeit und Vernichtung
in den Frankfurter Adlerwerken
350 S., brosch.
ISBN: 9783593361635
Campus Verlag, Frankfurt am Main 1998
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Erstellungsdatum: 25.02.2025