Tanztheater
Die Uraufführung des Tanzabends „Die sieben Todsünden" mit den beiden Teilen „Die sieben Todsünden" und „Fürchtet Euch nicht" nach Texten von Bertolt Brecht und der Musik von Kurt Weill fand am 15. Juni 1976 in Wuppertal statt. Im April 2025 ist diese Arbeit wieder in Wuppertal zu sehen.
Auf der Bühne die Tänzer*innen des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch mit Gästen – unter anderen mit Ute Lemper. Das musikalische Niveau ist hoch, angefangen beim kantig aufspielenden Sinfonieorchester Wuppertal, über das präzise und sinnlich singende Herrenquartett aus dem Ensemble der städtischen Oper, bis hin zu den stimmlich hervorragenden Solistinnen. Dabei spielt das Orchester nicht aus dem Graben, sondern ist im Hintergrund der Bühne platziert.
Ausgangspunkt für diesen Doppelabend (Dauer insgesamt 2 Stunden 25 Minuten) ist Bertolt Brechts einziges Ballettlibretto “Die sieben Todsünden der Kleinbürger“, das 1933 mit Lotte Lenya in einer der beiden Hauptrollen in Paris uraufgeführt wurde.
Der erste Teil – Die sieben Todsünden (Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht, Neid) – ist die Darstellung einer Reise zweier Schwestern – Anna I und Anna II – aus den Südstaaten, die auf einer Tournee durch sieben Städte für sich und ihre Familie das Geld für ein kleines Haus in Louisiana verdienen wollen. Eine von beiden managt das Unterfangen und treibt die andere - die Künstlerin - an, sich auf dem Markt der Eitelkeiten zu verkaufen.
Das Hauptinteresse der Choreographin liegt hierbei weniger bei einer Kritik an den gesellschaftlichen Bedingungen, wie von Brecht angedacht, sondern sie lenkt das Augenmerk stärker auf die Ausbeutung der Frau durch den Mann. Die Notwendigkeit, sich zu prostituieren, sich als Ware zu verkaufen, um wenigstens ein kleines Stück vom Glück zu erhaschen. Steht bei Bertolt Brecht die Darstellung der sozialen Problematik und die Brutalität der ökonomischen Bedingungen einer Gesellschaft im Mittelpunkt, interessiert sich Pina Bausch mehr für das Schicksal der Frauen, die Käuflichkeit ihrer Körper, die ihnen von einer Männerwelt aufgezwungen wird und die Verhinderung individuellen Glücks.
Das Bühnenbild von Rolf Borzik stellt eine echte Wuppertaler Straße samt Bürgersteig, Löchern im Asphalt und Gullys dar. Anfangs liegt Anna I in einer mit Kreide aufgemalten Sonne – dann nimmt das Schicksal seinen Lauf. Anna II fordert ihre Schwester auf, sich auszuziehen. Bevor sie, in ein enges Kleid gezwängt, tanzen muss, werden ihr noch die Haare auf sehr brutale Weise durchkämmt. Und die Männer haben Spaß mit ihr – betatschen sie von oben bis unten. Sie verkauft sich bis zum bitteren Ende – das Haus am Mississippi ist mit einem Meer von Tränen erkauft.
Der zweite Teil des Abends Fürchtet Euch nicht- die Textzeile ist dem Heilsarmeechor aus Happy End entnommen – ist weniger brutal und zeigt, wie sich die Sehnsucht von Frauen nach Liebe und Zärtlichkeit nicht erfüllt. Und das mit der Musik von Kurt Weill unter
Verwendung von Songs aus der Dreigroschenoper, kleine Dreigroschenmusik, Happy End, Das Berliner Requiem und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny.
Hier treibt die Choreographin Spott mit einer Welt, die die Männer für sich und für die von ihnen abhängigen Frauen eingerichtet haben. In dieser Welt verstehen sich die Männer selbst noch als die besseren Frauen und Pina lässt diese denn auch in Frauenkleidern tanzen und stellt sie als Transvestiten des Varietés aus.
Tanz ist hier nicht Selbstzweck, sondern weist ausdrücklich auf die Notwendigkeit weiblicher Emanzipation hin, indem sie Frauen in den Mittelpunkt der szenischen Abläufe stellt und Möglichkeiten der Verbesserung von Lebensumständen aufzeigt. All dies ohne dogmatisch zu werden oder gar den Zuschauer*innen etwas verordnen zu wollen. Über allem steht dann doch die Lust zu tanzen und zu leben und zu widerstehen.
Dieser Tanzabend gehört neben Blaubart zu den härtesten Stücken der Choreographin – auch hier wird die Unterdrückung der Frauen auf drastische Weise zur Schau gestellt. Doch es geht Pina Bausch dabei nicht darum, Männer alleine für diese Misere verantwortlich zu machen. Augenzwinkernd lässt sie daher die Tänzer am Ende in Frauenkostümen auftreten. Unter diesen Verhältnissen wird selbst der Mann zur Ware und ist fern jedweder Selbstbestimmung – und dennoch tanzen sie.
Pina Bausch geht hier den direkten Weg von der Text- und Musikvorlage zum Gefühl und Ausdruck ohne jemals bedeutungsschwanger oder schwerfällig zu wirken, ignoriert Tabus und ist dabei immer auch zu Scherzen aufgelegt. Tanz, Spiel und Gesang werden virtuos miteinander verzahnt und in Einklang gebracht und das zu einer Zeit, wo die Choreographin sich auch damit auf bisher unbekanntem Terrain bewegte.
Walter H. Krämer
Pina Bausch
im Opernhaus Wuppertal
12. / 13. / 15. / 16. / 17. / 19.
/ 20. + 21. 04. 2025
Erstellungsdatum: 11.02.2025