Die Trägerin des Literaturnobelpreises 2024 Han Kang war bereits 2016 zu Gast im Litprom-Weltempfänger-Salon. Die Lesung und das Gepräch aus ihrem bereits mit dem Internationalen Booker-Preis ausgezeichneten Roman „Die Vegetarierin“ hat Andrea Pollmeier aufgezeichnet. In dieser Zeit hat auch Anita Djafari, damals Leiterin des Vereins Litprom, die Autorin erlebt und sie im Weltempfänger-Salon empfangen. Über die Begegnung mit Han Kang und die Lage der Buchnation Korea hat Anita Djafari berichtet.
Die Booker International-Preisträgerin Han Kang spricht - übersetzt von Ji-Yang Lee - mit der Journalistin Katharina Borchardt über ihren Roman „Die Vegetarierin“ im Litprom-Weltempfänger-Salon am 14.09.2016 in Frankfurt. Jochen Nix liest Passagen aus dem im Aufbau-Verlag publizierten Buch, das Ki-Hyang Lee aus dem Koreanischen kongenial ins Deutsche übersetzt hat.
Das passiert nicht alle Tage. Ein Titel auf der Spiegel-Bestsellerliste ist eine Premiere – für Litprom, die gemeinnützige Gesellschaft, die seit 36 Jahren Lobbyarbeit für außereuropäische Literaturen betreibt. So gut wie noch nie haben wir erlebt, dass ein Buch, für das wir uns eingesetzt haben wie für viele andere auch, vom gesamten deutschen Feuilleton wahrgenommen und gepriesen wird. Und sich entsprechend verkauft: irre. Dass die Veröffentlichung den „Umweg“ über den englischen Buchmarkt genommen hat: egal. Dass die Autorin den Internationalen Man Booker Preis bekommen hat: toll. Dass der Aufbau Verlag ihn vorher eingekauft hat: super. Gratulation an alle Beteiligten. Dass wir die Autorin während ihrer Lesereise durch Europa auch in unseren Weltempfänger-Salon in Frankfurt eingeladen haben: selbstverständlich.
Dass Korea eine der größten Buchnationen der Welt ist, deren literarische Tradition mindestens ebenso alt und reich ist wie die Deutschlands oder Europas mit einer reichen, vielfältige Literaturlandschaft, ist vielleicht nicht hinlänglich bekannt. Wir erinnern uns: Korea war im Jahr 2005 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse und hatte einen der schönsten und engagiertesten Auftritte. Bereits im Frühjahr auf der Leipziger Buchmesse präsentierte es sich mit einem ästhetisch gelungenen Stand, darauf folgten mehrere Lesereisen durch Deutschland und Österreich mit damals fast gänzlich unbekannten Autorinnen und Autoren. Nur wenige große Publikumsverlage hatten sich für die Frankfurter Buchmesse an neue Übersetzungen herangewagt, dennoch standen vergleichsweise viele Titel auf Deutsch zur Verfügung, die als Reihe bei kleineren Verlagen wie Pendragon oder edition peperkorn erschienen waren. So konnten die Lesungen mit der Unterstützung bekannter Moderator*innen funktionieren, es gab reichlich Stoff zum Vortragen, das Publikum für die Veranstaltungen ließ sich finden, Käuferi*nnen hingegen weniger. Nach der Buchmesse im Oktober wurde heftig remittiert.
Die wenigen qualifizierten Dolmetscher/innen hatten für ein halbes Jahr mehr als genug zu tun, die Übersetzungen ins Deutsche waren meistens von gut funktionierenden Tandems angefertigt. Es gab und gibt wohl immer noch zu wenige Deutsche, die gut genug Koreanisch können, um literarische Übersetzungen gut hinzubekommen. Deshalb fällt auf, dass es jetzt die Koreaner selbst (in der Regel Germanisten) sind, die ins Deutsche übersetzen, wohl auch, weil sie lange genug hier gelebt haben, um die Zielsprache zu beherrschen. Das ist mehr als beachtlich, da die Übersetzungen, die in den letzten Jahren vorgelegt wurden, nichts zu wünschen übriglassen. Das gilt auch für „Die Vegetarierin“ in der Übersetzung von Ki-Hyang Lee.
„Die Früchte der Frau“ war eine Kurzgeschichte von Han Kang in der von Sylvia Bräsel und Lie Kwang-Sook herausgegebenen Anthologie „Koreanische Erzählungen“ (dtv 2005, vergr.), der Roman „Die Vegetarierin“ ist eine Weiterentwicklung dieser Geschichte. Aber auch einige der anderen Autor*innen, die damals vorgestellt wurden, konnte man in den letzten Jahren dank engagierter und mutiger Verlage in deutscher Übersetzung kennenlernen. Eine Rolle spielt dabei, dass der koreanische Staat reichlich Mittel in die Hand nimmt, um die Verbreitung seiner Literatur im Ausland zu fördern. Organisiert vom Korean Institute for Literature and Translation (KLTI) gibt es Förderung für die Kosten der Übersetzung, oft einen Zuschuss für Druckkosten und Lesereisen. Auch die koreanische Daesan-Stiftung engagiert sich in dieser Weise. Doch wer sich nur wegen großzügiger Unterstützung für das Verlegen eines Buchs entscheidet, ist schlecht beraten - eine Binsenweisheit und trotzdem muss es immer mal wieder gesagt werden. Es reicht, sich die mangelnde Qualität früher übersetzter Bücher aus dem Koreanischen anzuschauen und jetzt auf die in jüngster Zeit erschienenen zu blicken. Dass Feuilleton und Publikum in der Vergangenheit nur selten mitziehen mochten, ist vielleicht darauf zurückzuführen, oder sind die Namen doch zu fremd, die Themen zu fern?
Der schnörkellose Stil, der in der Regel auf ein psychologisches Auserzählen der Figuren verzichtet, mag ungewohnt sein. Die Themen kreisen zwar oft um die Beziehungen zwischen den Geschlechtern oder das Familienleben überhaupt in einem enormen Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne – was in einer Gesellschaft, die erst seit 1980 demokratisch ist und eine wirtschaftliche Entwicklung in atemberaubender Geschwindigkeit durchgemacht hat, nicht verwundert. Aber die Bandbreite, wie die letztendlich universalen Themen von Liebe und Tod behandelt werden, ist enorm groß, sie reicht von Mikroerzählungen über Dystopien, den Schelmenromanen, Science Fiction, von fernöstlicher Philosophie durchdrungener Lyrik bis zu klassischen Kurzgeschichten oder Parabeln. Nicht zu vergessen die hervorragend illustrierten Kinderbücher.
Bildung hat in diesem Land einen großen Stellenwert, und Schriftsteller*innen erfreuen sich höchster Anerkennung. Auch wenn das Lesen zunehmend mit anderen Medien konkurriert, im Umgang mit elektronischen Medien ist man uns in Korea weit voraus.
Zu den Mitteln der Förderung von KLTI gehören auch Einladungen nach Korea, die an Verleger*innen und/oder Vermittler*innen ausgesprochen werden. So durfte ich im März d. J. an einem solchen Einladungsprogramm teilnehmen, um vor allem Autor*innen zu treffen, mit Übersetzern zu sprechen und Verlage zu besuchen und mich auch mit Kolleg*innen des Goethe-Instituts in Seoul treffen, um zu beraten, wie man einen besseren Literaturaustausch zwischen Deutschland und Korea hinbekommt – eine Aufgabe, die schwieriger ist, als man denkt.
Wenn man mit den Autor*innen selbst redet, wird sehr schnell klar: Deren Themen, Anliegen und ihr Selbstverständnis scheinen mehr oder weniger gleich zu sein wie die auf der ganzen Welt. Der „Betrieb“ und die involvierten Institutionen hingegen unterscheiden sich sehr. So ist die Verzahnung von Politik, Wirtschaft und Kultur in Korea sehr viel enger. Es wird zwar viel Geld in die Hand genommen, um die koreanische Literatur auf dem internationalen Markt zu platzieren, dabei werden aber auch recht enge Vorgaben gemacht, welche Autor*innen nun zu fördern sind und für Übersetzungen vorgeschlagen oder auf Lesereise geschickt werden. Jeder kleine Erfolg im Ausland wird euphorisch registriert. So z. B. wurde die Tatsache, dass der Thriller „Sieben Jahre Nacht“ der Autorin Jeong Yu-jeong ( in der gelungenen Übersetzung von Kyong-Hae Flügel im Unionsverlag erschienen) auf der KrimiZEIT-Bestenliste und der Litprom-Bestenliste Weltempfänger gewürdigt wurde, als großer Erfolg gefeiert.
Nur Geduld möchte man den Koreanern zurufen, wenn die Enttäuschung darüber, dass der Literaturnobelpreis wieder woanders hinging, groß ist. Die vielen Juwelen werden schon noch gefunden. So wird es im nächsten Jahr ein weiteres Buch von Han Kang in deutscher Übersetzung geben. In diesem Jahr erscheint rechtzeitig zur Buchmesse der Roman „Das Dorf am Fluss“ von Song Sok-ze im Horlemann Verlag in der Übersetzung von Ki-Hyang Lee. Ein Pageturner erster Güte, in seiner prallen Erzählweise vergleichbar mit chinesischen Autoren wie Mo Yan oder Yu Hua. In einer Art Schildbürger-Dorf fernab der Megastadt Seoul leben die Ausgestoßenen, Spinner und Loser friedlich in den Kulissen einer Filmruine, bis sie von einer Gangsterbande überfallen werden und das reale Leben über sie hereinbricht. Der trockene Humor dieses Autors korrespondiert mit dem intelligenten Witz seines Schreibens.
Kennengelernt in Seoul habe ich auch Hwang Sun-Mi, die Autorin des Erfolgstitels „Das Huhn, das vom Fliegen träumte“ (Verlag Kein & Aber, Übers. Simone Jacob). Auch dieses Buch gelangte über den Umweg der englischen Übersetzung zu uns und wurde der Einfachheit halber gleich aus dem Englischen übersetzt. Eine Todsünde eigentlich, aber sie stand dem Erfolg nicht im Weg.
Und eher kannibalisch als vegetarisch geht es übrigens in dem wunderbar boshaften Roman „Feine Kost“ von Jo Kyang Ran zu (Luchterhand 2010, Übers. Kyong-Hae Flügel und Angelika Winkler) zu, den Litprom 2010 auf der Bestenliste Weltempfänger empfohlen hat. Dort findet man noch weitere lesenwerte Werke von koreanischen Autor*innen (www.litprom.de/weltempfänger/archiv) und wer jetzt (hoffentlich) Lust bekommen hat weiter zu stöbern, der kann das im Online-Katalog Quellen von Litprom tun.
Anita Djafari , Oktober 2016
Han Kang
Die Vegetarierin
Übersetzerin:
Ki-Hyang Lee
Roman
250 Seiten, Taschenbuch
Aufbau Verlag Berlin
Erstellungsdatum: 12.10.2024