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Wie jedes Jahr wird am 10. Dezember der Friedensnobelpreis verliehen. Die Auszeichnung geht maßgeblich auf eine Frau zurück die etablierten Kreisen ein Dorn im Auge war. Bertha von Suttner war eine enge Vertraute Alfred Nobels, den sie für die Friedensbewegung gewonnen und später angeregt hat, sein Vermögen in diesem Sinne einzusetzen. 1901 erstmals verliehen, wurde ihr selbst der Friedensnobelpreis vor 120 Jahren zuteil. Doris Stickler erinnert an eine in Vergessenheit geratene Friedensaktivistin, die sich unermüdlich für Eintracht, Verständigung und Frauenrechte engagierte.
In einer Zeit, in der Frauen vor allem schön und dumm sein mussten ernteten Abweichlerinnen nur blanken Hohn. „Ein hysterisches Weib hat mit dem Gepiepse begonnen“, kommentierte die konservative Presse 1889 Bertha von Suttners Roman „Die Waffen nieder!“. Ihre Friedensappelle galten vor dem Hintergrund eines explodierenden Nationalismus als Affront. Dies umso mehr, als sie eben kein laues „Gepiepse“ waren. In sechzehn Sprachen übersetzt und in der breiten Öffentlichkeit diskutiert, infizierte ihr literarisch verpackter Pazifismus große Teile der Welt und galt jahrzehntelang als das wichtigste Werk der Antikriegsliteratur.
Die aus dem böhmischen Hochadel stammende Komtesse war damals 47 Jahre alt, hatte bereits mit etlichen Tabus gebrochen und sich ganz dem humanistischen Ideal verschrieben. Nachdem ihre „Abscheu vor dem Krieg bis zur schmerzlichen Intensität“ herangewachsen war beschränkte sich Bertha von Suttner nicht länger auf das Schreiben. Sie betrat das politische Parkett und avancierte in kurzer Zeit zur zentralen Stimme der internationalen Friedensbewegung. Dass man sie oft belächelte und noch weit häufiger mit Häme und Anfeindungen überschüttete, steckte sie selbstbewusst weg. Außerordentlich gebildet und in vier Sprachen gleichermaßen eloquent stand Bertha von Suttner in Kontakt mit führenden Pazifisten und Intellektuellen.
Fest im liberalen Lager verankert war ihr Kampf gegen den Krieg zugleich ein Kampf gegen soziale Missstände, Antisemitismus, klerikale Dogmen, Tierversuche und die Unterdrückung der Frauen. Den umfassenden Einsatz für eine bessere Welt brachte sie mit dem Satz „Die Religion rechtfertigt nicht den Scheiterhaufen, der Vaterlandsbegriff rechtfertigt nicht den Massenmord und die Wissenschaft entsündigt nicht die Tierfolter“ in „Schach der Qual“ auf den Punkt. Das 1898 veröffentlichte und als Schlüsselroman geltende Buch war mehr als ein Jahrhundert von der Bildfläche verschwunden. In diesem Frühjahr hat es der Hirnkost-Verlag im Rahmen seiner Suttner-Edition wieder aufgelegt.

Die geborene Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau propagierte zum Entsetzen ihres Standes ein aufgeklärtes Bürgertum und warb unermüdlich für Eintracht und Verständigung zwischen und innerhalb der Völker. Hierfür verfasste sie bis tief in die Nacht hinein Briefe, Artikel und Bücher, reiste zu Vorträgen durch Europa und die Vereinigten Staaten. Ihr mehrere Monate währender USA-Besuch glich einem Siegeszug. Selbst Präsident Theodore Roosevelt lud sie zu einem Gespräch ins Weiße Haus. Hatte Bertha von Suttner 1891 bereits die österreichische Friedensgesellschaft ins Leben gerufen entstand im Jahr darauf das deutsche Pendant. Für letzteres bereitete in Berlin der jüdische Journalist Alfred Hermann Fried den Boden und wurde ihr engster Mitarbeiter.
Mit Beharrlichkeit verfestigte Bertha von Suttner ihre Position in der pazifistischen Bewegung. So nahm sie als einzige Frau und Nichtregierungsvertreterin 1899 an der 1. Haager Friedenskonferenz teil, an deren Vorbereitung sie ebenfalls beteiligt war. Ihr aristokratisches Auftreten machten sie zu einer beeindruckenden Person die mit glühenden Worten Menschen zu überzeugen vermochte. „Die Waffen nieder!“ hatte Bertha von Suttner nicht nur zum Titel des Romans und einer Zeitschrift erwählt – der Appell war ihr längst zum Lebensmotto geworden. 1905 sprach das norwegische Parlament der inzwischen 63-Jährigen dann den Friedensnobelpreis zu.

Nach Ansicht etlicher Zeitgenossen ein längst überfälliger Schritt, hätte ihr doch wie keiner anderen Person die erstmalige Verleihung 1901 gebührt. Es war schließlich Bertha von Suttner die Alfred Nobel für die Friedensbewegung gewonnen und ihn später angeregt hatte, sein Vermögen in diesem Sinne einzusetzen. Seine Formulierung, „denjenigen oder diejenige“ mit dem Preis zu bedenken, „welcher oder welche am besten für die Verbrüderung der Menschheit, die Herabminderung der Heere und die Förderung von Friedenskongressen gewirkt hat“ war ohnehin ein kaum zu missverstehender Wink. In dieser Zeit verwendete niemand die weibliche Form.
Vermutlich noch mehr als die verspätete Ehrung erfreute Bertha von Suttner der mit dem Friedensnobelpreis verbundene Geldbetrag. Durch den Tod Alfred Nobels 1896 hatte sie nicht nur einen engen Freund, sondern auch ihren größten Mäzen verloren. Der menschenscheue Erfinder des Dynamits unterstützte die „Amazonenhand, die so wachsam dem Krieg den Krieg macht“ jahrelang mit erheblichen Summen. Den Löwenanteil steckte Bertha von Suttner in die Friedensarbeit, nur das Notwendigste zwackte sie für sich und ihren aufgrund der Heirat enterbten Gatten ab.
Sich mit bescheidenen Lebensverhältnissen zu arrangieren war ihr von Jugend an vertraut. Die Mutter hatte das ererbte Vermögen verspielt, sie selbst sich vehement geweigert, allein des Geldes wegen eine Ehe einzugehen. Die Komtess zog es vor sich als Gouvernante im Hause des Freiherrn Suttner zu verdingen. Dort begegnete sie ihrer großen Liebe – dem Sohn Arthur Gundaccar. Die heimliche Eheschließung mit dem um sieben Jahre jüngeren Mann war für die Wiener Gesellschaft ein absoluter Skandal. Die beiden flohen daher in die Abgeschiedenheit des Kaukasus um ihr „volles, festgeankertes Glück“ zu genießen, wie Bertha von Suttner in ihrem Tagebuch notierte.
Ungezählte Stunden widmete sich das Paar geistes- und naturwissenschaftlichen Studien und der Schriftstellerei. Um die Bedeutung von Frieden sowie die Gleichstellung der Frauen einer möglichst großen Leserschaft zu vermittelt wählte Bertha von Suttner bewusst die Form des Romans. Hatte Arthur Suttner seine literarisch bei weitem erfolgreichere Gattin zeitlebens neidlos unterstützt, vermochte er deren Triumph nicht mehr mit ihr zu teilen. Der Baron verstarb drei Jahre vor der Nobelpreisverleihung an Bertha von Suttner. Ihr eigener Tod mutet fast wie eine Gunst des Schicksals an. Die Friedensaktivistin verschied drei Wochen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, vor dem sie 25 Jahre lang unentwegt aber leider vergeblich warnte.
Erstellungsdatum: 06.12.2025