Vor dem Kapitol im US-Bundesstaat stehen sie schon, nun sollen die „Zehn Gebote“ auch in jeder staatlichen Schule ausgehängt werden. Bürgerrechtsgruppen halten das für verfassungswidrig und gehen rechtlich dagegen vor. Widerstand gegen das verfassungsgemäße Neutralitätsgebot findet allerdings in Deutschland statt. Nicht nur in Bayern setzen Regierungsmitglieder den Einfluss der Kirche auf gesellschaftspoltische Entscheidungen durch. Helmut Ortner über Verfassungstreue im Namen Gottes.
Einzelne Gebote kennen viele noch aus dem Religionsunterricht: „Du sollst nicht töten“. Oder: „Du sollst Mutter und Vater ehren“. Nach biblischer Überlieferung hat Gott die „Zehn Gebote“ dem Propheten Mose vor grauer Vor-Zeit auf zwei Steintafeln am Berg Sinai übergeben. Im Alten Testament wird die Geschichte überliefert. Bis heute sollen die Gebote die Haltung des gläubigen Menschen zu Gott und zu den Mitmenschen regeln. Wer daran glaubt, darf sich selig fühlen. Der Rechtsstaat setzt auf Gesetze und Verantwortung statt Gottvertrauen und Verdammnis. In Demokratien gilt: erst der Bürger, dann der Gläubige. Glaube ist Privatsache. Hierzulade ist die Trennung von Staat und Kirche ein Verfassungsgebot.
Doch das Neutralitäts-Gebot wird konsequent ignoriert. Die Kirche beansprucht – und bekommt – Sonderrechte: fiskalisch, politisch, juristisch. Privilegien, die von den klerikalen Advokaten so leidenschaftlich verteidigt – und von konservativen Politik-Funktionären ebenso großzügig gewährt werden – von kirchlichen Bekenntnis-Sendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bis zu Millionen-Subventionierungen von Kirchentagen, um hier nur zwei Beispiele zu nennen. Ein permanenter verfassungswidriger Verstoß, den Kritiker als Ergebnis eines „klerikalen Kartells“ brandmarken.
Beispiel: Am Religionsunterricht in staatlichen Schulen und an Kruzifixen im Klassenzimmer, wird nicht nur in Bayern festgehalten – trotz eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das 1995 feststellte, es dürfe keine Pflicht zur Aufhängung von Kruzifixen in Klassenräumen geben. Das Urteil löste besonders in Bayern größte Wut aus. „Das Kreuz ist das Ur-Symbol der Toleranz und Nächstenliebe. Wir werden das Kruzifix und die christlichen Wurzeln unserer Heimat verteidigen, wo immer sie vom Zeitgeist oder linken Ideologen angegriffen werden“, hieß es aus der CSU-Staatskanzlei. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Die sichtbare Präsenz christlicher Symbolik gilt es weiterhin zu verteidigen. Mit Gottes Segen – unterstützt von Staat und großzügig bezuschusst aus öffentlichen Steuertöpfen, in die alle einzahlen, auch jene, die der Kirche den Rücken gekehrt haben. Wie gesagt, es geht um die „christlichen Wurzeln“ – und die wollen beständig bewässert werden …
Anregungen für den christlichen Verteidigungs- und Kulturkampf kommen jetzt aus den USA. In Texas, einem Bundesstaat, der sich besonders dem Gebot „Du sollst nicht töten“ verpflichtet fühlt, trotzdem aber die Todesstrafe noch immer vollstreckt wird – allein in diesem Jahr wurden bereits sechs Menschen hingerichtet – hat Gouverneur Greg Abbott gerade ein neues Gesetz unterzeichnet, das bibeltreue Politiker begeistert und Bürgerrechtsgruppen dagegen empört. Es sieht vor, dass in allen Klassenräumen öffentlicher Schulen des Bundesstaates demnächst eine gerahmte Kopie der Zehn Gebote in einer bestimmten englischen Textfassung mit den Maßen 41 mal 51 Zentimeter aufgehängt werden. Zudem unterzeichnete Abbott einen weiteren Gesetzentwurf, der Schulbezirken erlaubt, Schülern und Lehrkräften täglich eine freiwillige Gebetszeit oder Zeit zum Lesen religiöser Texte während des Unterrichts zu gewähren.
Das Gesetz setzt damit eine umstrittene politische Linie fort, in der vor allem konservative US-Bundesstaaten die Rolle der Religion im öffentlichen Schulwesen stärken wollen. Kritiker, darunter zahlreiche Vertreter anderer Religionen, befürchten eine Verletzung der Religionsfreiheit und eine indirekte Benachteiligung von Schülern anderer Glaubensrichtungen. Texas hat rund sechs Millionen Schüler an etwa 9.100 öffentlichen Schulen, die vielfältigen religiösen Hintergründen angehören. In einem gemeinsamen Schreiben warnten die Unterzeichner vor den rechtlichen und gesellschaftlichen Folgen einer solchen Maßnahme.
Die Befürworter des Gesetzes dagegen argumentieren, dass die Zehn Gebote einen historischen und rechtlichen Grundstein der amerikanischen Nation darstellen und daher zum Bildungsauftrag gehören. Und deshalb sollen Schulen in Texas künftig zusätzliches Geld bekommen, wenn sie einem biblisch geprägten Lehrplan folgen. Die dortige, mehrheitlich von Republikanern geführte Bildungsbehörde genehmigte ein Curriculum, mit dem biblische Inhalte in den Lese- und Schreibunterricht von Grundschülern einbezogen werden. Für die Schulen gibt dafür finanzielle Anreize von bis zu 60 Dollar pro Schüler und Jahr.
Auch in anderen Staaten im Süden der USA versuchten Republikaner zuletzt, der Religion in öffentlichen Schulen mehr Gewicht zu geben. So sollen in Louisiana in Klassenzimmern und Hörsälen staatlicher Schulen und Universitäten die Zehn Gebote angebracht werden. Bürgerrechtsgruppen halten das für verfassungswidrig und gehen rechtlich dagegen vor. Die texanische Generalstaatsanwältin Liz Murrell jedenfalls kündigte an, das Gesetz kippen zu wollen und den Fall notfalls bis zum Obersten Gerichtshof der USA zu bringen. Gouverneur Abbott selbst hat bereits im Jahr 2005 als Generalstaatsanwalt erfolgreich vor dem Obersten Gerichtshof vertreten, dass ein Denkmal mit den Zehn Geboten auf dem Gelände des texanischen Kapitols bleiben darf. Er ist guter Dinge, dass er auch diesmal im Kampf um die Rettung des christlichen, amerikanischen Abendlandes als Sieger hervorgehen wird.
Und hierzulande? Die Abschaffung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen und das Abhängen von Kruzifixen in Klassenzimmern steht nirgendwo auf der politischen Agenda. Kanzler und Christenmensch Merz ist Garant dafür, dass sich daran nichts ändern wird. Als Erweiterung der Zehn Gebote würde sich ein 11. Gebot anbieten: „Du sollst nicht an der Allianz von Staat und Kirche rütteln“.
LESE-TIPP:
Helmut Ortner
DAS KLERIKALE KARTELL
Warum die Trennung von Staat und Kirche überfällig ist
Nomen Verlag
Erstellungsdatum: 01.07.2025