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Ewalina Marciniak inszeniert den „Großen Gatsby“ in Frankfurt

Ein armes Würstchen

Martin Lüdke


Foto: Arno Declair, Schauspiel Frankfurt

Vor hundert Jahren demonstrierte das Glamourpaar Zelda und F. Scott Fitzgerald den Hedonismus der begüterten Klasse Amerikas – bis zur permanenten Verschuldung. Das schloss nicht aus, dass der damals schon berühmte Schriftsteller Fitzgerald in seinem Roman „Der große Gatsby“ diese Partygesellschaft distanziert und mitleidlos schilderte. Ihn für die Bühne zu dramatisieren, ist sicher eine Herausforderung. Martin Lüdke beschreibt, was daraus geworden ist.

 

F. Scott Fitzgeralds großer, dabei eher kurzer Roman „Der große Gatsby“ erschien erstmals 1925. Der vom Autor (zu recht) erwartete große Erfolg blieb aus. Nur zwanzigtausend Exemplare wurden damals verkauft. Erst zwei Jahrzehnte später wurde das Buch zum Dauer-Seller, der über Jahrzehnte hinweg jährlich gut hunderttausend neue Leser fand und natürlich auch mehrfach verfilmt worden ist, zuletzt mit Robert Redford und dann mit Leonardo DiCaprio. Der „Gatsby“ ist das Buch, das die „Roaring Twenties“ ins Bild setzt. Und irgendetwas scheint auch noch heute dran zu sein an diesem Stoff.

Als sich der junge F. Scott Fitzgerald an seinen „Gatsby“ machte, begann auch ein junger deutscher Soziologe namens Norbert Elias seine ersten Überlegungen zum „Prozeß der Zivilisation“ anzustellen. Der eine machte sich an seine Gegenwartsdiagnose, der andere versuchte zu beschreiben, wie das, was ist, geworden war. Doch beide trafen sich „irgendwo“. Diesen Ort zu bestimmen, über die geographische Lage hinaus, in diesem Fall Long Island, das wäre die Aufgabe einer jeden Beschäftigung mit dem ‚Stoff’, den uns „Der große Gatsby“ präsentiert. Dabei geht es nicht nur um das Lebensgefühl jener Zeit, sondern auch um soziale Distinktion. Der Emporkömmling, gern mit dem Begriff „neureich“ beschrieben, steht nämlich unter Beweiszwang. Seine Zugehörigkeit zu der Klasse, in die er hineingeraten ist, versteht sich nicht von selbst. In solchen massiven sozialen Veränderungen tritt immer auch signifikantes Personal auf die Bühne.

Die Größe von F. Scott Fitzgeralds Roman zeigt sich auch an seiner Reichweite: Er präsentiert eine Momentaufnahme der „Roaring Twenties“; er erzählt auch eine anrührend tragische Liebesgeschichte, und vor allem bietet er eine präzise Gesellschaftsdiagnose.

Jay Gatsby hat sich auf Long Island, genau auf der anderen Seite der Bucht, an der die Buchanans leben, ein überaus prächtiges Anwesen gekauft. Die großen Partys, die er fortwährend gibt, mittlerweile in ganz New York legendär geworden, rauschende Feste, haben aber nur ein Ziel: Er will Daisy, seine Jugendliebe, die er vor fünf Jahren, als armer Schlucker damals, verlassen musste, um in den Krieg zu ziehen, auf sich aufmerksam machen und für sich zurückgewinnen. Daisy, unterdessen mit einem aus dem Geldadel der Südstaaten stammenden Tom Buchanan verheiratet, ihr Kind ist zwei Jahre alt, kommt sichtlich ins Schwanken. Als Gatsby zum Militär eingezogen wurde, da hieß er noch Gats, und sah aus guten Gründen wenig Aussichten, bei der vornehmen Südstaaten-Schönheit wirklich landen zu können. Jetzt aber ist er reich, sehr reich, nennt sich Gatsby und beeindruckt damit nicht nur seine einstige Liebe.


Szenenfoto: Arno Declair, Schauspiel Frankfurt

Scott Fitzgerald lässt das Schicksal des großen Gatsby von dem jungen Börsenmakler Nick Carraway erzählen, der mit Daisy verwandt ist und mit ihrem Mann Tom, während seines Studiums befreundet war. Carraway lebt in einem kleinen Häuschen neben dem riesigen Anwesen Gatsbys. Er ist Beobachter und Beteiligter zugleich. Durch diesen Kunstgriff gewinnt der Roman an Unmittelbarkeit und Nähe, aber auch an Distanz.

Darauf muss die Bühnenfassung von Iga Gańczarczyk naturgemäß verzichten, sieht man von einigen, eher unbeholfen wirkenden Mitteilungen Isaak Dentlers ab, der die Zwitterrolle des Erzählers auch mit ausfüllen sollte, aber dabei ergänzt wird von zwei neu erfundenen Figuren, einem „Burschen“, und einem „Mädchen“, die sinnvollerweise den Part eines Tankstellenpaars übernehmen, (die Frau ist im Buch die Geliebte Tom Buchanans, ihr älterer Mann ein Trottel). Überflüssigerweise wird hier noch eine Gaunerkomitragödie angehängt, die dem Stoff die gewünschte Dosis Sozialkritik verschaffen soll. Das aber geht gründlich in die Hose und wirkt ebenso ärgerlich wie aufgesetzt und lächerlich.

Scott Fitzgeralds Roman enthält eine präzise Gesellschaftsdiagnose seiner Zeit, mit guten Anknüpfungspunkten für die Gegenwart. Der Erste Weltkrieg, damals, in Ermangelung eines Zweiten, noch der Große Krieg genannt, diese Weltkatastrophe und ihre drastischen Opferzahlen wurden in den Zwanziger Jahren regelrecht weggefeiert. Der Industrie-Kapitalismus stellte sich schwungvoll auf eine Konsumwirtschaft um. Und das konnten die Beteiligten auf den rauschenden Partys des Großen Gatsby fröhlich miterleben. Diese Geschichte, die uns in der Vorlage erzählt wird, lässt sich ohne Verrenkungen als ein gegenwärtiges Geschehen darstellen. Selbst das Drama, das sich da mittendrin abspielt, der Unfalltod der Geliebten von Tom Buchanan, quasi schuldlos verschuldet durch Daisy, Toms Frau, mit Gatsby auf dem Beifahrersitz, zeigt ebenfalls zeitlose Züge. Warum hier Regisseurin und Dramaturgin eine Aktualisierung dranhängen, den armen „Burschen“ und sein „Mädchen“ eine armselige Gangsterkomödie aufführen lassen, deren Hilflosigkeit armselig wirkt und das behauptete Unrecht dieser Welt eher Lügen straft, das bleibt ein Geheimnis der Spielleitung.

Warum zudem die Rolle der Daisy verdoppelt wurde, Sarah Grunert, zu der sich bald schon die alte Daisy, Heidi Ecks gesellt, lässt sich zwar als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme deuten, gibt aber deshalb nicht weniger Rätsel auf. Man muss die beiden Damen eher bedauern, die sich beide mehr als ordentlich ins Zeug legen, und doch seltsam fremd einander und uns begegnen. Auch Gatsby selber, Christoph Bornmüller, bleibt notgedrungen, so wie seine Rolle angelegt ist, eine ziemlich blasse Figur, die nur die Frage aufwirft, wie so ein armes Würstchen zu so viel Geld gekommen sein soll.

Gatsbys gab und gibt es zu jeder Zeit. Man muss sie nur erkennen. Und das ist nicht so schwer. Ohnehin lässt sich aber fragen, ob die Aktualität eines Stoffs nicht aus ihm selber entwickelt werden müsste.

Nach gut zwei Stunden, ohne Pause, hatte das Elend ein Ende. Das Einzige, was an diesem Abend wirklich stimmte, war der Beifall zum Schluss. So spärlich, wie ich es in wirklich sehr vielen Jahre im Frankfurter Schauspielhaus noch nie erlebt hatte. Das Publikum hatte dennoch erkennen können, dass Schauspieler nicht für den Murks der Regie verantwortlich sind.

Der große Gatsby

nach F. Scott Fitzgerald
 
Regie: Ewalina Marciniak
Bühne: Grzegorz Layer, Ewalina Marciniak
Kostüme: Julia Kornacka
Musik: Waclaw Zimpel
 
Jay Gatsby: Christoph Bornmüller
Nick Carraway: Isaak Dentler
Daisy: Sarah Grunert
Tom Buchanan: Arash Nayeebbandi
Jordan Baker: Linda Pöppel
Daisy II: Heidi Ecks
Mädchen: Nina Wolf
Bursche: Stefan Graf
Henry Gatz: Matthias Redlhammer
 
Live-Musik: Tom Roth, Martin Standke, Yury Sych

 

Die nächsten Termine:
 
So. 10.11.2024
18.00–20.00
 
Fr. 15.11.2024
19.30–21.30
 
Sa. 23.11.2024
19.30–21.30
 
Mi. 27.11.2024
19.30–21.30
 
Do. 28.11.2024
19.30–21.30
 
Mo. 02.12.2024
19.30–21.30
 
Do. 05.12.2024
19.30–22.30
Fr. 06.12.2024
19.30–21.30
 
Mi. 25.12.2024
18.00–20.00
 
Sa. 28.12.2024
19.30–21.30
VORVERKAUF AB 11. NOVEMBER
 
Sa. 04.01.2025
19.30–21.30
VORVERKAUF AB 11. NOVEMBER

Schauspiel Frankfurt


 
 

Erstellungsdatum: 03.11.2024