Schon ihre Familiengeschichte wäre Stoff für einen Film. Helen Mirren stammt in direkter Linie vom russischen Feldmarschall Graf Michail Kamenski ab, ihr aristokratischer Großvater floh vor der russischen Revolution nach England, wo ihr Vater dann sein Geld als Taxifahrer, Musiker und Fahrlehrer verdiente. Sie selbst wurde die große Schauspielerin die sie von Kind an sein wollte und verkörperte genial die Königinnen Elisabeth I. und II.. Marli Feldvoß hat die vor kurzem 80 Jahre alt gewordene Helen Mirren in Stephen Frears‘ Film THE QUEEN gesehen.
Das Königliche oder auch das Imperiale hat Jahrzehnte nach Sissis Tränental wieder einmal Konjunktur im Kino. Dazu mögen die wuchernden Celebrity-Magazine das Unterfutter hergeben, das fade Gefühl des anything goes, die stille Sehnsucht nach dem irgendwie Erhabenen, die mit einem Zuckerpüppchen à la Marie Antoinette oder aber mit einem Folterknecht im Schottenröckchen à la Idi Amin abgespeist wird – wie im demnächst anlaufenden Film THE LAST KING OF SCOTLAND, der um den Menschenschlächter aus Uganda und seinen schottischen Leibarzt kreist. Durchaus passend zum Trend kommt Stephen Frears‘ THE QUEEN ins Kino. Aber das Dokudrama, das leger und im Alltagslook daherkommt, bemüht sich, anders als die anderen, ernsthaft um Authentizität und Wahrheit und hat wenig zu tun mit Pop-Absolutismus, Cremetörtchen-Dynastie oder ungehörigen „Liebesbriefen“, wie dem, den Idi Amin ausgerechnet an die Queen gerichtet haben soll: „Dear Liz, if you want to know a real man, come to Kampala.“
Von der wirklichen Queen ist bekannt, dass sie nur sehr selten in der Öffentlichkeit geweint hat – die Fama berichtet von Tränen bei der Stilllegung der königlichen Yacht „Britannia“ 1997 oder dem Tod der Mutter 2002. Dass Elizabeth, euphemistisch gesagt, nicht zu Gefühlsausbrüchen neigt, weiß jeder Brite, das wussten auch Regisseur Stephen Frears und sein Drehbuchautor Peter Morgan. Deshalb muss man als Zuschauer gut aufpassen, um die einzige Träne, die sie in ihrem Film vergießt, nicht zu verpassen. Es ist der Augenblick, als sie – allein und sichtbar verzweifelt – irgendwo in den Highlands mit ihrem Landrover in einem Bergbach gestrandet ist. Schon das wirkt wie eine Metapher aus Märchenbuch oder Kitschroman. Aber dann erscheint – wie aus dem Nichts – auch noch ein Prachthirsch, als würde nun das innere Drama der Königin in Tiergestalt daherkommen. Diana, Jägerin und Gejagte in einem. Und das stolze Tier wird natürlich im Film wie im Leben erlegt werden – von den Touristen, die sich übers Wochenende im Nachbarschloss eingemietet haben.
Damit sind wir schon mittendrin in DIE QUEEN, dem ersten großen Spielfilm über Elizabeth II., die britische Königin, und ihre von den Paparazzi „zu Tode gehetzte“ Widersacherin Diana, Königin der Herzen, die ihr schon lange die Popularität gestohlen hatte. Herausgegriffen aus der gemeinsamen Geschichte der beiden ist nur der Höhepunkt, das eigentliche Drama der Königin, die bis dahin vom Medienrummel um das Haus Windsor verschont geblieben war, aber in der Woche nach Dianas Tod im August 1997 gefordert war. Mit einer Vogel-Strauß-Politik hatte sie allem aus dem Weg gehen wollen: kein Aufsehen, kein Staatsbegräbnis für Diana, die nach ihrer Scheidung offiziell nicht mehr zur Familie gehörte, und keine auf Halbmast wehende Flagge über dem Buckingham-Palast. Auch der Rückzug der königlichen Familie mit Dianas Kindern, den boys, auf den schottischen Landsitz Balmoral erwies sich als falscher Schachzug. Das Volk erwartete von seiner Königin ein Zeichen, aber die Royals bewiesen nur einmal mehr, dass ihnen jeder Bezug zur Wirklichkeit fehlte.
Keiner konnte ahnen, dass nun der „Machtkampf“ zwischen dem ehrgeizigen neuen Premier Tony Blair und seinem Staatsoberhaupt in die heiße Phase treten würde. Ein Stellungskrieg, der geschickt von Blairs Beratungsteam gesteuert wurde. Aber in Wirklichkeit war es die Öffentlichkeit, die anders entschied und ganz England mit Trauer und Blumengebinden überzog. Die Queen musste zum ersten Mal erleben, dass ihr Volk sich gegen sie kehrte – es adoptierte Diana als „the people's princess“.
DIE QUEEN verlagert das ganze Geschehen sehr geschickt zwischen zwei Begegnungen der Königin – Helen Mirren – und ihrem frischgebackenen Premier Tony Blair – gespielt von Michael Sheen –, die als Prolog und Epilog fungieren. Bei der ersten Audienz genügt eine unmerkliche Handbewegung, um den noch unsicher auftretenden (aber immerhin demokratisch gewählten) Blair, der nichts als Modernisierung im Sinn hat, über das Protokoll zu unterrichten und damit zu bremsen. Rückwärts hinausstolpernd, machen er und Ehefrau Cherie dann wahrlich keine gute Figur. Aber auch zum Schluss, nachdem sie eingelenkt, ihren Canossagang inmitten der trauernden Menge absolviert und eine Trauerfeier in Westminster Abbey durchlitten hat – ein „Aufgebot von Homosexuellen und billigen Stars wie aus einer Seifenoper“ (Prinz Philip) –, behält die Queen die Oberhand und weist ihren Premier in seine Schranken, der, wie sie trefflich meint, Demut mit Demütigung verwechsele. Und nun kommt der Film zu einer Zeit in die Kinos, da Tony Blair seine eigenen Rückzugsgefechte auszutragen hat.
Bei alledem darf man nicht vergessen, dass die Herausforderung eines Films über die Queen vor allem darin besteht, dass eine lebende Monarchin im Mittelpunkt steht, dass er diese Königin wie eine Frau und nicht wie ein Staatsoberhaupt behandelt und sie auch noch in den Konflikt zwischen Tradition und Moderne treibt. Das ist bisher überhaupt nur einmal im 1988 uraufgeführten Stück „A Question of Attribution“ von Alan Bennett geschehen, das auch als Fernsehspiel herauskam. Später, nach dem Scheidungsdebakel, nach Dianas Tod, dem medienpolitischen Ereignis in der Geschichte des amtierenden englischen Königshauses, war die königliche Familie längst ihres Ausnahmezustands enthoben und für den Medienrummel freigegeben – nur die Queen war zunächst noch verschont geblieben.
Stephen Frears wirbt von der ersten Minute an um Verständnis für diese Frau, die seit mehr als einem halben Jahrhundert so gut wie fehlerlos ihre Rolle gespielt und das Aus-der-Rolle-Fallen stets verachtet hat. Die Hauptdarstellerin Helen Mirren war bei ihren Vorbereitungen am meisten von einer Dokumentation gerührt, in der die zwölfjährige Elizabeth bei irgendeiner offiziellen Mission ihre kleine Prinzessinnenhand zum Gruß ausstreckte und dabei keine Miene verzog – schon damals erfüllte sie ihren Job, so gut sie es konnte.
DIE QUEEN ist in gewisser Weise ein Sequel des vom selben Team realisierten Fernsehfilms THE DEAL (2003) über die Beziehung von Tony Blair (ebenfalls besetzt mit Michael Sheen) und seinem schottischen Widersacher Gordon Brown. Natürlich wurden alle möglichen Quellen und Informanten aus dem Königshaus und dem Angestelltenstab der Downing Street bemüht, denen Geheimhaltung zugesichert wurde, vor allem, um dem unbekannten Privatleben der königlichen Familie ein glaubwürdiges Gesicht zu geben: dem stoischen Prinz Philip mit seinen brutalen Ansichten und seinem: „Well, well, well“, dem reumütigen, aber doch zu wankelmütigen Prince of Wales und der gern zur Flasche greifenden, aber besonders auf ihre Privilegien pochenden Königin-Mutter.
Dass sie mit der Queen eine wahre Landesmutter zu spielen hatte, das wusste die Darstellerin Helen Mirren sehr genau. Auch, dass diese Rolle mit ihrem frivolen Image auf Konfliktkurs ging. Ihr Image kreiste stets um „Sex und Macht“, und sie bedient es auch heute noch gern, als 61-Jährige, zur „Dame“ Geadelte. Es rührt nicht erst von Peter Greenaways exzentrischer Ehefrau in DER KOCH, DER DIEB, SEINE FRAU UND IHR LIEBHABER (1989) her oder von den freimütig posierenden CALENDAR GIRLS (2003), sondern geht auf frühe Rollen wie in CALIGULA (1979) zurück. Aber die britische Schauspielerin ließ sich auch noch zu ihrem fünfzigsten Geburtstag splitternackt für den Titel der „Radio Times“ ablichten, und keiner würde sich wundern, wenn sie das zu ihrem siebzigsten noch einmal täte. Die antimonarchisch eingestellte Mirren nimmt als Queen das Königinnendasein angemessen schwer und dennoch leicht, unsentimental, cool, buhlt nicht um Mitleid, sondern steht wie schon in früheren Rollen zu den unsympathischen Seiten ihrer Figur.
„Sie ist einfach würdevoll. Immer diese Selbstkontrolle, diese Selbstdisziplin.“ Aber auch: „Es ging im Handumdrehn. Die Perücke half. Die große Brille half. Ihre Kopfhaltung ist unverwechselbar.“ Und da war noch etwas anderes. „Ein bisschen sehe ich ihr auch ähnlich.“ Früher, mit einer dunklen Perücke angetan, hätte man die Blondine noch mit Prinzessin Margaret verwechseln können.
Mirren hatte indes schon Übung im Königinnenspiel. Vor zwölf Jahren überzeugte sie als Queen Charlotte in Nicholas Hytners KING GEORGE – EIN KÖNIGREICH FÜR MEHR VERSTAND, eine Rolle, die ihr 1995 in Cannes bereits zum zweiten Mal den Darstellerinnenpreis einbrachte. Unmittelbar vor DIE QUEEN war sie Elizabeth I. in der hochgelobten, mit vier Emmy Awards ausgezeichneten gleichnamigen TV-Miniserie. Der erfolgreiche Zweiteiler behandelt im ersten die reifere, im zweiten Teil dann die alte Elizabeth. Doch im Gegensatz zu ihrer heutigen Namensschwester war Elizabeth I. schon zu Lebzeiten eine viel besungene, von ihrem Volk leidenschaftlich geliebte Monarchin, deren weithin bekanntes Liebesleben in früheren Darstellungen im Vergleich mit ihren politischen und militärischen Erfolgen oft zu kurz kam. „Sie war sehr feminin, sehr verletzlich, manchmal ein bisschen dumm, aber gleichzeitig sehr intellektuell und sehr, sehr emotional. Ich meine, sie konnte sehr schnell ausrasten“, lässt Helen Mirren dazu verlauten.
Ähnliches ließe sich auch von Cate Blanchetts verführerischer blutjunger ELIZABETH (1998) sagen, die der indische Regisseur Shekhar Kapur in einem rauschhaft üppigen Kostümfilm mit elisabethanischer Prachtentfaltung als Botticelli-Schönheit mit wehendem Haar auftreten lässt. Was für ein Gefälle! Vom „Saturday Night Fever“ der modernen, körperbetonten, sich beim Tanz austobenden Königin bis zur letzten Szene des Films, wenn die wie in Stein gehauene Thronprätendentin sich selbst zur jungfräulichen Königin salbt, um hinfort nur noch ihrem Staate zu dienen. Sally Potter sah die legendäre Monarchin in ihrer Verfilmung des Orlando-Romans von Virginia Woolf (1992) hingegen als menschliches Urgestein und besetzte sie mit dem damals schon mehr als 80-jährigen Autor und Antischauspieler Quentin Crisp. Eher Marionette und Selbstdarsteller als historische Figur, verkündete der freimütig: „Ich zieh einfach das Kostüm an und sage meinen Text auf.“
Fliegender Kostümwechsel zeichnete wiederum Tilda Swinton in Derek Jarmans EDWARD II. (1991) aus. Swinton beließ es nicht bei der Darstellung der unglücklichen Königin Isabella, sondern veranstaltete auch noch eine Maskerade, versammelte in bestechend genauen Miniaturen ein Konzentrat berühmter Frauenfiguren aus Film- und Realgeschichte, darunter auch eine Elizabeth I., eine zeitlose „Ikone der Macht“.
Wer heute „die Queen“ sagt, denkt automatisch an Elizabeth II., die seit mehr als einem halben Jahrhundert den englischen Thron besetzt hält und ihre Namensschwester aus dem Goldenen Zeitalter vor über 400 Jahren bereits um neun Regierungsjahre überrundet hat. Die Filmkönigin ist zwar wesentlich jünger als die heute 80-Jährige, erscheint in ihrer würdevollen Darstellung jedoch beinahe alterslos. Und Regisseur Frears zeigt sich nach dem missglückten Ausflug in LADY HENDERSONS fragwürdiges Nachtleben in absoluter Hochform. Er schafft es mühelos, die unterdrückten Leidenschaften dieser lebenden Monarchin, der Entgleisung ein Fremdwort, Karikatur eine Beleidigung wäre, in eine Art Balance zwischen dem Erhabenen und dem Banalen, zwischen Empathie und Lächerlichkeit zu bringen und dabei alle Regeln des britischen Understatements und des unerlässlichen trockenen Humors zum Einsatz zu bringen. „Da bieten sich keine einfachen Lösungen an. Ein Film über die Queen ist so, als ob man einen Film über die eigene Mutter machte – und das in England, wo die Queen als eine Art symbolische, emotionale Landesmutter gilt. Man möchte da nicht unfair oder oberflächlich erscheinen. Aber wie das bewerkstelligen? Wahrscheinlich geht es nur mit dem Instinkt.“ Auf jeden Fall wollte Frears mit diesem Film keine gängigen Erwartungen bedienen und die eigentlich groteske Institution der konstitutionellen Monarchie der Lächerlichkeit preisgeben – er zielt in die entgegengesetzte Richtung. Dafür hat er in Tony Blair – letztlich auch für die Zuschauer – einen unerwarteten Bundesgenossen gefunden.
Erstveröffentlichung: epd Film 1/2007
Erstellungsdatum: 30.07.2025