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Gegenkultur

Eine Frankfurterin: Else aus dem Club Voltaire

Eva Demski


Club Voltaire, Kleine Hochstraße 5 in Frankfurt am Main. Foto: Sisu-K4W. Wikipedia

Es gab und es gibt sie noch, die offenbar von allen Unsicherheiten und Ängsten befreiten Persönlichkeiten, die fest im Milieu verankerten und mit mundartlichem Schalk begabten „Originale“. Sie beindrucken mit ihrer Unangepasstheit, vermitteln Authentizität und bilden mit ihrem Charakter die Stützpfeiler der Gegenkultur. In Frankfurt am Main, wo die Selbstironie zuhause ist, muss man nicht danach suchen. Eva Demski feiert Else Gromball aus dem Club Voltaire, die im Dezember 90 Jahre alt geworden ist.

 

Sie ist oft mit der Mutter Courage verglichen worden, wahrscheinlich meist von denen, die das Stück nicht kennen. Denn Brechts beinharter Marketenderin gleicht sie nicht, und ihre Unerschütterlichkeit ist eine organisch gewachsene, nicht aufgezwungene Haltung.

Sie ist in Frankfurt geboren, im Gallusviertel, Friedrich-Ebert-Siedlung. Damals hat man noch Kamerun gesagt, nach dem Krieg war’s dann das Gallus. Die meisten, die dort wohnten, haben bei Teves geschafft, auch Elses Vater, als Schlosser und Schmied. Sie bleibt das einzige Kind ihrer Eltern, ihre Mutter Kathinka ist erst Schneiderin, geht dann in die „Schlappefabrik“ arbeiten. Noch lange nach dem Krieg hieß es in Frankfurt zu Kindern, die in der Schule nicht guttaten, Du kommst in die Schlappefabrik.

Kathinka kommt, während des Krieges dienstverpflichtet, auch noch in die Firma Teves. Mit vierundzwanzig ist Else erst von zuhause weggezogen, nach vielen Berufsanfängen. Erst in einer Blusenfabrik, dann in einem Lebensmittelladen. Ich hab alles genommen, was mir das Arbeitsamt angeboten hat, sagt sie. Ich war keinen einzigen Tag in meinem Leben arbeitslos. Aber in dem Lebensmittelladen, da mußt ich den Wermuth ansaugen zum Abfüllen, da war ich als voller wie die Flasch. Ich bin überhaupt öfter mal rausgeflogen.

Nach dem Wermuth-Abenteuer wurde sie in ein Schmuck-Parfümerie- und Ledergeschäft im Bahnhofsviertel als Lehrling vermittelt. Einschließlich Dackelbetreuung, sagt sie. Bevor ich da anfangen durfte, mußt ich erst meine Daten an den Stern schicken, fürs Horoskop. Damit das stimmt. Und dann gings ab morgens um sieben, den Hund spazierenführen, bis nachts um elf, da mußt ich noch Schaufenster dekorieren. Kannste Dir vorstellen, was das heißt, Parfümerie dekorieren? Den ganzen Kleinkram? Damals hab ich gelernt: Was man zeigt, verkauft man! ... Wir waren ja im Milieu mit dem Laden, die Nutten haben ja auch gezeigt, was sie verkaufen!

Sie erzählt ihre komischen Jugendgeschichten, wie immer ohne zu lachen, das Lachen des Gegenübers aber erwartend. Sie erzählt wie eine Orientalin, macht die Leute nach, malt mit den Händen, zeigt Begebenheiten und Menschen ganz rund und vorstellbar. Besonders würdevolle und pathetische Anlässe, an denen die Linke nicht arm ist, kann sie sehr entlarvend darstellen. Vielleicht ist dies eines jener Geheimnisse, die es möglich gemacht haben, daß sie zwanzig Jahre an einem so streitträchtigen, krachzeugenden Ort wie dem Club Voltaire, der ältesten und letzten linken Kneipe in der Innenstadt, in einer so komplizierten Umgebung von ideologischen Unterschieden, Eitelkeiten, Mißverständnissen und Kränkungen ausgeharrt hat, niemandem nach dem Munde redend, mit niemandem – soweit ich das sehen konnte – ernsthaft überworfen. Sie zeigt einen wortlosen, aber sehr sichtbaren Sinn für das Komische.

Wenn Sozialdemokraten mit Anarchistinnen, Trotzkisten mit MLern, Feministinnen mit Anwälten, Abgeordnete mit Fernsehschaffenden aneinandergeraten, entbehrt das nur sehr selten der Komik. Else sah das immer, und man konnte sehen, daß sie es sah.

Sie hat eine im 68er Sinn lupenreine Herkunft, eine antifaschistische Erziehung, die zu früher Mitarbeit in politischen Gruppen führte – SG Westend, Naturfreunde – und die letztendlich auch Grund und Voraussetzung für die Arbeit im Club war. Der Club war ein Brennglas der linken Entwicklung in der BRD, das Nest, das nicht eindeutig Einzuordnende, der Ärgerherd für viele, ein ewiger Quell des Mißtrauens für Bürokratie und offizielle Kulturverwaltung.

Immer wieder kommen die Bilder von früher hoch, ach, was soll denn schon schlimm sein, an dem „Weißt Du noch“? Man braucht es doch manchmal. Else kann es gut, dieses „Weißt Du noch“? Weltjugendfestspiele, Internationales Pfingstcamp in Amsterdam. Oder die Großen Demos – damals, dann lang nicht und jetzt wieder.

Und es muß doch gegessen werden! Demonstrieren macht Hunger, und da stehen dann die vom Club, ob es auf dem Römer ist oder im Günthersburgpark. Kundgebung oder Demo, ob die Reden langweilig sind oder leidenschaftlich, ob man sie überhaupt versteht oder nicht: Hunger gibt es doch, und da stehen eben die vom Club da.

 


Else Gromball. Foto: Club Voltaire

Pepe, der Äppelwein ist gleich all. Fahr mal in den Club. Es ist eine heikle Sache, von jemandem ein bißchen zu erzählen, ihn herauszulösen aus den anderen Menschen, die ihn umgeben und die gerade in dieser Welt so wichtig sind. Denn was ist ein Linker ohne Freunde? Und ich nenne jetzt einfach keinen einzigen Namen, denn irgendeinen würde ich vergessen von den Anwälten und -tinnen, Fernsehschaffenden, Lehrern, Arbeitslosen, Köchen, Politikern, Schreibern und Rednern – und der wäre dann gekränkt. Mit Recht. Aber sie alle gehören zu Else, und das eben ist ein Teil jener Gegenkultur, die sich in letzter Zeit als immer notwendiger, als ausbaufähig und aktuell erwiesen hat.

Die Gegenkultur braucht Menschen, sie braucht aber auch Orte. Es gilt, der Frankfurter Architektur-Peepshow etwas entgegen zu setzen. Die Guckkastenblicke auf etwas eben so Nettes wie historisch Verlorenes, die die Innenstadtdekorateure für Kultur der Umgebung halten, bedarf der Ironisierung, genau wie die Veranstaltungen, die dementsprechend gestaltet werden.

Als der Alten Oper die Titanic untergehen sollte (es ging statt dessen ganz ’was anderes unter, Geschmack und Ideen und Phantasie), legte in der nahen Kleinen Hochstraße ein „Rettungsboot“ ab, das alsbald wegen Überfüllung zu sinken drohte – ein Phänomen, das auf den alljährlichen Republikanischen Anti-Opernbällen immer wieder zu besichtigen ist. Beweis für die Notwendigkeit der Gegenkultur? Er braucht nicht geführt zu werden, denn selbstverständlich kann sie nur dort entstehen, wo Kultur sich verabschiedet und mit Lügen und Schminke zugerichtet hat. Gegenkultur braucht Orte. Sie darf nicht auf den vertrauten Terrains verharren, sondern muß sich neue erobern.

Gegenkultur braucht Menschen. Sie braucht ganz besonders solche, die ein Brücken-Talent haben, die andere verschiedenster Couleur zum Reden bringen können. Daß Else das kann, hat sie bewiesen.

Und das ist sie auch noch: Zeitzeugin, anders, als es in den toten Abfragereien des Fernsehens hergezeigt wird. In Griechenland wurde sie für ihre Hilfe, die sie unter Gefahr für sich selbst während der Juntadiktatur für griechische Genossen geleistet hat, höchst offiziell geehrt. Das hat sie gefreut, man sah es ihr an. Gelegentlich zu erleben, daß eine Diktatur verschwindet und auch noch mit dem Gefühl, dabei mitgeholfen zu haben: Ich stelle mir das als einen großen Moment vor. Ich war fast neidisch. Aber ich habe mich erinnert: Zu der Zeit, als diese politischen Aktivitäten stattgefunden haben, war das gar kein Thema, es ist wenig darüber gesprochen worden. Gute alte linke Tugend des Maulhaltenkönnens, wie wenige beherrschen sie noch. Aber es ist nicht gut, mit so einer ernsten rührenden Geschichte ein kleines Wörterbild von der Else zu beenden. Und so fällt mir eine andere Geschichte ein, die einen „Elsigeren Schluß“ bilden kann: (und jetzt, wenn sie das liest, wird sie das Kinn vorschieben, die Haare zurückwerfen, als hätte sie noch die ganz langen von früher, sie wird die Augen zusammenkneifen und einen skeptischen Schnutenmund machen).

Einmal waren wir auf einer Demo, eine frühe Startbahndemo war es, zu einer Zeit, als noch ’was zu retten gewesen wäre. Inge, Else und ich gingen durch die Bleichstraße, bogen in die Adenauerallee ein, sahen die Schützen auf den Dächern der Kaufhäuser und redeten von früher.

Ein Küken von Genosse, halb so alt wie wir, hüpfte nervös neben uns her, tänzelte und rannte vor und zurück. Macht doch emal voran! sagte er zu uns. Und da sagte Else zu ihm: Hör emal. Wenn wir Damen noch emal auf e Demo gehe, da haste dich unserm Tempo anzupasse. Nett umgekehrt!

 

Club Voltaire

 

 

 

Erstellungsdatum: 23.12.2025