MENU
Emily Brontës Roman „Sturmhöhe“ in Darmstadt

„Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich bewirken?“ Friedrich Schiller, der mit seiner Rede „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ darauf antwortete und forderte, dass das Theater sein Publikum erziehen und belehren und deshalb „jede Fessel der Künstelei und der Mode“ abwerfen sollte, wäre vermutlich mit dem heutigen Stand der darstellenden Kunst nicht glücklich gewesen. In Darmstadt wurde Emily Brontës Roman „Sturmhöhe“ gespielt und mit aktuellen Botschaften versehen. Martin Lüdke hat sich das angesehen.
Wir waren mal wieder in Darmstadt. Es hat sich gelohnt. Wir haben uns geärgert und sind dann doch eher zufrieden wieder nach Hause gefahren. Mit Emily Brontës Roman „Sturmhöhe“ wurde ein Stoff auf die Bühne gebracht, der einfach nicht tot zu kriegen ist.

I
Ein Friedhof. Ein Grab. Blitz und Donner, immer wieder. Ein hell leuchtendes, meterhohes Kreuz auf der noch aufgeschütteten Erde. Ein Mann, laut jammernd, wühlt mit seinen Händen in der Erde, wirft sich immer wieder auf das Grab als wolle er, was da begraben liegt, wieder lebendig machen. Ein Vorspiel. Ein Vorgriff.
II
Die Brontës. Vater Pfarrer. Drei Schwestern. Alle schreiben. Alle sterben jung. Aber alle hinterlassen bleibende Spuren. Die Gegend, noch nördlich von Manchester, schon seit langem nach ihnen benannt, Brontë Country, ist unwirtlich, auch heute noch. Eine karge Landschaft. Moore. Die Äste der knochigen, wenigen Bäume vom Wind, der vom Meer herkommt, sichtbar gebeugt, sie zeigen alle nach Osten. Emily Brontës einziger Roman, auf Englisch „Wuthering Heights“, mit „Sturmhöhe“ nicht schlecht übersetzt, meint aber noch mehr als nur stürmisch und vom Wind gepeitscht, nämlich auch wild und roh, also die Wirkung der Naturgewalten.
Dieses Buch, auf Deutsch, in meiner Ausgabe mehr als vierhundert Seiten lang, in etwas mehr als zwei Stunden auf die Bühne zu bringen, scheint nicht nur ein kühnes Unterfangen. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Verluste sind erheblich. Aber trotzdem kann es funktionieren. Die Theaterfassung, die Thomas Birkmeir hergestellt hat, beschränkt sich auf wesentliche Teile der Handlung. Das hat Folgen: wir sehen zwar eine schlüssige, nachvollziehbare, auch dramatische Familiengeschichte, die zwangsläufig den ‚Reichtum‘ des Romans ignoriert, auch seinen Intentionen zuwiderläuft, sich nämlich im Spannungsfeld von Natur und Herrschaft zu bewegen. Dabei ist das Bühnenbild (Sabine Mäder), eher nüchtern, funktional, dann aber im zweiten Teil auch eindrucksvoll. Auf die Idee, ein dreigeschossiges, sogar durchsichtiges Haus auf die Bühne zu stellen, darauf muss man erst einmal kommen. Alles Geschehen wird, auf mehreren Ebenen sogar, transparent.

III
Im Zentrum des Geschehens steht die junge Tochter des Gutsherrn von Wuthering Heights, Catherine, von Emily Klinge in ihrer Unsicherheit und Unstetigkeit überzeugend präsentiert. Sie folgt ersichtlich ihren Gefühlen. Und die Gefühle schwanken. Heathcliff, dem Findelkind, das vom alten Earnshaw adoptiert wurde, jetzt aber hier von einer Frau gespielt, und damit um einen großen Teil ihrer Wirkung gebracht wird.
Hier ist es zu allem Überfluss auch noch eine schwarze Frau, die eben nicht nur Standesunterschiede, sondern auch noch einen Rassenkonflikt repräsentieren soll: Flora Udochi Egbonu, zweifellos eine (sehr) gute Schauspielerin, wird von der Regie vor unlösbare Probleme gestellt. Denn die ‚Verdammten dieser Erde‘ haben auf der „Sturmhöhe“ wahrlich nichts zu suchen. Die lesbische Beziehung, die sie uns vorspielen soll, zeigt vor allem die grotesken Vorstellungen der Regisseurin Anna Bergmann, die den Klassenunterschied mit der Frauenemanzipation verknüpfen, zudem in den Rassenkampf überführen will und dann auch noch mit den Befreiungsbewegungen in aller Welt verbinden soll. Dabei bietet die Vorlage schon Stoff genug. Catherine und Heathcliff wuchsen auf Wuthering Heights gemeinsam auf. Später verlieben sich ineinander. Als der alte Herr stirbt, übernimmt Hindley, Cathys Bruder, das Regiment und schikaniert, wo er nur kann, seinen ungeliebten Adoptivbruder, lässt ihn nicht nur im Schweinestall arbeiten, sondern dort auch schlafen. Sebastian Schulze pendelt als Catherinas Bruder eindrucksvoll zwischen Schnösel, Schwächling und Fiesling hin und her. Wutherings Heights ist heruntergewirtschaftet. Auch Catherine wird sich darüber klar. Sie spürt, dass die Standesunterschiede zwischen Heathcliff und ihr schwer zu überbrücken sind. Sie entschließt sich deshalb, einen reichen Tropf namens Edgar Linton, den Besitzer des Thrusscross Grange zu heiraten, um ihren Bruder und den ärmlicheren Verhältnissen zu entkommen. Heathcliff, schwer getroffen, entschließt sich, die unwirtliche Gegend ganz zu verlassen. Pause.

IV
Nach einer langen Pause geht der Vorhang wieder hoch. Es hat sich viel verändert. Auch die Bühne. Im Zentrum steht jetzt ein Einfamilienhaus. Bausparkassen-finanziert. (Achtung: Das bedeutet Aktualisierung!) Drei Etagen, schön übersichtlich. Ein eindrucksvolles Bild alter bundesdeutscher Verhältnisse. Auch Heathcliff hat sich, geradezu radikal, verändert. Er ist reich geworden. Er ist hart geworden. Er ist rachsüchtig geworden. Und, schwer zu glauben, – Er ist eine FRAU geworden. Während Flora Udochi Ugbono vor der Pause etwas mühsam als Heathcliff, also als zarter Mann, sensibel und leidensfähig, durchgehen konnte, erscheint SIE nun im zweiten Teil in Stiefeletten mit hohen Absätzen, einem kurzen gelben Lackkleid und wehenden Haaren, ein Popstar. Sie darf auch singen, durchaus nicht übel. Am Ende darf sie sogar richtig, und zwar im Wortsinn, aus der Rolle fallen und auf die Weißen schimpfen, die den Schwarzen das Leben zur Hölle gemacht haben. Da gibt es durchaus Parallelen zur „Sturmhöhe“. Aber mehr auch nicht. Doch damit wird verschenkt, was in dem Roman tatsächlich steckt. Wie es der Titel bereits, und zwar deutlich genug, sagt, spielt eben auch die Natur eine Rolle. Es geht um Natur und um Herrschaft. Und um den Zusammenhang zwischen Natur und Herrschaft. In dieser Gegend ist die Herrschaft über die Natur untrennbar mit der Herrschaft des Menschen über die Natur in sich verbunden. Es geht also um weitaus mehr als die Herrschaft des Gutsherrn über seinen Adoptivbruder. Davon ist in dieser Inszenierung leider wenig zu sehen. Stattdessen sehen wir wenigstens, wie Heathcliff kompromisslos sein Racheprogramm durchzieht, dem am Ende alle, ihn selbst auch eingeschlossen, zum Opfer fallen. Wir sind im Grunde wieder am Anfang angelangt. Aber eben nicht zurückgekehrt in den Kreislauf von Herrschaft, Natur und Naturbeherrschung, sondern nur wieder angelangt bei dem zu einem Jammerlappen gewordenen Heathcliff. Der beklagt nun bitter die Folgen, die er selbst erst herbeigeführt hat. Zu spät. Und es ist tatsächlich spät geworden, auch im Theater. Doch bei allen Einwänden gegen die Inszenierung, es lohnt sich trotzdem. Der Stoff setzt sich, wie immer er auch traktiert worden ist, irgendwie dann doch durch. „Sturmhöhe“, das ist eben ein gewaltiger Stoff. Wirklich Weltliteratur. Nicht totzukriegen. Von den drei Stunden ist nur die Pause zu lang gewesen.

Sturmhöhe/ Emily Klinge, Aron Eichhorn. Foto: Lara Roßmann
Sturmhöhe
von Emily Brontë in der Theaterfassung von Thomas Birkmeir
Staatstheater Darmstadt
Kleines Haus
Regie: Anna Bergmann
Bühne: Anna Mäder
Dramaturgie: Carlotta Huys
Edgar Linton/Mr. Earnshaw
Aron Eichhorn
Joseph
Hubert Schlemmer
Catherine Earnshaw
Emily Klinge
Isabella Linton/ Frances Earnshaw
Laura Eichten (Aleksandra Kienitz)
Hindley Earnshaw
Sebastian Schulze
Nelly Dean
Gabriele Drechsel
Heathcliff
Samia Dauenhauer (Flora Egbonu)
Weitere Aufführungen:
Staatstheater Darmstadt
20.12., 31.12. 2025
09.01., 14.01., 30.01., 15.03., 10.04. 2026
Erstellungsdatum: 16.12.2025