Die Art Basel 2025 als Spiegel einer vernetzten Kunstwelt
Die Natur weiß nichts von Bildern. Bilder sind immer menschengemacht: Artefakte, Werke der bildenden Kunst. Und diese Bilder haben immer eine Beziehung zum Menschenbild, aus dem sich unser Begriff „Bildung“ herleitet. Und wie sich unser Menschenbild verändert, so wandelt sich die Kunst. Der Fotograf Alexander Paul Englert ist voller Erwartungen über die diesjährige Art Basel gewandert. Hier ist seine Bestandsaufnahme.
„Choir“ heisst das riesige Werk in Magenta von der deutschen Künstlerin Katharina Grosse. Foto: Alexander Paul Englert
Die Straßen Basels sind in bunte Lebendigkeit getaucht. Nicht nur vor neugierigen und oft wunderbar gekleideten Messegästen, die mit Taschen voller Broschüren und Kataloge zwischen Messehallen, Museen und Off-Spaces pendeln – sondern auch vor Farbe. Es ist, als wäre ein pigmentgeladener Wind über den Messeplatz gefegt und hätte ihn in ein Feld der Möglichkeiten verwandelt. Katharina Grosse, eine der wichtigsten zeitgenössischen Malerinnen Europas, hat den Platz vor der Messe mit einem schlierenartigen Graffiti aus Magenta und Weiß überzogen.
Sie hat ein Werk geschaffen, das in Farbe denkt – und den Platz in eine begehbare Malerei verwandelt.
Mittels ihrer typischen Sprühtechnik, mit der sie seit Jahren Wände, Böden, Felsen oder ganze Häuser überzieht, hat sie ein raumgreifendes Bild geschaffen, das sich nicht an architektonische Grenzen hält. Wer das Messegelände betritt, tritt ein in ein Bild.
„Ich male Räume, in denen man sich bewegt – und die Bewegung wiederum verändert die Wahrnehmung des Bildes“, sagt Grosse über ihr Werk. „Das Messegelände wird zum Träger und zugleich zum Gegenüber meiner Malerei.“
Die Arbeit wurde kuratiert von Natalia Grabowska, Kuratorin an der Serpentine Gallery in London, die den Dialog zwischen öffentlichem Raum und Kunst seit Jahren untersucht.
„Grosses Installation ist kein dekoratives Eingreifen“, erklärt Grabowska, „sondern eine Einladung, unsere Umgebung mit anderen Augen zu sehen. Farbe wird hier zum Medium der Erkenntnis – nicht nur der Wahrnehmung.“
Vom 19. bis 22. Juni 2025 vereinte die Art Basel wieder das, was die globale Kunstwelt ausmacht: Sammler:innen, Galerist:innen, Künstler:innen, Kurator:innen, Kritiker:innen – und nicht zuletzt ein interessiertes, kunsthungriges Publikum. Mehr als 290 Galerien aus 42 Ländern präsentieren Werke aus der modernen und zeitgenössischen Kunst – vom ikonischen Klassiker bis zur konzeptuellen Neuentdeckung.
Doch hinter der schieren Menge an präsentierter Kunst verbirgt sich mehr als ein Markt. Die diesjährige Ausgabe zeichnet sich durch neue kuratorische Formate, ein intensives Nachdenken über den gesellschaftlichen Kontext von Kunst und eine explizite Öffnung in den urbanen Raum hinein aus.
Die Galerien, die auf der Art Basel dabei sein dürfen, sind etabliert.
Galeristin Jacky Strenz mit einer Pangolin-Bronze (2021) von Lin May Saeed, hinter ihr die Styropor-Reliefs „The Liberation of Animals from their Cages III“ (2023, li.) und „Ghazal Relief (2022, re.) Foto: Thomas Baumgartner
So wie die Frankfurter Galerie Jacky Strenz. Auf ihrem Stand auf der „Art Basel“ zeigt sie Styropor-Reliefs und Bronze-Skulpturen der Künstlerin Lin May Saeed.
Bis zu ihrem frühen Tod im Alter von 50 Jahren im Jahr 2023 beschäftigte sich die deutsch-irakische Künstlerin Lin May Saeed mit der Vorstellung einer anderen Welt: einer Welt, in der Tiere das Sagen haben und Menschen die zweite Geige spielen. Ihre Kunst umfasst narrative Reliefs, Protestplakate und mythische Skulpturen aus einem ungewöhnlichen Arsenal an Styropor, Bronze und Pappe und verbindet ökologische Dringlichkeit mit folkloristischer Zärtlichkeit. Jacky Strenz kann schon während der „Preview“-Tagen über extrem erfolgreiche Verkäufe freuen.
Das große Relief („The Liberation of Animals from their Cages III“) von Lin May Saeed hat die Galerie an die Kunsthalle Bern verkauft, wo nächstes Jahr eine Einzelausstellung der Künstlerin stattfinden soll. Die weiß lackierte Bronze-Skulptur eines Pangoin-Schuppentiers ist noch zu haben. Die Styropor-Version davon hat allerdings das Centre Pompidou in Paris schon erworben.
Jeff Koons' Lobster. Foto: Alexander Paul Englert
Auch die Gagosian Gallery hat auf der Art Basel in diesem Jahr bereits mehrere Werke verkauft. Unter anderem wurde die Jeff Koons Lobster-Skulptur für einen siebenstelligen Betrag verkauft.
Foto: Alexander Paul Englert
Erstmals präsentiert die Messe das Segment „Premiere”, das ausschließlich Arbeiten der letzten fünf Jahre zeigt und von der neue Messechefin Maike Cruse eingerichtet und in Interviews offensiv beworben wurde. Zehn Galerien sind hier erstmals mit bereits etablierten Positionen dabei. Die Galerien dürfen bis zu drei Künstler:innen positionieren – eine Einladung zur Konzentration und zur Reflexion. In diesem Format werden nicht nur neue Namen sichtbar, sondern auch neue Themenfelder: Klimakrise, postkoloniale Perspektiven, KI, Körperpolitik, kollektive Praktiken.
Die Sektion signalisiert deutlich: Die Art Basel ist mehr als eine Verkaufsplattform – sie versteht sich zunehmend als kuratierte Bühne und intellektuelles Labor der Gegenwart.
Beim Sektor Unlimited zeigen Künstler:innen, was im Messebau möglich ist: Fantastische Installationen, raumgreifende Skulpturen und immersive Interventionen.
Wer die Ausstellung betritt, wird von der leuchtenden, 34 Meter langen Installation „We Rise by Lifting Others“ aus dem Jahre 2023 von der italienischen Künstlerin Marinella Senatore begrüßt.
„We Rise by Lifting Others“ aus dem Jahre 2023 von Marinella Senatore. Foto: Alexander Paul Englert
„We Rise by Lifting Others“ ist inspiriert von traditionellen süditalienischen Festen. Diese leuchtende Installation geht über ihre dekorativen Wurzeln hinaus und schafft dynamische Räume für Zusammenkunft, Dialog und Empowerment. Marinella Senatore, bekannt für ihre partizipatorische Kunst und ihre multidisziplinäre Praxis, verbindet sozialen Aktivismus mit zeitgenössischer Ästhetik. Durch die Einbeziehung ermutigender Zitate wie „We rise by lifting other“ von Robert Ingersoll und „I contain multitudes“ von Walt Whitman fördert die Künstlerin ein Gefühl kollektiver Energie und lädt die Betrachter zum Nachdenken, zur Solidarität und zur transformativen Kraft der Gemeinschaft ein.
Roméo Mivekannins „Atlas-Installation“ von 2025. Foto: Alexander Paul Englert
Roméo Mivekannins „Atlas-Installation“ von 2025 befasst sich mit dem kolonialen Erbe, das in ikonischen Gebäuden in Europa und den USA verankert ist. Inspiriert von architektonischen Wahrzeichen wie dem Grand Palais in Paris, dem Crystal Palace in London und dem belgischen Tervuren-Museum – einst als Menschenzoo und zur Ausstellung geplünderter Artefakte genutzt – schuf er acht verkleinerte Metallstrukturen. Diese Stücke, ihrer luxuriösen Fassaden und Innenräume beraubt, offenbaren rohe, skelettartige Formen, die an Vogelkäfige erinnern. Geschmiedet in der Elfenbeinküste, dienen sie als Metapher für koloniale Macht und Dominanz und untergraben die Erhabenheit der ursprünglichen Monumente. Der Vogelkäfig, einst in bürgerlichen Häusern des 19. Jahrhunderts zur Präsentation exotischer Arten verwendet, wird zu einem starken Symbol kolonialer Umkehrung und verwandelt die Instrumente der Mächtigen in solche der Kolonisierten.
„Tränen fallen“ von Latifa Echakhch. Foto: Alexander Paul Englert
„Tränen fallen“ von Latifa Echakhch, ist eine monumentale Installation aus Fäden mit Glasperlen am unteren Ende, die einen schimmernden Vorhang bilden, der von der Decke herabfällt. Die Nylonfäden brechen das Licht und gipfeln jeweils in einem leuchtenden Blauton am unteren Ende: Perlen, die an unterschiedlichen Stellen nach unten hin erscheinen, entsprechen dem Moment, in dem Wasser auf eine Oberfläche trifft. Diese Perlenarbeit erinnert an die Fließfähigkeit eines Wasserfalls und fängt ein Wechselspiel von Auf- und Abwärtsbewegung ein. Wasser, ein wiederkehrendes Symbol menschlicher Emotionen, wird hier zur Metapher für Dualitäten: den Aufstieg von Hoffnung und Ehrgeiz und die Last des traurigen Regens, der auch dann noch Schönheit empfinden lässt, wenn alles auseinanderfällt. Durch ihre Größe und Materialität vermittelt Latifa Echakhchs Werk eine fragile, dauerhafte Verbindung zu den Landschaften der Natur.
Danh Vo, „In God We Trust“, 2020. Foto: Alexander Paul Englert
Amerikas Rolle als unerbittliche Kraft in der globalen Psyche spielt in Danh Vos Werk eine zentrale Rolle. Für „In God We Trust“ verwendet Vo das Muster der ursprünglichen US-Flagge von 1777, um eine monumentale Skulptur zu schaffen. Brennholzscheite bilden die Streifen, die 13 Sterne sind aus Stahl. Als die erste Version des Werks 2020 im White Cube in London gezeigt wurde, wurde das Holz der Flagge demontiert, um sechs Kamine in der Galerie zu befeuern.
Infolgedessen verschwand die Flagge langsam, zurück blieben nur ihre Sterne und Holzreste. Damals, im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen 2020, reflektierte das Werk den fragilen Zustand des demokratischen Projekts des Landes. Heute ist es schwer, es nicht in einem ähnlichen Ton zu lesen. In Anlehnung an Vos langjähriges Interesse an der Herrschaft von Imperien legt es nahe, dass sich die Welt ständig in Richtung Neues entwickelt.
Der Roller und das Ochsengespann bilden den Anfang der riesigen Installation „The Voyage – A March to Utopia“ von Atelier Van Lieshout. Foto: Alexander Paul Englert
„The Voyage – A March to Utopia“ von Atelier Van Lieshout, die größte Installation in der Geschichte der Art Basel, ist eine monumentale Installation, die die endlose Suche der Menschheit nach einem besseren Ort nachzeichnet. Teils Skulptur, teils Karawane, teils Fiebertraum – diese ambitionierte Parade aus Maschinen, Monumenten und Erinnerungen fängt den Antrieb ein, um jeden Preis voranzukommen, selbst wenn das Ziel ungewiss bleibt. Über 180 Werke erstrecken sich über die gesamte Unlimited-Halle – vom Eingang bis zum Ausgang.
Für die Fotokunst gibt es die große Nebenmesse, die „Photo Basel“ im Volkshaus Basel, wo der Galerist aus Frankfurt, Peter Sillem, mit dem 1958 in Angers (Frankreich) geborenen Fotografen Denis Dailleux vertreten ist.
Galerie Peter Sillem mit Fotografien von Denis Dailleux. Foto: Alexander Paul Englert
Seine Aufnahmen aus Ghana zeigen malerische, fast romantisch wirkende Momentaufnahmen. „Ich entdeckte Ghana zum ersten Mal, als ich das wunderschöne Buch von Paul Strand über dieses Land fand. Es beeindruckte mich so sehr, dass ich mir an diesem Tag vornahm, eines Tages nach Ghana zu reisen und dort zu fotografieren.“
Der kostenlose öffentliche Bereich der Art Basel ist als kuratierte Ausstellung konzipiert, die sich in leeren und in Betrieb befindlichen Geschäften, einem Hotel, einer Unterführung, einem Bürogebäude, dem Flussufer und anderen alltäglichen Orten in Basel entfaltet.
„Vale“ 2025 von Selma Selman, im Altarraum der St. Clara-Kirche. Foto: Alexander Paul Englert
Die Installation der Künstlerin Selma Selmans besteht aus einer Gruppe vertikal angeordneter Mercedes-Motorhauben, die im Altarraum der St. Clara-Kirche aufgestellt sind. Selman, die in eine Roma-Gemeinschaft in Bosnien hineingeboren wurde, schöpft aus der Geschichte und Erfahrung ihrer Familie im Sammeln und Recyceln von Schrottmetall.
Die aufrechtstehenden Autohauben ähneln skulpturalen Gräbern und verweisen auf die mittelosteuropäische und balkanische Tradition, die Toten zu ehren, indem man sie mit Gegenständen darstellt, die sie zu Lebzeiten schätzten. Selmans Installation thematisiert sowohl Stereotype als auch Geschichten, die der Gefahr der Auslöschung ausgesetzt sind.
Die Mercedes-Motorhauben erscheinen in diesem Kontext gleichermaßen als Statussymbol wie auch als Gedenkzeichen.
Einige der Hauben sind mit Bildern einer Frau bemalt, möglicherweise Selbstporträts.
Andere tragen Inschriften mit Briefen, die an ‚Dear Omer' adressiert sind, eine fiktive männliche Figur, an welche die Künstlerin poetische Bekenntnisse richtet, die sowohl ihre Verletzlichkeit als auch ihre Widerstandskraft offenbaren.
Die Art Basel 2025 verwandelt sich in ein vielschichtiges Kunstuniversum – drinnen wie draußen – und wird zusätzlich auch noch von Ausstellungen in den großen Häusern der Stadt begleitet: Die Fondation Beyeler widmet der Zeichnerin und Malerin Vija Celmins eine umfangreiche Einzelausstellung, das Kunstmuseum Basel zeigt die Ausstellung „Die Erfindung der modernen Skulptur“ des Künstlers Medardo Rosso und das Museum Tinguely lädt zu einer sehr sehenswerte Ausstellung über die Tiefsee von Julian Charrière ein.
Während der Art Basel verwandelt sich die Stadt in ein gigantisches Ausstellungsgelände. Das ist fantastisch.
Erstellungsdatum: 26.06.2025