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Friedman in der Oper II

Fremdsein

Andrea Richter


Franz Müntefering. Foto: Arne Poehnert/Oper Frankfurt

In der Oper Frankfurt versuchte Michel Friedman in seiner Gesprächsreihe diesmal mit seinem Gast, dem SPD-Veteranen Franz Müntefering, das virulente Thema „Fremdsein“ mit all seinen Implikationen für das Menschsein und die Demokratie zu beleuchten. Das ging ziemlich schief, denn Müntefering war weder bereit, wichtige Versäumnisse der Politik in der Vergangenheit zu erkennen noch irgendeine brauchbare Idee für die Zukunft beizusteuern. Das Bereicherndste des Abends waren Friedmans Fragen, meint Andrea Richter.

 

Friedmans Ausgangsfrage an Franz Müntefering zum Thema: „Wann haben Sie sich zum letzten Mal fremd oder ausgegrenzt gefühlt?“ Die einigermaßen verblüffende Antwort: „Noch nie.“ Friedman bohrte dezent weiter. Nein, nicht einmal in seiner Partei, der SPD, wo es unterschiedliche Meinungen gegeben habe, aber Ausgrenzung, nein nie! Ob er sich denn vorstellen könne, dass jemand sich in diesem Land fremd oder ausgegrenzt fühle, versuchte Friedman es weiter. Schon, das habe man schließlich durch die NS-Diktatur und den Krieg gelernt. Genau deshalb sei 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der UN-Generalversammlung verabschiedet worden. Das bedeute: alle Menschen seien gleichwertig. Und genau das habe das Grundgesetz 1949 aufgenommen. Die Politik, die Gesellschaft und jeder Einzelne müsse seitdem für die Umsetzung dieses Grundsatzes sorgen. Er sei stolz darauf, dass das in der BRD weitgehend gelungen sei. Das sah Friedman angesichts von starkem Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und einer wachsenden antidemokratischen Partei (er benannte die AfD nicht einmal mit ihrem Namen!) keineswegs so und hakte nach: „Sind Sie gescheitert?“ Diese Frage verärgerte den 85-jährigen Müntefering für den Rest des Abends. Er verwies unablässig auf Gelungenes, auf die Mehrheit der Menschen im Land, die Demokraten und tolerant seien. Er könne nicht akzeptieren, dass Friedman den Beweis führen wolle, alles sei schiefgelaufen. Friedman mühte sich – für seine Verhältnisse ungewöhnlich geduldig – mit der Nennung von Daten und Fakten zur Verschlechterung der demokratischen und toleranten Lage der Nation ab, wies darauf hin, dass Vorboten dieser Entwicklung jahrzehntelang von der Politik weder in Deutschland noch in Europa gesehen worden wären. Müntefering räumte zwar ein, manches habe „nicht so ganz hingehauen“, beharrte aber darauf, dass unsere Demokratie die Gleichwertigkeit aller Menschen in den Mittelpunkt stelle und die allermeisten Menschen Demokraten und hilfsbereit seien. Es sei allerdings ein Manko, dass heutzutage immer weniger Menschen in Parteien aktiv tätig seien, also dort, wo Politik gemacht werde. Er rufe jeden dazu auf: „Geht in die Parteien und gesellschaftlichen Institutionen wie Vereine.“ Das Engagement jedes Einzelnen für die Demokratie sei unbedingt erforderlich. Man dürfe nicht bei Enttäuschungen hängenbleiben, nicht so tun, als sei nichts Positives passiert. Man müsse weiter an der Demokratie, insbesondere an der Basis vor Ort arbeiten, lautete sein Appell, und denjenigen viel mehr danken, die es täten. Richtig, so Friedman, doch das ersetze nicht die kritische Betrachtung und Debatte. Ob er mit Rassisten rede? Bis jetzt nicht, antwortete Müntefering, denn in seinem Umfeld gebe es die nicht. Die Parteien wüssten aber, wie mit solchen Leuten zu reden sei. Ein Seufzer Friedmans und sein letzter Versuch: „Ist die Demokratie gefährdet?“ Immerhin: „Ja, es steht nur die Frage an, ob wir denen die Macht geben.“ Genau! Aber wer ist „Wir“ und wie geht das? Diese und die allermeisten Antworten auf Friedmans Fragen blieb Müntefering nicht nur schuldig, sondern offenbarte ein Verharren auf dem Glauben an die Macht der Parteien sowie völlig überholten, redlichen Appellen und Floskeln der früheren SPD an Mitmenschlichkeit und Solidarität. Alles so weit weg von der gesellschaftlichen und politischen Realität wie der Mars von der Erde. Ein lebender Beweis dafür, warum in der Politik so lange Warnsignale übersehen wurden.

 

 

Nächster Termin:
21.Oktober 2025
Gespräch mit Sebastian Krumbiegel über „Lüge“ anlässlich der Premiere der Oper „Boris Gudonow“ von Modest Mussorgski am 2. November 2025.
Krumbiegel avancierte in den 90er Jahren mit der Band „Die Prinzen“ zu einem der ersten gesamtdeutschen Popstars.
 
 

 

Erstellungsdatum: 20.09.2025