Ist denn der Schwur wahr, wenn Gott nicht hilft? Wer der Schwörenden hat über den Zusatz der Eidesformel nachgedacht? – Bei der neuen Bundesregierung steht Religion hoch im Kurs: 13 der 17 Ministerinnen und Minister sprachen ihren Amtseid mit Bezug auf ein religiöses Bekenntnis – auch der neue Bundeskanzler. Erstmals wird eine Regionalbischöfin zur Staatssekretärin ernannt. Droht statt staatlich geforderter weltanschaulicher Neutralität ein klerikal-konservatives Rollback? Helmut Ortner erinnert an unsere Verfassung.
Unsere Republik darf auf zukünftig auf göttlichen Beistand hoffen. Bei der Verteidigung des neuen Kabinetts im Berliner Reichstag sprachen 13 der 17 Bundesministerinnen und -minister den Amtseid mit der Formel „So wahr mir Gott helfe”. Rechnet man Bundeskanzler Friedrich Merz hinzu, so haben mehr als 75 % aller Kabinettsmitglieder um Gottes Hilfe bei ihrer Amtsführung gebeten. Nur vier entschieden sich für die Eidesformel ohne Gottesbezug: Verteidigungsminister Boris Pistorius, Arbeitsministerin Bärbel Bas, Umweltminister Carsten Schneider und Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan, alle aus den Reihen der SPD.
Schon Merz` Amtsvorgänger Olaf Scholz hatte 2021 auf das religiöse Beiwerk verzichtet, wie auch schon dessen Parteikollege Gerhard Schröder vor ihm. Während Schröder der evangelischen Kirche angehörte, war Scholz der erste konfessionsfreie Bundeskanzler. Immerhin 7 von 16 Ministern in Scholz' Ampel-Kabinett sprachen damals den weltanschaulichen Amtseid.
Bei der neuen Bundesregierung steht Religion indes hoch im Kurs. In einer Zeit, in der nicht einmal die Hälfte der Deutschen der katholischen oder evangelischen Kirche angehören, kann man sie weltanschaulich – nicht wie verfassungsrechtlich geboten – unbedingt als neutral bezeichnen.
Schon mit der Ernennung von Wolfram Weimer zum Kulturstaatsminister, ein Mann, der als umtriebiger Publizist und Medienunternehmer – parteilos und katholisch – Religion als Segen für die Gesellschaft feiert und Religion als Heilmittel gegen die „Krise der Moderne“ sieht, wurde eine erste, heftig kritisierte Personalie gesetzt. Auch die Entscheidung, die Regionalbischöfin Petra Bahr zur beamteten Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu berufen, deutet auf eine weitere religiöse Aufladung zentraler Politikfelder hin, mit der Kanzler Merz eine konservative Wende in Deutschland einleiten möchte. Mit Bahr, die seit 2017 in Hannover als Gottes-Verkünderin tätig ist, erhält eine bedeutende Kirchenvertreterin Einfluss auf die Schul- und Bildungspolitik. In ihrer 2018 erschienenen Schrift „Wie viel Religion verträgt unsere Gesellschaft?“ warnt sie vor laizistischer Bildungspolitik und moniert, dass der „militante Atheismus“ die Gefahr des Laizismus verkenne. Der kirchenkritische Publizist Ralf Nestmeyer befürchtet problematische Eingriffe in die Schulpolitik, weil Bahr als Vertreterin der evangelischen Kirche den konfessionellen Religionsunterricht stärken und Versuche blockieren könnte, ihn durch integrative Ethikmodelle zu ersetzen. „Das wäre ein klarer Rückschritt für all jene, die sich für ein pluralistisches und inklusives Bildungsverständnis einsetzen“, so Nestmeyer. Bahrs Berufung ist ein Novum. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, bekleidet ein hoher geistlicher Würdenträger ein wichtiges politisches Amt.
Keine Frage: Gott mischt kräftig mit in der deutschen Politik. Das Verfassungsgebot der Trennung von Kirche und Staat wird auch von der neuen schwarz-roten Bundesregierung ignoriert. Die Personalien Weimer und Bahr stehen exemplarisch für ein religiös-konservatives Polit-Rollback, das weltanschauliche Neutralität vermissen lässt– und nichts Gutes erwarten lässt.
Nein, es geht nicht um die „Austreibung Gottes“ aus der Welt, auch nicht aus der Politik. Für Abgeordnete, Mandats- und Regierungsmitglieder gilt, was für alle Bürgerinnen und Bürger gilt: individuelle Glaubens- und Religionsfreiheit. Freilich, wer ein Regierungsamt, gar ein Ministeramt bekleidet, ist gewissermaßen als „personifiziertes Verfassungsorgan“ nicht allein seinen religiösen Grundsätzen verpflichtet, sondern vorranging unserer Verfassung, also den wesentlichen staatlichen System- und Werte-Entscheidungen, die dort festgelegt sind – auch das Verfassungsgebot der Trennung von Staat und Kirche.
Wir leben in einem säkularen Verfassungs-Staat. Alle Bürger dürfen ihren Gott, auch ihre Götter haben, der Staat aber ist in einer modernen Grundrechtsdemokratie gottlos. Und der Gottes-Schwur bei der Kabinetts-Verteidigung? Als Sinnstiftungsangebot für den Privatgebrauch kann der Glaube den Gläubigen im Sinne des Wortes glück-selig machen, das dürfen auch Minister und Ministerinnen für sich in Anspruch nehmen – ganz privat.
Helmut Ortner
Das klerikale Kartell
Warum die Trennung von Staat und Kirche überfällig ist
272 S., geb.
ISBN: 9783939816959
Nomen Verlag, Frankfurt am Main 2024
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Erstellungsdatum: 17.05.2025