Der früh geübte Blick hinter alle Kulissen hat Eva Demski gelehrt, was Illusion ist und was Realität. Das hat ihr sicher das Eintauchen ins Frankfurter Geistesmilieu erleichtert, dessen aktiver Teil sie spätestens mit Beginn ihrer schriftstellerischen Laufbahn wurde. Ihre besondere Verbundenheit mit der Stadt wurde nun mit dem Stoltze-Preis gewürdigt, den sie im Kaisersaal des Frankfurter Römer entgegennahm. Wolfgang Schopf hielt die Laudatio und Eva Demski ihre Dankesrede.
Verehrte Preisträgerin, liebe Eva,
werte Stifter und Ausrichter des Friedrich Stoltze-Preises, Honoratioren und Gäste,
es bereitet eine Freude eigener Art, in diesem Frankfurterischsten aller Frankfurter Räume, mit diesen Gratulanten im Parkett und dem Namensgeber des Preises im Nacken über Eva Demski zu sprechen, obwohl währen der letzten Jahrzehnte so viel über sie geschrieben wurde, durch teils kluge Beobachter oder von ihr selbst, die in eigener Sache gern das letzte Wort hat.
Denn mit allen Aussagen über Frankfurt markiert Eva Demski ihr Verhältnis zur Stadt. In Worten anderer, etwa denen von Renate von Metzler, zur Begrüßung auf dem Fest zur Buchmesse, bekommt dieses Verhältnis eine Formel: „Die Stimme Frankfurts“ worauf die „Stimme“ wortlos mit den Augen rollt (weil sie auf diese Berufung nicht reduziert werden mag) und sich doch in einem Schmunzeln fängt (weil es halt so ist). Doch so einfach ist es nicht. Einige unter Ihnen werden sich an Eva Demskis hiesige Stichworte zu Frankfurt erinnern, die sie in ihrer Laudatio auf den Stoltze-Preisträger von 2018, Hans Traxler, setzte, wobei sie sich auch Stotzes berüchtigten Frankfurt-in-de-Kopp-Vers annahm. Sie hielt dessen Eingeborenen-Romantik den Begriff „Entscheidungsfrankfurter“ entgegen, den ich nachher etwas ausbauen möchte.
Aber da es hier auch um ein Lebenswerk geht, streifen wir vorher wenigstens Angelpunkte aus „Leben und Werk“, wozu im Foyer noch 50 autobiographische Fragmente darauf warten, von Ihnen betrachtet zu werden:
1970. Schon nach dem ersten Jahr als Kulturredakteurin am Hessischen Rundfunk drehst Du den erfolgreichsten Film Deiner Laufbahn: Die „hr-Pausenkatzen“. Sie werden unzählige Male gesendet, Youtube-Aufrufe stiegen in sechsstellige Höhen. Doch nicht in seiner Resonanz zeigt der Film ein Muster Deiner Arbeit, sondern in seiner Entstehung, der Realisierung von Ideen durch Handwerk, das Welten erbaut:
Du bist als Kind mit diesem täglichen Schöpfungsakt aufgewachsen, in der bühnenbildnerischen Werkstatt Deines Vaters Rudolf Küfner, der erst am Theater, dann als Ausstattungschef des hr fürs Fernsehen mit physischen Mitteln die großen Bilder entwarf. Du erinnerst Dich:
„ … sein Arbeitsplatz, an den er mich oft mitnahm, bezauberte mich sofort. Gerade weil ich von Anfang an hinter die Illusionen schauen durfte, dorthin, wo sie aus Sperrholz, Stoff, Farbe und Leim entstanden, war Theater für mich echte Wirklichkeit.“
Sie können die Materialien und Werkzeuge riechen und ertasten, wobei sich Eva Demski in ihrem schriftstellerischen Schaffen treu bleiben sollte. Kein abstrakter Zweck heiligt die sprachlichen Mittel, sie führen in ihren klaren Anlagen und deren Handhabe durch die Autorin auf das Werkstück zu. Was mir ein Grund für die Klangfarbe Deiner Texte zu sein scheint.
1977. Während die Kollegen alles dafür unternahmen, unter die Fittiche der Öffentlich-Rechtlichen zu schlupfen, bist Du diesem Nest entflohen. In Deinem „Anarchistischen Album“, 2022 erschienen, zitierst Du Erich Mühsam:
„Ich habs mein Lebtag nicht gelernt, mich fremdem Zwang zu fügen“.
Du wähltest den Weg in die Freiheit. Den legtest Du „im Omnibus nach Frankfurt“ zurück. Omnibus nannte man dereinst Trilogien, und Deine Trilogie, drei Romane innerhalb von fünf Jahren, bleibt auch als zusammenhängendes Großdebut zu lesen:
Goldkind, 1979, Karneval, 1981, Scheintod, 1984. Die Kritik witterte einen Coup, eine Geschichte der Bundesrepublik gespiegelt im autobiographischen Kaleidoskop: Nachkriegskindheit in Regensburg, Aufbruch während der Studienjahre in Mainz, Blüte in Frankfurt, den Bogen von Restauration bis Postrevolution. Da ist schon etwas dran.
Aber: 1974 / 1984:
1974, mit dem Tod von Reiner Demski, nimmt Eva Demski, noch ohne es zu wissen, ihre Nebenrolle als dienstälteste Witwe des literarischen Lebens an. Zehn Jahre darauf, mit Scheintod, emanzipiert sie sich mit dem heiklen Unterfangen, die zwölf Tage zwischen Tod und Grablegung ihres Mannes in einen Roman, eher in ein Oratorium zu formen, von aller Vorgeschichte. Selbstverständlich bleibt auch hier die Autorin auf Distanz zu ihren Figuren, setzt sich aber als erzählerischer Souverän über das eigene, zeitgenössische Leben und dessen gesellschaftlicher Rahmung ein. Das Wagnis gelang, was Deine Arbeiten bis heute ausmacht.
1984 / 2024
Über die 50 Jahre nach Reiner Demskis Tod und die 45 Jahre des Debuts hinweg, schreibt Eva Demski weiter. Dutzende Bücher, hunderte Essays, Reportagen oder Kolumnen, als „Freie Autorin“. Der emphatische Begriff trifft auf sie zu, während er oft nur bedeutet, von im Literaturbetrieb vergebenen Almosen ein prekäres Dasein zu fristen. Die Alimentierung erwachsener Kollegen durch Stipendien oder Akademieprogramme war Eva Demski immer ein Greul. Dem heutigen Preis blickst Du wohlwollend entgehen, weshalb dessen vorhin etwas gescholtener Namensgeber zu seinem Zitat kommen soll. Es wird der Preisträgerin gerecht:
„Von Freiheit muß ich immer singen,
So lang mein Herz noch fühlt und strebt,
Nach Freiheit muß ich immer ringen.
Nach Freiheit, bis man mich begräbt“
Zurück zu deren Frankfurter Ausprägung.
„Entscheidungsfrankfurter“, mit der Figur hast Du eine Richtung vorgegeben, doch sie klingt mir etwas nach Kronberg zum Beispiel, wo man sich niederläßt, um dann sitzen zu bleiben. Wozu überhaupt nicht Eva Demskis Verwurzelung auf dem Sprung paßt: Als ich vor 20 Jahren Deine Schränke öffnen durfte, fanden sich darin die Artefakte Deines Lebens in Köfferchen verwahrt. Auch weil Du jederzeit hättest gehen können, bist Du dem Dornbusch und der Stadt treu geblieben.
Frankfurt ermöglicht und erzwingt Reibung, Leben in Auseinandersetzung. Nicht Fügung, sondern Gestaltung.
Weshalb ich den „Handlungsfrankfurter“ als begriffliche Weiterentwicklung vorschlagen möchte. Sein Werk wird nie abgeschlossen sein, sein Wirken bleibt so intrinsisch wie triebhaft, eingehegt durch eine intellektuelle Gelassenheit, die aus Kommunikation und Selbstkritik resultiert. Ihn prägt eine geistige Lebensform, die aus dem Realen erwächst und nach aller Reflexion wieder dorthinein mündet.
Das betrifft Deine Rolle als „Öffentliche Sprecherin“ genauso wie die der Autorin, deren Bühne erstmal der häusliche Schreibtisch bleibt. Auf dem schmilzt die Welt im Brennglas zu Sätzen. In Deinen bleiben die Zutaten erhalten. Das Große obsiegt nie über das Kleine, aus dem es komponiert wurde, worin ich einen zweiten Grund für die besagte Klangfarbe Deiner Texte vermute.
Diese Weitung und Schärfung Deines Blicks gelingt Dir im Umgang mit Dingen, Sachen, Gegenständen, wozu ich nichts sage, weil Du das im druckfrischen Buch, der „Plunderkammer“, viel besser machst.
Sie gelingt Dir im Umgang mit Menschen. Den beschreibst Du so:
„Ich hatte mir mit den Jahren eine eigene Walhalla zusammengedacht, das machen wahrscheinlich viele Autoren. Manche beten ihre Götter und Göttinnen an, manche stürzen sie vom Sockel … manche tun beides gleichzeitig.
Meine Walhalla ist klein und schief und zur Götterdämmerung ungeeignet, ein säkulares Geisterhäuschen, von dem ich befürchte, daß es immer schneller neue Bewohner bekommen wird. Es hebt Menschen auf, von denen ich nicht will, daß sie verlorengehen.“
Sie gelingt Dir mit dem Ort. Angesichts der Szene in der Werkstatt Deines Vaters denke ich an Teddie Adornos Antwort auf die Frage, warum er nach Frankfurt zurückgekehrt sei. Sie erklärt vielleicht auch, warum Du nicht weggegangen bist:
„am Ende aus dem Gefühl, daß, was man im Leben realisiert, wenig anderes ist als der Versuch, die Kindheit verwandelnd einzuholen.“
Nun schleicht sich ein Begriff ein, der Dir im „Anarchistischen Album“ als „vielfältig konterminiert“ erschien. Trotzdem konnten wir uns auf eine seiner Auslegungen verständigen, Kunststück, bei einem frühsommerlichen Gespräch in der Gerbermühle: Heimat.
Ernst Bloch schließt damit auf Seite 1628 sein uns eher suspektes „Prinzip Hoffnung“ ab. Den letzten Zeilen daraus, zum „Menschen“, stimmten wir zu; sie umreißen in etwa, was ich mit „Handlungsfrankfurter“ meine.
„Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“.
Nicht Geworfenheit, nicht sich zum Gegebenen verhalten, sei es durch Seßhaftigkeit oder Ausbruch, ermöglicht die Realisierung dieser Illusion. Sondern durch eigenes Handeln seine Umgebung in ein gesellschaftliches Milieu zu verwandeln, in dem die Bestätigung aus dem Widerspruch erwächst. Liebe Eva, Du hast diese dekonterminierte Heimat „Frankfurt“ gebildet, Dich an ihr und jene an Dir gerieben. Du hast mit ihr gelitten und Deine Worte in ihre Wunden gelegt. Wenn nötig, hast Du sie verteidigt, oftmals gegen sich selber.
Kurzum: Du hast sie erstritten, erliebt, erschrieben. Du hörst damit nicht auf.
Deshalb bleibt sie keine philosophische Figur, sondern ein virulentes Gewebe, ein Rhizom aus Dichterviertel und dem Sender, aus Universität und Club Voltaire, Oper und Jukebox, den Spuren des Verlags, der Zeitung, Banken, Bahnhofsviertel, Altstadt und Mainufer, Machtzentrum und Anarchie, Kritischer Theorie und kritischer Öffentlichkeit: Frankfurt, samt seiner Menschen.
Frankfurt ist anders, heißt Dein vorvorvorletzes Buch. In Deinem nächsten wirst Du der sich selbst gegenüber oftmals kurzsichtigen Stadt wieder die Augen öffnen.
„Frankfurt“ wäre ohne Eva Demski weniger „anders“, weniger „eigen“.
Die ewige „Frankfurter Latern“ dämmerte ohne Dich als Funzel, es fehlten ihr Leidenschaft und Empathie, und die zutiefst humane Gabe, das vermeintlich Große erst im Detail verwirklicht zu sehen.
Weshalb sich heute, liebe Eva, Frankfurt am Main − und damit urbi et orbi −, gerade noch rechtzeitig zum Ende des Jubeljahrs um Deinen 80. Geburtstag, vor Dir verneigt.
Herzlichen Glückwunsch, mit „Dank und Versprechen“.
Liebe Alle –
Danke, dass ihr hier seid. Danke für eure Freundschaft, eure Neugier, eure Zuversicht. Es ist schön, in eure Gesichter zu schauen und es ist schön, diesen besonderen Preis zu bekommen. (Ich hätte mich in die erste Reihe gesetzt und laut gemeckert, wenn jemand anderer ihn gekriegt hätte …)
Was haben wir gemeinsam, der Kollege Stoltze und ich?
Er schreibt:
Dort auf dem Arm, als kleines Bübchen
Nahm mich die Göttin Freiheit schon,
Trug singend mich herum im Stübchen
Und ich behielt des Liedes Ton.
Ich erlaube mir, ihn zu variieren und zu sagen, mich hielt sie wohl als kleines Mädchen / schon ziemlich fest an ihrem Fädchen.
Die Göttin Freiheit, zur Zeit von allen Seiten bedroht und missverstanden – man, wir alle, müssen sie schützen vor Unfreundlichkeit, Gier und Hochmut.
Wir sind hier im Kaisersaal im Herzen einer angenehmen, zivilisierten, aber überhaupt nicht elitären Insel gelandet. Das macht Mut, sich den allabendlichen schlimmen Nachrichten aus der ganzen Welt zu stellen.
Die Insel heisst Frankfurt. Ich wage zu behaupten, man könne in schwierigen und deprimierenden Zeiten wie diesen nirgendwo besser aufgehoben sein als in unserer Stadt. Der Preisnamensgeber war zu seiner Zeit ähnlicher Meinung, da bin ich mir sicher. Und die war auch kein ruhiger Fluss, seine Zeit.
Frankfurt hat mit den Jahren eine besondere Wehrhaftigkeit gegen Pathos jeder Art entwickelt, auch gegen nationalistisches, gegen Arroganz und Angeberei. Kommt hier im allgemeinen nicht gut an.
Habe ich schon gesagt, dass ich Frankfurt liebe? Ganz unpathetisch – auch wenn ich manchmal das eine oder andere auszusetzen habe. Zum Beispiel die übertriebene Verwendung roter Farbe …
Wie Sie heute sehen, trägt man mir das nicht nach.
Früher, als ich mich noch auf fast allen Kontinenten herumgetrieben habe, bin ich immer wieder mit Freude in meine, unsere Stadt zurückgekommen. Und jetzt, da ich das schon lang nicht mehr tue, entdecke ich fast jeden Tag, dass es in Ginnheim und Eschersheim genau so viel zu sehen gibt wie in der grossen Welt. Also will und muss ich gar nicht mehr weg.
Allein die Strasse, an der ich seit mehr als einem halben Jahrhundert lebe, ist ein Kosmos für sich, kroatische Bäcker, ein stillgelegtes iranisches Konsulat mit unerkennbarem Goethe davor, der mit seinem ebenso misslungenen Kollegen Hafis missmutig auf Schahbilder schaut und auf verrottete Blumenrabatten. Im Sicherheitsbereich, der sich zum Biotop entwickelt hat, leben Vögel, Waschbären und viel anderes geheimnisvolles Getier, und gegenüber ist die echte Verlässlichkeit, der Kosmos Aldi Süd, in dem sich Kippa und Kopftuch schon mal freundlich grüssen. Das tun sie auch auf dem Spielplatz und an der weithin gerühmten Currywurstbude. Essen wollen sie deren Verkaufsschlager wohl nicht, aber sie respektieren den Verkäufer.
Die Salafisten beten hinter unscheinbaren Mauern weiter oben, die Gypsyfamily sitzt bei fast jedem Wetter am Büdchen gegenüber und raucht, und der CIA hält freundlich seine Augen offen und seine Hand über diese Welt, diesen winzigen Frieden, dieses besondere, weltweit nachahmenswerte Frankfurter Modell.
Habe ich schon gesagt, dass ich Frankfurt liebe?
In welcher Stadt würde einen ein Amt anrufen und sagen, Frau Demski, besser, sie fahren mal ein paar Tage weg, wir müssen die Linde an Ihrer Ecke jetzt doch fällen.
Haben die gemacht. Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass ich ihnen mit meinem Lindenlebensrettungsgeflehe jahrelang auf die Nerven gegangen bin.
Die Neue von damals ist mittlerweile schön gross und bewacht die Ecke. Schatten geben kann sie auch schon.
Ich werde der Stadt weiter zuhören und aufschreiben, was sie mir erzählt. Versprochen.
Wenn wir nachher ein Glas miteinander trinken, wollen wir mit Zuneigung und Dankbarkeit an zwei grosse Frankfurter denken, die uns jüngst verlassen haben – Manfred Niekisch und Fritz v. Metzler.
Ich danke Ihnen allen.
Foto: Petra Kammann
Friedrich Stoltze-Preis 2024
an Eva Demski
Erstellungsdatum: 29.11.2024