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Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ in Frankfurt (2)

Wenn im Zuge einer politischen Machtübernahme Gesetze gebrochen werden, stellen sich die Protagonisten dieses Vorgangs als Kriminelle vor. Aber schon die Ankündigung von Verbrechen, wie sie jede Diktatur kennzeichnet, treibt den Autokraten Anhänger zu. Die Faszination, die sich, wie der Faschismus, von den fasces, den Rutenbündeln herleitet, die im antiken Rom um ein Beil gelegt waren, kann von Tyrannen gut genutzt werden, wie Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ vorführt. Die Frankfurter Inszenierung des epischen Dramas haben gleich zwei unserer Autoren besucht. Claus Leggewie ist davon angetan: „Das ist Theater“.
Ob man im Blick auf das autoritäre Gebaren und die herrische Innen- und Außenpolitik des US-Präsidenten Donald Trump das „F-Wort“ benutzen, also einen Vergleich anstellen soll zwischen Trumps MAGA-Bewegung und dem Faschismus, ist unter Fachleuten und in der öffentlichen Debatte umstritten. Skeptiker warnen vor dem, was ein ordentliches Vergleichsverfahren ja verhindern soll: vor der Gleichsetzung von Donald T. und Adolf H. Ein fundierter Vergleich wird neben erstaunlichen Gemeinsamkeiten auch gewichtige Unterschiede feststellen.
Bertolt Brechts Stück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ widmete sich der Frage, wie man einen, so schien es retrospektiv, unaufhaltsamen Aufstieg eines Diktators literarisch-dramatisch zu fassen bekommt, im Einklang mit einer F-Theorie, deren Triggerpunkt der krisenhafte Kapitalismus ist. Die Idee zu, „Arturo“ kam ihm nach der „Machtergreifung“ der NSDAP, die recht eigentlich eine Machtübergabe durch Teile der konservativen Eliten war, getragen vom aufgescheuchten Mittelstand des deutschen Volkes. Das Stück schrieb Brecht dann im finnischen Exil im Frühjahr 1941, als Wehrmacht und SS schon von einem blitzartigen Sieg zum anderen marschiert waren und den Westen und die Mitte Europas unter ihre Kontrolle gebracht hatten, womit auch geflohenen Juden und Oppositionellen größte Gefahr drohte. In dem damals noch unter sowjetischer Nahkontrolle stehenden Finnland war einige Monate zuvor ein verlustreicher „Winterkrieg“ mit Stalins Armeen zu Ende gegangen, der bis zur „Aktion Barbarossa“ Juni 1941 mit Hitler verbündet war. Dem „Fortsetzungskrieg“ gegen Finnland entkam Brecht im Juli 1941 bekanntlich nicht im Moskauer Exil, er steuerte per transsibirischer Eisenbahn und per Schiff von Wladiwostok das US-amerikanische Exil in Kalifornien an.
So kamen die noch nicht in den Krieg eingetretenen Vereinigten Staaten ins Spiel. Brecht wollte über Erwin Piscator eine rasche Aufführung seines Stücks am Broadway erreichen, was dort aber nicht auf Gegenliebe stieß, zur Verwunderung des Verfassers, der den Aufstieg des kaum zu verkennenden Hitler bewusst in das Chicagoer Gangstermilieu Al Capones verlegt hatte. Dies war ja Brechts Vergleichsfolie: Hitler als ausgerasteten Kriminellen darzustellen und ihm mit dieser Verfremdung die Aura des großen Staatsmannes und größten Feldherrn aller Zeiten zu nehmen – „Verhüllung dient zur Enthüllung“. Besonders dicht war die Hülle nicht, denn mit Arturo Ui war ganz offensichtlich Hitler gemeint, mit „Giri“, „Roma“ und „Givola“ seine Kumpane Göring, Röhm und Goebbels, mit dem „alten Dogsborough“ der deutsche Reichspräsident und Steigbügelhalter Paul von Hindenburg, mit „Dullfeet“ Hitlers österreichisches Mordopfer, mit „Fish“ der Brandstifter im Reichstag, Marinus van der Lubbe.

Damit ist die Besetzungsliste des Stücks noch nicht vollständig, das Christian Weise nun am Frankfurter Schauspiel inszenierte. Denn auch die Chefs des „Karfioltrusts“ (eine Anspielung auf illegale Transaktionen Hindenburgs) und weiteres Gangsterpersonal spielen eine Rolle, womit Brecht den Versuch machte, „der kapitalistischen Welt den Aufstieg Hitlers dadurch zu erklären, dass er in ein ihr vertrautes Milieu versetzt wurde“. Dafür schien die Ausstaffierung in amerikanischer Szenerie wie geschaffen, doch die Erstaufführung fand erst nach Brechts Tod in beiden Teilen Deutschlands statt: 1958 in Stuttgart unter der Regie von Peter Palitzsch, 1959 am (Ost)Berliner Ensemble, wo es lange zum Repertoire gehörte, mit Ekkehard Schall in einer seiner Paraderollen, und 1995 durch Heiner Müller erneut inszeniert wurde.
In den USA gab es Aufführungen während der ersten Amtszeit von Donald Trump. Es ist ein Unterschied, ob man das Stück im Rückblick auf einen niedergerungenen Faschismus anschaut oder in der Pause aufs Handy guckt, um nachzusehen, ob Björn Höcke gerade Thüringen erobert oder welchen Gesetzesbruch Trump gerade annonciert. Nachdem das Stück eine Zeitlang als mal harmlose, mal überzogene und vielfach überdidaktische Antifa kritisiert worden ist, stellt man heute, da an vielen Stadttheatern das Transparent „Nie wieder ist jetzt!“ prangt, die Aktualität als Lehrstück gegen Rechtsaußen heraus. „Der Schoß ist fruchtbar noch“ lautet das letzte, geflügelte Wort des Stückes. So sieht es auch Regisseur Weise: „Heute erleben wir … eine Zeit, in der der Schoß schon wieder geboren hat. Das Kind ist schon ziemlich groß geworden. Man könnte sagen, es fährt schon Moped in manchen Regionen der Republik. Mich hat es interessiert, mit dieser unserer Realität umzugehen. Deshalb hat Sören Voima einen Epilog geschrieben, der eine moderne Lesart des Arturo Ui auf die Bühne bringt.“
Und damit zur Frankfurter Aufführung 30 Jahre später. Sie ist einfach fulminant, zweieinhalb Stunden vergehen kurzweilig, das Ensemble, angefangen mit dem Arturo Ui-Darsteller Christoph Bornmüller, agiert sensationell. Das Bühnenbild von Julia Oschatz ist atemberaubend, es bringt in schrägen 3D-Bauten eine Welt zum Vorschein, in der schon alles ins Rutschen geraten ist. Dazu passen die schrillen Kostüme von Josa Marx, die Live-Musikbegleitung von Jens Dohle an Trommeln und Tasten und vor allem die Live-Videos. Sie werden auf eine Holzwand projiziert und zeigen, was auf der schwarz-weiß überzeichneten Hinterbühne passiert, in die gelegentlich Einblick gewährt wird und deren Wände – ein schöner Verfremdungseffekt – mit einem Ruck hochgezogen werden: Sehr her Leute, das ist Theater. Brecht ließ die Gangster in Shakespeare‘schen Jamben sprechen, denn „die Verssprache macht das Heldentum der Figuren messbar“. Weise setzt sein Talent als Puppenspieler auf großer Bühne um.

Beim Einlass zur proppevollen Premiere – auch weitere Vorstellungen sind schon ausverkauft – wird der Titel des Stücks auf der Holzwand korrigiert: Der aufhaltsame Aufstieg wird von unsichtbarer Hand laut hörbar durchgestrichen. Warum wird im erwähnten Epilog deutlich, auf den noch zurückzukommen ist. Das Stück zeigt den Untergang einer bürgerlichen Demokratie im Aufstieg eines starken Mannes, dem in seiner ganzen Lächerlichkeit kaum die Errichtung einer Terror-Ordnung zuzutrauen ist, der sich aber mit Lügen und Verstellung, Brandstiftung und Mord den Blumenkohl-Handel nicht nur Chicago (=Deutsches Reich) unterwirft, sondern auch in Cicero (=Österreich) einverleibt. Brechts erklärte Absicht, den „Gröfaz“ lächerlich zu machen, wurde nach dem Weltenbrand und der Shoah als Verharmlosung des Hitler-Faschismus kritisiert. Im Frankfurter Schauspielhaus wurde nach der Pause nur noch selten lauthals gelacht, die Zuschauer merkten mit wachsender Beklommenheit, dass hier auch der offenbar unaufhaltsame Aufstieg eines Donald gespielt wird und, man kann ja gar nichts mehr ausschließen, einer Alice und anderer freundlicher Gesichter des Nationalsozialismus. Die Darsteller ziehen alle Register von Parodie, Travestie und Farce. Dabei kommen einem die Bilder von den „No Kings!“-Massendemonstrationen in amerikanischen Städten in den Sinn, wo sich viele Trump-Gegner in aufblasbare Fantasiekostüme kleideten, worauf das Weiße Haus mit einer KI-generierten Selbstkrönung zum Monarchen reagierte und der Farce noch eines draufsetzte. Spielt ihr nur Aufstand, ich mache ernst!
Wurde das aufhaltsam also durchgestrichen, weil es historisch widerlegt und nun auch aktuell nicht gelingt? Am Ende des Stückes hieß es doch: „Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert/ Und handelt, statt zu reden noch und noch. /So was hätt einmal fast die Welt regiert“, als könnte man aus der Geschichte lernen. Die Zweifel bestärkte vor heruntergelassener, unbespielter Holzwand der erwähnte, ganz unbrecht‘sche Epilog von „Soeren Voima“, wohinter sich der Regisseur Robert Schuster und der Schauspieler Christian Schirner verbergen. Diese wollten wohl, ziemlich mäandernd und fahrig vom Hauptdarsteller vorgetragen, anmahnen, dass das Publikum nur stiert und labert, also die Gefahr sieht und ihr Widerstand leistet. Denn, nun ganz mit Brecht: Wenn es nur nach Sicherheit, Wohlstand und seine kleingeistige Freiheit aus ist, bekommt es die im Kapitalismus mit der Unterwerfung unter Autokraten, die genau das versprechen. Die Zuschauer schienen zunächst etwas betreten, als sie sogar zur Wahl des nächsten Arturo Ui aufgefordert wurden; einer leistete auch rhetorisch Widerstand, doch dann kassierte das Ensemble bei vielen Vorhängen großen Jubel. Wie man über die Arturos von heute lacht, wissen wir; wie man ihren Aufstieg aufhält, leider (noch) nicht. Die Inszenierungen von Brechts Stück standen immer auf der Kippe zwischen einem Übermaß an Groteske und einem Zuviel Agitprop. Die Frankfurter Aufführung hat beides an verschiedenen Stellen durch Illusionszerstörung vermieden, aber auch sie kann mit Theatermitteln keinen Faschismus aufhalten, der sich schon mit (ganz miserablem!) Theater in die Seelen und Köpfe der Massen und Eliten eingenistet hat.
Siehe auch:
Martin Lüdke über Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ in Frankfurt
Schauspiel Frankfurt
Neue Mainzer Straße 17
60311 Frankfurt am Main
Premiere 18. Oktober 2025
ca. 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
Termine
Mi. 22.10.2025
19.30
Einführung 19.00
Fr. 24.10.2025
19.30
So. 26.10.2025
18.00
Sa. 01.11.2025
19.30–22.30
anschl. Publikumsgespräch
Fr. 14.11.2025
19.30
So. 23.11.2025
16.00
Mo. 24.11.2025
19.30
Einführung 19.00
Fr. 28.11.2025
19.30
anschl. Publikumsgespräch
Do. 04.12.2025
19.30
Einführung 19.00
VORVERKAUF AB 10. NOVEMBER
Do. 11.12.2025
19.30
anschl. Publikumsgespräch
So. 28.12.2025
18.00
Erstellungsdatum: 21.10.2025