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Über „Tsahal“ von Claude Lanzmann

Israels Traum vom reinen Soldaten

Marli Feldvoß


Jerusalem. Das Goldene Tor (Tor der Barmherzigkeit, Tor des ewigen Lebens). Foto: Nikodem Nijaki. wikimedia commons

1948 wurde Israel, der mythenreiche Nationalstaat des jüdischen Volkes, gegründet und zugleich die israelischen Streitkräfte. Als Claude Lanzmann zwischen 1991 und 1994 für den letzten Teil seiner Trilogie (nach „Warum Israel“ und „Shoah“) in Israel Gespräche mit Angehörigen des Militärs, aber auch mit Sprechern der Friedensbewegung, Siedlern aus dem Westjordanland und Palästinensern führte, änderte sich das Bild, das er von der Politik Israels und seiner Armee hatte. Marli Feldvoß beschreibt seinen Film „Tsahal“.

 

Und doch sagt der Chef des Generalstabs persönlich am Ende des Films: „Wir müssen aufpassen, dass wir kein zweites Sparta werden, nur mit dem Schwert leben. Wenn wir auf dem Schlachtfeld wie die Spartaner kämpfen und zugleich das antike Herz der Athener besitzen, ist es vielleicht der richtige Weg." 
Claude Lanzmann

 

Der Fünfstundenfilm „Tsahal“ (Kürzel für Tsava Haganah Leisrael, Armee zur Verteidigung Israels), bildet den Abschluss der großen Trilogie über die Juden, die mit „Shoah“ sowie „Warum Israel“ achtzehn Filmstunden umfasst – Lanzmanns Lebenswerk. Sein Gang über den Soldatenfriedhof ganz zu Anfang gehört zu den nachhaltigsten Szenen des Films. 18, 19 Jahre alt war die Mehrzahl der Gefallenen im Yom-Kippur-Krieg – eine ganze Generation hat der syrisch-ägyptische Überraschungsangriff im Oktober 1973 hinweggefegt, der Israels omnipotentes Selbstbild mit einem Schlag zum Einsturz brachte. Dass die unbesiegbare Nation, die 1967 im Sechs-Tage-Krieg Neuland von den Golan-Höhen bis zur Sinai-Halbinsel erobert hatte, verwundbar war, musste erst verkraftet werden. Im Grunde stellt sich Lanzmann, beileibe kein Militarist oder Hardliner, mit seinem Film ganz in den Dienst des israelischen Traumas, um erst zum Schluss die Kritiker zu Wort kommen zu lassen und noch einen Blick auf die andere Seite, die unterprivilegierten Palästinenser, zu werfen. Die weltweite Schelte, die er für seine ziemlich einseitige Sicht bezog und die dazu abgegebenen Erklärungen, die bis heute kein Ende genommen haben, sind deshalb genauso wichtig wie das Filmwerk selbst. Das Booklet gibt dazu nur einen kleinen Überblick.

Die Wiederaneignung der Gewalt ist der Knackpunkt von „Tsahal“ und die Wiederaufrüstung des jüdischen Egos, das sich in der Diaspora über Jahrhunderte im Dienen und Kompromisse schließen geübt hat, sein eigentliches Thema. Der Bezug zum Holocaust als „Massaker an Gewaltlosen“ ist immer mitgedacht.

Nur aus dieser Perspektive lässt sich der Film mit Tendenz zur Glorifizierung hochrangiger Militärs bis zur Liebeserklärung an den Panzer „Merkava“ halbwegs begreifen. Das neuerliche, als Extra beigefügte Interview Lanzmanns mit Verteidigungsminister Ehud Barak vom März 2008 ist deutlich als Korrektiv zu werten. Darin relativiert dieser die (im Film immer wieder geäußerte) Aussicht auf Frieden, er verweist stattdessen auf das Prinzip „Hoffnung“, was schließlich Namensgeber der israelischen Nationalhymne sei. Das letzte zynische Wort hat also der Realpolitiker, der vielleicht schon den nächsten Präventivschlag im Gaza im Januar 2009 auf der Agenda hatte.

„Tsahal“ träumt über große Strecken den Traum vom „reinen“ Soldaten und vom „unschuldigen“ Krieg, der in Wirklichkeit für niemand zu haben ist. Das weiß auch der Philosoph Claude Lanzmann, der seinen Film nicht als Dokumentation, sondern als „dramatische Konstruktion“ gesehen haben will.

 

 

(Erstveröffentlichung: Berliner Zeitung, 13. August 2009)

„Tsahal“ von Claude Lanzmann
Frankreich/Deutschland 1994, 290 Min.,
mit „Extra“ Gespräch mit Ehud Barak, März 2008, 40 Min.
(OF Englisch). 2 DVDs und Booklet,
ISBN: 978-3-89848-963-8
absolut Medien 2009

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Erstellungsdatum: 30.11.2024