Dante Alighieri war der Autor der „Göttlichen Komödie“ sowie Schöpfer einer italienischen Literatursprache. Schon zu Lebzeiten wurde der gebürtige Florentiner hoch geehrt. Aufgrund politischer Umstände aus seiner Heimatstadt vertrieben, schrieb er seine großen Werke als Flüchtling in der Verbannung. Der Historiker und Publizist Winfried Dolderer hat die Stationen seines Lebens und seines Schaffens nachvollzogen.
An denkwürdigen Vorkommnissen war im frühen 14. Jahrhundert, wie der Florentiner Kaufmann und Politiker Giovanni Villani es sah, kein Mangel. Als junger Mann war Villani im Heiligen Jahr 1300 nach Rom gepilgert und hatte sich dort entschlossen, eine „Nuova cronica“ (Neue Chronik) zu verfassen, vornehmlich, wenn auch keineswegs ausschließlich, über das Geschehen in seiner engeren Heimat. Doch er notierte neben zahllosen Scharmützeln der zerstrittenen italienischen Stadtstaaten auch den Italienzug Kaiser Heinrichs VII., die kriegerischen Umtriebe Roberts von Anjou, des Königs von Neapel, eine Hungersnot in Deutschland, einen Familienzwist im byzantinischen Kaiserhaus. Unter den prominent Verstorbenen, die Villani erwähnte, waren Philipp der Schöne von Frankreich und Papst Clemens V.. Und eben Dante Alighieri, dessen Ableben er in etwa derselben Länge kommentierte wie das des französischen Königs, aber fast doppelt so ausführlich wie das des Heiligen Vaters. Obwohl kein Geistlicher, sondern Laie, sei er ein bedeutender, in fast allen Wissenschaften belesener Literat gewesen, rühmte Villani ihm nach.
Für das moderne Italien ist der Dichter der „La divina commedia“ (Göttliche Komödie), Schöpfer der italienischen Literatursprache und Vordenker einer auch politischen Einheit des Landes Symbolfigur und Markenzeichen. Die auswärtigen Kulturinstitute Italiens tragen seinen Namen. Sein lorbeergeschmücktes Konterfei ziert jede italienische Zwei-Euro-Münze. In den Zirkeln des Risorgimento, der italienischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, genoss er geradezu kultische Verehrung. Von dem „stolzen und tugendhaften Republikaner, der mit der Feder Blitze gegen die Tyrannen seines Vaterlandes schleuderte“, war bereits 1798 die Rede. „O Italiener, studiert Dante!“, rief 1826 der exilierte Geheimbündler und Revolutionär Giuseppe Mazzini seinen Landsleuten zu.
Der umfangreiche Chronikeintrag Villanis illustriert freilich, wie klar die Bedeutung des Mannes schon den Zeitgenossen vor Augen stand: „Er war ein herausragender Dichter und Philosoph (…), ein vollkommener Rhetoriker (…), erlesener Rezitator mit dem reinsten und schönsten Stil, der bis zu seiner Zeit und darüber hinaus in unserer Sprache jemals geschrieben wurde. In seiner Jugend schuf er das Liebesbuch ‚Vita nova‘, später im Exil schuf er zwanzig ganz ausgezeichnete Lieder über Themen der Liebe und der Moral (…), und er schuf die ‚Komödie‘, wo er in geschliffenen Reimen und umfassenden, feinsinnigen Erörterungen über Moral, Natur, Astrologie, Philosophie und Theologie mit schönen und neuen Figuren, Vergleichen und poetischen Erfindungen in hundert Kapiteln oder Gesängen Dasein und Zustand in Hölle, Fegefeuer und Paradies abhandelte, und zwar in unsagbar erhabener Weise.“ Unschönes erwähnte Villani freilich auch. Ein gewisser Bildungsdünkel habe „diesen Dante“ gelegentlich anmaßend, abweisend und herablassend wirken lassen, wie einen übellaunigen Philosophen, dem es schwergefallen sei, sich mit gewöhnlichen Leuten zu unterhalten.
Geboren wurde Dante im Mai oder Juni 1265 in einer Familie des Florentiner Kleinadels. Wir wissen wenig über seine frühen Jahre. Seine Werke lassen erkennen, dass er eine umfassende Bildung genossen haben und mit nahezu dem gesamten Wissen seiner Zeit vertraut geworden sein muss: mit Geschichte und Mythologie der Antike, Philosophie und Theologie. Als junger Mann gehörte Dante einem Kreis gleichaltriger Schöngeister aus der besseren Gesellschaft der Arno-Stadt an, die sich die Zeit mit Liebesdichtung vertrieben. Aus diesen poetischen Fingerübungen erwuchs in den Jahren 1292 bis 1295 der Lieder-Zyklus „Vita Nova“, in dessen Mittelpunkt eine früh verstorbene, idealisierte Geliebte namens Beatrice stand. Der poetischen Erzählung zufolge traf Dante sie zum ersten Mal, als beide neun Jahre alt waren, und weitere neun Jahre später erneut. Die Figur der Beatrice begleitete ihn durch sein ganzes Leben und Werk. Sie begegnete dem Erzähler zuletzt in der „Göttlichen Komödie“, wo er von ihr im Paradies begrüßt worden sein will. Über ihre allegorische Ausdeutung haben sich Generationen von Interpreten den Kopf zerbrochen.
Im realen Leben ehelichte der etwa zwanzigjährige Dante die ebenfalls einer vornehmen Familie entstammende Gemma Donati, mit der er drei Söhne und eine Tochter hatte. Er zog für seine Vaterstadt auch ins Feld, nahm bei Campaldino an der siegreichen Schlacht gegen Arezzo am 11. Juni 1289 teil und ein Jahr später an der Erstürmung der pisanischen Festung Caprona. Mit Blick auf eine politische Karriere, die einem Angehörigen des Adels in der Stadtrepublik Florenz sonst verwehrt geblieben wäre, trat er 1295 der Zunft der Apotheker und Ärzte bei. Seit November desselben Jahres gehörte Dante nacheinander mehreren Gremien der kommunalen Selbstverwaltung an und erreichte den Gipfel seiner Laufbahn als einer der sechs „Prioren“, die in Florenz die Stadtregierung führten. Er blieb allerdings nur kurz in diesem Amt, vom 15. Juni bis zum 15. August 1300, und blickte später im Zorn zurück: „Alles Unglück, alle Widerwärtigkeiten meines Lebens hatten ihre Ursache (…) in den unglückseligen Begebenheiten meines Priorats.“
Hier äußerte sich ein Mann, der mit dem eigenen Schicksal haderte, aber auch mit den politischen Verhältnissen der zu seiner Zeit zerklüfteten und fragmentierten Apennin-Halbinsel. Dante, der in seinen sprachtheoretischen Überlegungen wie kaum ein Zeitgenosse eine ganz Italien umfassende Kulturheimat im Blick hatte, empfand sich gleichwohl in seinen letzten zwei Jahrzehnten als heimatlos, entwurzelt, nirgendwo zugehörig. „Da es den Bürgern von Florenz (…) gefiel, mich von dem süßen Busen wegzustoßen, an dem ich geboren und genährt wurde“, klagte er, „habe ich wie ein Fremder und Bettler alle Gegenden durchwandert, so weit diese Sprache reicht. (…) Ich war ein Schiff ohne Segel und ohne Ruder, vom kalten Wind, der die schmerzensreiche Armut durchdringt, zu vielen Häfen und Buchten und Stränden getrieben.“
Dante war den Ambitionen Bonifaz VIII. in die Quere gekommen, eines machtbewussten Herrn auf dem Stuhl Petri, der ein letztes Mal in der Geschichte Europas den Anspruch vertrat, zur Oberhoheit über alle weltlichen Herrscher berufen zu sein. In seinem Bestreben, die Toskana dem Kirchenstaat einzuverleiben, machte sich Bonifaz den Umstand zunutze, dass die Florentiner Stadtgesellschaft in zwei einander bitter befehdende Parteien zerfallen war. Die „Schwarzen“ agierten als unbedingte Verfechter päpstlicher Interessen. Die „Weißen“, denen Dante selbst sich zurechnete, hielten auf Distanz zum Heiligen Vater. Vorgeblich als Vermittler, tatsächlich als seinen Beauftragten schickte der Papst im Herbst 1301 Karl von Valois, einen jüngeren Bruder des französischen Königs, nach Florenz. Mit dessen Hilfe ergriffen die „Schwarzen“ die Macht und machten Anfang 1302 führenden Parteigängern der „Weißen“ den Prozess. Dante, der sich zum Zeitpunkt des Umsturzes mit einer florentinischen Delegation in Rom aufgehalten hatte, wurde zum Tod durch Verbrennen verurteilt. Ohne jemals nach Florenz zurückzukehren, wanderte er in der Folge von einem Fürstenhof Norditaliens zum anderen, verbrachte einige Jahre bei den Scaligern in Verona und fand zuletzt Zuflucht bei Guido da Polenta, dem Stadtherrn von Ravenna. Das alles ohne Frau und Kinder, die in Florenz geblieben waren.
Auf seinen literarischen Schaffensdrang hatte der Schicksalsschlag die Wirkung eines Treibsatzes. Er empfand das, wie er stets betonte, „unverdiente“ Exil als Demütigung und tiefe Kränkung, woraus der Ehrgeiz erwuchs, durch ein herausragendes Werk in den Augen der Welt eine Art Ausgleich herzustellen. Erste Versuche blieben unvollendet, so ein Zyklus mit dem Titel „Convivio“ (Gastmahl), in dem sich Lyrik mit Prosatraktaten über Themen der Philosophie abwechselte, beide Textgattungen in italienischer Volkssprache. Dass er entgegen dem gelehrten Usus der Zeit nicht wenigstens die Abhandlungen auf Latein verfasst hatte, bedurfte, wie Dante wohl wusste, der Rechtfertigung. Er nannte zwei Gründe, die Liebe zur Muttersprache, die jedem Menschen zuerst den Weg zur Weltkenntnis gewiesen habe und „der höchsten Gegenstände würdig“ sei, sowie den Wunsch, auch von Lesern ohne akademische Schulung verstanden zu werden.
Dante kam auf das Thema zurück in einer späteren Schrift über „volkssprachliche Beredsamkeit“, in der er die Frage aufwarf, wie ein idealtypisch normiertes Italienisch beschaffen zu sein habe. Nach seiner Ansicht kam keiner der Dialekte der Appeninhalbinsel allein als Grundlage dafür in Frage, auch das Toskanische nicht. Das bedeute aber, dass eine allgemein gültige Schriftsprache von vergleichbarem Rang, wie ihn das Französische damals bereits besaß, bis auf weiteres ein unablässig anzustrebendes, indes fernes Ideal war. Dante sah einen Zusammenhang mit der Vielfalt der italienischen Staatenwelt: Hier sei auch die Sprache heimatlos, weil das politische Zentrum fehle.
Seine philosophische und theologische Belesenheit, zumal seine Nähe zur Bildungswelt der Antike, brachte Dante schließlich in seinem Hauptwerk „La divina commedia“ zur Entfaltung, dem in gereimten Terzinen verfassten Bericht einer Reise in die drei Reiche des Jenseits, an dem er von 1307 bis an sein Lebensende arbeitete. Nicht von ungefähr war es Vergil, der Nationaldichter des augusteischen Rom, der den Erzähler durch die neun Kreise der Hölle auf den „Berg der Läuterung“ an die Pforte des Paradieses geleitete, das der Heide Vergil selbst nicht betreten durfte.
Mit dem Werk wuchs der Ruhm des Autors. Bereits um 1315 wurden Teile der „Göttlichen Komödie“ an der Universität Bologna gelesen. Spätestens Anfang 1321 war der dritte Teil, die Schilderung des Paradieses vollendet. Im Sommer reiste Dante zu Verhandlungen für seinen Gastgeber Guido da Polenta nach Venedig. „Im besagten Jahr 1321 (…) starb Dante Alighieri aus Florenz in der Stadt Ravenna (…) und wurde mit allen Ehren im Gewand eines Dichters und großen Philosophen in Ravenna vor dem Portal der Hauptkirche beigesetzt.“, notierte Villani über den Exilanten, der seine Heimatstadt 21 Jahre zuvor hatte verlassen müssen.
Erstellungsdatum: 19.10.2024