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Schaufenster junge Kunst

Justin Urbach


Justin Urbach, © 2025 Justin Urbach & Galerie Stadt Sindelfingen, Fotograf: Wolfgang Günzel

BLINDHÆD lässt uns weiter blicken, als unsere Augen es vermögen. Sehen ist eine Sinnespraxis, die uns durch die Welt führt, sie für uns erschließt und erfahrbar macht. Sie ist Mittel der Wissenskonstruktion und beeinflusst unser Verständnis der Realität grundlegend. Doch wie sehen wir,  wie treten Bilder in unser Bewusstsein ein und wie werden sie verändert? 

Und was bedeutet es, wenn Sehen kein natürlicher Prozess mehr ist? In zwei sich kontrastierenden Räumen spürt Justin Urbach diesen Fragen nach. Während er im ersten Ausstellungsraum das visuelle Wahrnehmen als körperliche Erfahrung und dessen technologische Optimierung in den Blick nimmt, steht im zweiten Raum das maschinelle Sehen im Fokus – ein datenbasierter Prozess, der sich von der menschlichen Wahrnehmung entkoppelt und eine neue Form der Bildproduktion etabliert.

Angelockt durch ein waberndes Licht und eine Soundkulisse aus algorithmischen Klängen, die aus den technischen Parametern der Videoarbeiten ausgelesen und in synthetische Töne verwandelt werden, zieht es uns Betrachtende in den ersten Ausstellungsraum. Wir treffen auf eine anfänglich unscharfe Videoprojektion, die nach einiger Zeit ein rotierendes Auge sichtbar werden lässt, das einer Laseroperation unterzogen wird. Seit Jahrhunderten werden Hilfsmittel entwickelt, um das Sehen zu verbessern. Fernrohre, Brillen und Mikroskope erweitern den menschlichen Blick. Gegenwärtig wird jedoch mit Hilfe moderner Technologien, wie eben mit einer Laseroperation, direkt in das Auge eingegriffen, um dessen Sehkraft zu optimieren oder widerherzustellen. Einen spekulativen Ausblick in die Zukunft gewährt währenddessen ein weiteres Video im Kabinett. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Möglichkeit, dass ins Auge implantierte Mikrochips, die mit dem Gehirn und einer speziellen Kamerabrille verbunden sind, blinden Menschen das Sehen wieder ermöglichen könnten. Urbach verweist mit dieser Arbeit auf Verfahren der Augenchirurgie, die nicht mehr nur medizinische Korrekturen am Körper vornehmen, sondern die Wahrnehmung mit Hilfe digitaler Technologien gezielt erweitern.


Justin Urbach, © 2025 Justin Urbach & Galerie Stadt Sindelfingen, Fotograf: Wolfgang Günzel

Auf den Bildschirmen wurde der Vorgang des Augenlaserns nachempfunden, indem ihre Oberflächen durch filigrane Lasergravuren bearbeitet wurden. Die Screens sind nicht mehr nur Wiedergabegeräte, sondern auch eigenständige Informationsträger, die technische Zeichnungen und Datensätze abbilden, welche die wissenschaftlichen Grundlagen der verschiedenen Sehweisen sichtbar machen. Sie fungieren als visuelle Filter, die die strukturellen Bedingungen des Sehens offenlegen und den maschinellen Prozess entschlüsseln. Ein Verweis auf wissenschaftliche Forschungen, die stets in Justin Urbachs Werke einfließen und sie überhaupt erst ermöglichen.

Zudem begegnen wir einer von der Decke hängenden Plastik, die den Akt des Sehens in eine skulpturale Formensprache überführt. Ein blauer Laserstrahl wird durch eine Kathodenstrahlröhre gelenkt und trifft auf eine Membran aus mehreren übereinander gelagerten transparenten Acrylschichten, die die Netzhaut des menschlichen Auges nachbildet. Während unser Auge kontinuierlich Licht aus der Umgebung aufnimmt und das Gehirn daraus ein Bild konstruiert, veranschaulicht die Kathodenstrahlröhre, wie gezielte Lichtemissionen und Strahlensteuerung zur Erzeugung der ersten bewegten Bilder führten, ein Prinzip moderner Bildgebungsverfahren. Feine Gravuren auf der Membran offenbaren Forschungsergebnisse zum Infrarotsehen, bei dem Nanopartikel im Auge das sichtbare Farbspektrum erweitern, was bislang jedoch nur an Tierversuchen mit Mäusen erprobt wurde. Wandreliefs aus gestanztem Stahl sind hingegen Vorgriffe auf die pixelhaften Silhouetten des maschinellen Sehens, die uns in einer weiteren Videoinstallation im zweiten Ausstellungsraum erwarten.

Durch die Lichtdecke hängt dort eine Videowand, auf deren Bildschirmen abstrakte, technoid verzerrte Konturen flackern. Aus einem Meer einzelner Pixel tauchen flüchtige Körper auf. Mal deutet sich ein Auge an, mal ein Maschinenteil. Justin Urbach greift für diese Arbeit auf sogenannte neuromorphe eventbasierte Kamerasysteme zurück, die Licht und Bewegung nicht mehr in Einzelbildern erfassen, sondern als kontinuierlichen Datenstrom verarbeiten. Das maschinelle Sehen operiert auf einer mikrotemporalen Skala, die eine neue Wahrnehmung von Raum und Zeit ermöglicht, und sich der unmittelbaren menschlichen Erfahrung entzieht. Derartige Technologien imitieren nicht nur die Physiologie des Auges, sondern erweitern sie auch, sodass die Ontologie des Bildes aus dem Feld der rein menschlichen Wahrnehmung heraustritt. Die Bilder übernehmen eine operative Funktion, indem sie innerhalb automatisierter und technischer Prozesse agieren. Sie sind nicht mehr für den Menschen geschaffen, sondern ausschließlich für andere Maschinen.

Galerie Stadt Sindelfingen

Marktplatz 1

71063 Sindelfingen

Ausstellungsdauer:

08.03. - 25.05.2025

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Erstellungsdatum: 09.03.2025