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Feministische KI

Kann feministische KI Geschlechtergleichstellung und Inklusivität fördern?

Dana Kube


Seated Woman of Çatalhöyük, Foto: Arthistoryproject

Algorithmen sind ebenso sexistisch, rassistisch und diskriminierend wie wir und könnten dies sogar noch verschärfen. Zu diesem Schluss kommt die Frankfurter GRÜNEN-Stadtverordnete Dana Kube. In ihrem Vortrag zeigt sie die Defizite der KI in Sachen Geschlechtergerechtigkeit auf und mahnt die Verwendung besserer Datensätze an. Die digitalpolitische Sprecherin sieht hierzulande viel Potenzial, um KI demokratischer und inklusiver zu machen.

Wie gleichberechtigt leben wir heute? Was denken Sie? 

Eine aktuelle Befragung von YouGov (2023) belegt, dass Frauen in Deutschland nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status haben wie Männer. Unter den befragten Frauen sind sogar drei Viertel dieser Meinung. 

Bevor wir über Geschlechtergerechtigkeit und Künstliche Intelligenz (KI) nachdenken: Was denken Sie, wird künstliche Intelligenz einen Beitrag dazu leisten können, in den nächsten 5-10 Jahren die Gesellschaft geschlechter-gerechter zu machen? Oder wird sie die Situation verschlimmern? 

Das sind die Fragen, mit denen ich mich auseinandersetze, wenn ich an lernenden Systemen forsche. Solche Systeme gibt es schon lange in der Informatikforschung. Auf ihre Fähigkeit, sozialen Fortschritt, Fairness und Inklusion zu unterstützen, werden sie allerdings erst überprüft, seitdem die Systeme so effizient und groß geworden sind, dass sie unser aller Alltag beeinflussen und allen verfügbar sind. 

Der Mensch kann ja bekanntlich aus der Geschichte lernen, auch wenn er es nicht immer tut. Wenn wir in der Geschichte zurückgehen zur ersten technischen Evolution vor 8000 Jahren, können wir dank der Forschung von Anthropolog*innen eine gute Vorstellung davon bekommen, wie technischer Fortschritt zu einer geschlechtergerechteren Gesellschaft beigetragen hat.

Hier in Europa, wo sich heute Anatolien in der Türkei befindet, existierte eine Stadt namens Çatal Höyük. Dort haben Archäologen einige der ersten Werkzeuge gefunden, die zu jener Zeit erfunden wurden, um Getreide zu ernten und die Gemeinschaft mit Nahrung zu versorgen. Sie hatten auch Werkzeuge, um Kunst und kulturelle Artefakte zu produzieren, wie diese Statue einer Göttin. 

Die Tonfigur (Seated Woman of Çatalhöyük, Abb. oben) war das Zentrum des kulturellen Glaubenssystems und der Gesellschaft. Es war eine matriarchalische Gesellschaft; dies bedeutete jedoch nicht, dass Frauen Männer oder andere Geschlechter unterdrückten. Vielmehr lebten sie friedlich zusammen in einer Gemeinschaft. Die Gesellschaft basierte nicht auf der Dominanz eines Geschlechts über die anderen (es gab damals mehr als zwei Geschlechter, genauso wie heute) – es war eine Gesellschaft, die durch Partnerschaft geprägt war. Wenn die erste technische Evolution von Frauen geprägt war und dem Gemeinwohl diente, warum sollten es die nächsten der menschlichen Evolutionen dann nicht auch sein?!

Werfen wir also einen Blick auf unsere heutige Gesellschaft in einer weiteren Zeit großer technischer Evolution. Wir haben auch ein analytisches Werkzeug, das uns zeigt, ob KI oder andere Werkzeuge Gleichberechtigung fördern können – und das ist Feminismus!

Feminismus, im Kern, ist der Glaube an gleiche Rechte für alle Geschlechter. Egal, ob Sie ein Mann, eine Frau, cis, nicht-binär, inte-r oder transgender sind, alle profitieren vom Feminismus. Jeder ist glücklicher, wenn die Menschen, die Sie lieben und um Sie herum leben, in Freiheit leben. Feminismus erkennt an, dass Gleichheit und Freiheit nicht nur persönliches Streben sind, sondern Nutzen für die Freiheit aller in der Gesellschaft. Feminismus ist auch das politische Engagement, den sozialen Wandel herbeizuführen, den wir in der Welt sehen wollen. Hierfür ist intersektionaler Feminismus auch eine große Inspirationsquelle. Was ist das?

Intersektionaler Feminismus beschreibt die Ideen und Theorien, die uns heute befähigen, soziale oder technische Systeme kritisch zu analysieren. Diese stammen von Menschen, die sich am Rande unserer Gesellschaften wiederfanden und somit im Stande waren, historisch Privilegien und Macht zu reflektieren und dies als Antrieb für sozialen Wandel und Gerechtigkeit nutzten. Ein Großteil der Innovationen, die wir in Kunst, Musik, Mode und Technologie sehen, kommt daher – entgegen konservativer Narrative –  z. B. nicht von alten weißen Männern, sondern von schwarzen, lesbischen Frauen, nicht-binären Menschen und Frauen mit Behinderungen, deren Perspektiven die innovative Kraft haben, Qualitätskriterien für demokratische Werte und Freiheit zu schaffen, die für die Entwicklung von Werkzeugen notwendig sind, die uns als Gesellschaft freier und gleichberechtigter machen sollen. Im Grunde sind wir alle Feministen: Denn wir alle genießen die Farben, die Freude und Freiheit, die diese Ideen in unser Leben gebracht haben – sehen Sie sich nur mal ihren Kleiderschrank und ihre Musiksammlung durch oder schlagen Sie nach, wer das Internet erfunden hat.
Schauen wir uns die KI heute an – es sind Technologien, die bereits viele Aspekte unseres Alltags beeinflussen, vom online Einkaufen bis zum Schreiben von Bewerbungen. 

Nehmen wir das Beispiel der generativen KI Midjourney, die auf der Grundlage Ihrer „prompts“, d. h. Eingaben, Bilder erzeugt. Hier können wir leicht den aktuellen Grad der Geschlechtergleichheit in der KI verstehen. Studien haben gezeigt, dass, wenn Sie die KI bitten, eine professionelle Person abzubilden, in weniger als 20% der Fälle eine Frau dargestellt wird. Meist sind es weiße alte Männer mit einem Bart, die ernst und erhaben in die imaginäre Linse blicken. Wenn es das Bild einer Frau gibt, sieht man meist eine junge weiße Frau, die lächelt. Nun, ich weiß nicht, ob Sie jemals eine Professorin, Chefin oder andere Führungskraft gesehen haben, die als einzige Frau an einem Tisch von Männern sitzt? Sie ist als professioneller Mensch in Verantwortung durchschnittlich älter und ihre Karriere hat sie ihr „resting-bitch-face“ perfektionieren lassen. Das ist das Gesicht, welches den Micro-Widerstand in ihren Mundwinkeln abbildet, den sie gegenüber der täglichen Benachteiligung durch patriarchale Strukturen im Job jahrelang eingeübt hat, um dort zu sitzen, wo sie heute sitzt, als einzige Frau in der Chefetage. Diese Realität ist nicht abgebildet und lässt sich sicherlich auch nicht einfach weglächeln.

Das gleiche Problem gibt es bei anderen KIs wie der Text-generierenden ChatGPT. KI kann heute also nicht einmal die heutige Realität richtig beschreiben und alle Geschlechter angemessen repräsentieren, denn sie ist genauso voreingenommen, und wir wissen, woher das kommt: Geschlechtervorurteile in der realen Welt sind so tiefgreifend, dass die UN (2023) berichtet, dass 9 von 10 Frauen und Männern grundlegende Vorurteile gegen Frauen haben, was ihre Körper, Fähigkeiten, Pflegearbeit und Führungsrollen in Politik oder Wirtschaft betrifft. Die Algorithmen sind also genauso sexistisch, rassistisch und diskriminierend wie wir – und sie könnten dies potenziell noch verschärfen.

Das ist jedoch nicht die Zukunft, die wir anstreben und die ich in diesem Essay skizzieren möchte. Also, lassen Sie uns unsere feministischen Ärmel hochkrempeln und sehen, wo wir in der Problem-Pipeline ansetzen müssen, um eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft in der technisch-gestützten Welt zu werden: Macht, Daten, Vertrauen.

Uns als Gesellschaft fehlt die Macht - wir wissen, dass der Großteil der verfügbaren KI von nur sehr wenigen Unternehmen entwickelt werden und deren profitablen Interessen dient, auf Kosten fast aller anderen. Solange Staaten und die EU KI nicht ausreichend regulieren, damit Massen-KI aus dem Ausland unsere Datenschutzrichtlinien und ethischen Standards einhalten, solange sie nicht vollumfänglich in eigene Infrastrukturen investieren, um KI zu testen und zu optimieren und zugrundeliegende Daten zu verstehen und zu managen, wird es sehr schwierig sein, diskriminierende Vorurteile zu mindern. Indem man an das Gewissen der Unternehmer*innen appelliert, ohne finanzielle Anreize oder Alternativen zu bieten, wird dies auch nicht möglich werden.

Uns fehlen die Daten - wir verstehen langsam, dass wir zu wenig Balance in unseren Datensets haben, nicht genug Informationen, um tatsächlich das Wissen zu besitzen, das KI lehren würde, geschlechterinklusive und nicht-diskriminierende Entscheidungen zu treffen. Es fehlen all diese Datensätze, um KI inklusiv zu gestalten.

Uns fehlt das Vertrauen - schließlich wissen wir, dass wir als Gesellschaft und damit auch als Öffentlichkeit noch nicht genau institutionalisiert haben, wie wir KI vertrauen oder Verantwortung für deren Nutzung übernehmen können.

Ist das überhaupt zu schaffen, fragen Sie sich vielleicht? Nun, wenn Sie denken, Sie können als einzelner Mensch nichts gegen diese übermächtigen Strukturen und Technologien bewirken, stellen Sie sich vor, Sie sind die Mücke im Zelt in einer Sommernacht. Erwecken Sie den schlafenden Giganten des kollektiven Humanismus, dem Schutz demokratischer Werte und Freiheit. Da wir alle Feministen sind, werden wir Lösungen finden:

Zukunft wählen – wir müssen sicherstellen, dass das Geld und die Macht unserer Regierungen dazu verwendet werden, die Infrastruktur und Unternehmen aufzubauen und zu regulieren, die sicherstellen, dass die KI der Zukunft demokratischer und inklusiver wird. Nutzt eure Stimme bei den Wahlen, in ihrem Unternehmen, in ihrem Bekanntenkreis, um für feministische und egalitäre digitale Gesetzgebung einzutreten und den Fortschritt zu wählen, den Sie sehen wollen.

Arbeiten für mehr Inklusion – Expert*innen sagen immer, wir brauchen vielfältigere Teams in den Unternehmen, und das stimmt, aber wir brauchen zunächst die richtige Unternehmenskultur und Werte dafür, um diese Menschen auch anzuziehen und zu halten. Wir brauchen mehr wertorientierte Unternehmen, die KI entwickeln und einsetzen, die vielfältige und feministische Perspektiven verkörpert. Ich sehe hier in Deutschland viel Potenzial, spezielle Verfechter für die Standardisierung und Demokratisierung von KI zu werden. Dieses Land schätzt Datensicherheit und -schutz sehr, und das ist eine gute Sache, wenn man dadurch die vertrauenswürdige Nutzung der Daten ermöglicht. Wir sind Experten darin, gute Qualitätskriterien für Prozesse und Produkte in vielen verschiedenen Branchen zu entwickeln. Wir sind der TÜV Europas. Warum also nicht auch in der KI? Wenn Sie ein Risiko eingehen könnten, warum trauen Sie sich nicht den KI-Markt anzuführen, in der Sie tatsächlich ein*e attraktive*r Arbeitgeber*in für eine Vielfalt an Menschen werden und ihre Produktqualität gewinnbringend steigern fürs Unternehmen und die Gesellschaft?

Vertrauen – Sie können auch einfach ganz niedrigschwellig ein*e Verbündete*r sein und zivilgesellschaftliche Organisationen wie Algorithm Watch Watch die Algorithmic Justice League unterstützen. Spenden Sie ihre Daten, ihr Geld oder ihre Zeit das nächste Mal, wenn Sie durchs Internet scrollen, vielleicht nicht der neusten Selbstoptimierungs-App, sondern helfen Sie als Einzelne*r, nicht nur einem Unternehmen, sondern der Wissenschaft und Gesellschaft die Datenlücken im Wissen zu schließen, die es benötigt, damit Maschinen lernen, wie vielfältig unsere Gesellschaft ist und dies in automatisierten Entscheidungsprozessen darstellen können. Ein kleiner Einsatz für die Gesellschaft – und vielleicht auch eine bessere App für ihren Sport, Spaß und ein gesundes Leben in der Zukunft.

Ich möchte Ihnen ein letztes Bild zeigen, das meine Kollegen und ich durch das Trainieren und Eingeben von Prompts in Midjourney erstellt haben:  


„Göttin der fehlenden Datensätze“

 

Dieses Bild repräsentiert die „Göttin der fehlenden Datensätze“. Sie steht für all die fehlenden Datensätze der Geschlechtergruppen und Menschen, die wir als gleichberechtigte Partner benötigen, um den nächsten Schritt zu einer geschlechtergerechteren und inklusiveren KI in den nächsten Jahren zu gehen. Nehmen Sie das Bild als Anreiz, um heute die Partnerschaften zu schließen, die wir morgen brauchen, um in einer geschlechtergerechten und freien modernen Gesellschaft zu leben.

Es ist ein technisch-soziales Experiment, ob der Mensch aus 8000 Jahren Menschheitsgeschichte lernen kann. Es ist ihre Zukunft. Machen Sie mit! 

Dieser Beitrag basiert auf einem TEDTalk zu Feministischer KI, den ich im Oktober 2023 gehalten habe.
Alle Studien und Quellen finden Sie in dem Video: