MenuMENU

zurück

Eldad Stobezkis „Rutschfeste Badematten und koschere Mangos“

Katzen und Hunde

Ulrich Breth


Katz und Hund. pixabay

Mit etwas Glück werden die Einfälle eines Aphoristikers von seiner Persönlichkeite zusammengehalten. Sein Interesse leitet seine Wahrnehmung, und umgekehrt werden sich die farbigen Steine seiner knapp gefassten Notate von selbst zu einem ausgeformten Mosaik zusammenfügen, an das er schreibend gar nicht zu denken braucht. Eldad Stobezki, der auch TEXTOR-Autor ist, hat seine bedenkenswerte Gedankensammlung für ein Buch arrangiert, das Ulrich Breth vorstellt.

 

Seit mehr als 10 Jahren sammelt Eldad Stobezki Eindrücke, manchmal nur einzelne Worte, aus denen er seine Gedankensplitter formt, die im Freundeskreis kursieren und die er im Internet, auf Facebook, in den beiden Kulturportalen Faustkultur und Textor.online und im Online-Magazin ytali, veröffentlicht hat. Nun ist eine erste Auswahl unter dem Titel Rutschfeste Badematten und koschere Mangos bei der Edition W in Buchform erschienen.

Gegenüber dem Ausgangsmaterial hat er zwei Veränderungen vorgenommen. Die Gedankensplitter hat er zu achtzehn Gruppen kleiner Kiesel angeordnet, denen jeweils eine kurze, die aphoristische Knappheit transzendierende Geschichte vorangestellt ist, deren thematischer Gegenstand im Titel genannt wird. Vom Rumänischen Blumenkohl über das Corona-Tagebuch, 28.3.2020 bis zu Pokój, dem polnischen Wort für Frieden. Die Bezeichnung kleine Kiesel dürfte auf Carolin Callies zurückgehen, der Lyrikerin aus Lopodunum (dem heutigen Ladenburg), die über seine Gedankensplitter gesagt hat: Diese Miniaturen sind wie kleine Kiesel, von denen man nicht lassen kann, sie vor sich her zu kicken. Aus den Miniaturen, die der Autor selbst etwas weiter ausholend vor sich hergekickt hat, dürften die längeren Texte entstanden sein.

Worum die kurzen Texte des Buches immer wieder kreisen, lässt sich dessen Widmung entnehmen, in der es heißt: Für meine Wortbegleiter Inge Geiler und Lothar Ruske. Lothar Ruske ist der Tourist aus Berlin, dem Eldad Stobezki am 22. Dezember 1981 am Strand von Tel Aviv begegnet und dem er im Sommer 1982 nach Deutschland gefolgt ist, wie er Eugen El vor ein paar Jahren in der Jüdischen Allgemeinen erzählt hat. Seit mehr als vierzig Jahren leben die beiden in Frankfurt am Main zusammen. Und als dieser Mann findet er selbstverständlich auch in den literarischen Miniaturen seinen Platz, da diese fast immer von Alltagssituationen aus der unmittelbaren Umgebung des Autors ihren Ausgang nehmen. Und da er nicht nur eine literarische Figur ist, ist Lothar Ruske auch der Mann, der wie der Autor selbst im Literatur- und Kulturbetrieb im Rhein-Main-Gebiet und darüber hinaus seine Spuren hinterlassen hat.

Inge Geiler fand Mitte der 1980er Jahre bei Renovierungsarbeiten in ihrem Wohnzimmer zwischen Heizung und Wandverkleidung Papiere, die sich dem Ehepaar Grünbaum zuordnen ließen, das zuvor in der Wohnung bis zu seiner Deportation nach Theresienstadt gelebt hatte. Durch ihre Nachforschungen gelang es ihr, das Schicksal eines jüdischen Ehepaares in der Zeit des Nationalsozialismus in Frankfurt sichtbar zu machen. Wie sie in einem Interview äußerte, sind die Grünbaums seitdem zu Mitbewohnern ihrer Wohnung geworden. An dieser Äußerung lässt sich sowohl ablesen, wie tief sich jüdisches Leben in die Frankfurter Stadtgeschichte eingesenkt hat, als auch, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit der Zeitgeschichte aussehen kann. Die Geschichte der Familie Grünbaum, die sie anhand umfangreicher Recherchen sorgfältig rekonstruiert hat, hat Inge Geiler in dem Band »Wie ein Schatten sind unsere Tage« (2012) publiziert.

Wortbegleiter sind die beiden Adressaten der Widmung vermutlich, weil er sie als Erstleser seiner Texte ins Vertrauen zieht. Zugleich klingt in der Formulierung die Vorliebe des Autors für Wortspiele an, die er damit in Verbindung bringt, dass er mehrsprachig aufgewachsen ist und ihm die Töne der hebräischen, deutschen und jiddischen Sprache gleichermaßen vertraut sind.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Homosexualität und die israelisch-deutsche Familiengeschichte, die Geschichte seiner Vorfahren also, die als Ostjuden und Jeckes aus Polen und Deutschland geflohen oder von den Nazis ermordet worden sind, sind die beiden Pole, um die zahlreiche Reflexionen des Buches kreisen, die durch Gelesenes und Erlebtes, Ereignisse der Zeitgeschichte und persönliche Begegnungen aktualisiert werden. Der kürzeste Ausdruck für die subjektive Wahrnehmungsform dieser beiden Pole lässt sich einer Textstelle entnehmen, die sich im 14. Kapitel der kleinen Kiesel findet, wo es heißt: Wann immer es um eine berühmte Persönlichkeit geht, kommen mir immer die Fragen „Ist er Jude? Ist er schwul?“ in den Sinn.

Dass es sich dabei um Abstraktionen handelt, die in Lebenszusammenhänge eingebettet sind, ist dem Autor durchaus bewusst, wie der Kontext der eben zitierten Textstelle zeigt. Als er dem Literatur Kalender des Aufbau Verlags entnimmt, dass Molière am 15. Januar 2022 seinen 400. Geburtstag hatte und dies seinem Mann Lothar mitteilt, bekommt er zu hören: Er war schwul. Den Einwurf kommentiert er mit den Worten: Ja, war er. Nach zwei Ehen verliebte er sich als Endvierziger in einen 15-jährigen Knaben, mit dem er bis zu seinem Tod zusammenlebte. Dabei ist das Ja, war er doppelt lesbar. Als Relativierung des identifizierenden Gestus und als Dekonstruktion eines Details der französischen Theatergeschichte, zu deren wohlgehüteten Familiengeheimnissen gehört, dass Molière in seinen letzten Lebensjahren mit dem jungen Schauspieler Michel Baron liiert war.

Wann immer der im November 1951 in Tel Aviv geborene Autor vorgestellt wird, wie etwa bei dem Gespräch mit Daniella Baumeister, das am 5. Juli 2024 im Hessischen Rundfunk ausgestrahlt worden ist, wird seine Tätigkeit mit einer Vielzahl von Begriffen gewürdigt: Lektor, Moderator, Gutachter, Übersetzer, Linguist, Erzähler und Autor, an die sich weitere Zuschreibungen wie Brückenbauer, Weltbürger, Literatur- und Kulturvermittler anschließen. Er selbst sieht sich, zumindest in dem eben zitierten Gespräch, als Kulturvermittler. Der enger gefasste Begriff des Literaturvermittlers ist demgegenüber der terminus technicus, der seine beruflichen Tätigkeiten zusammenfasst. Als Lektor und Übersetzer, der unter anderem mit der Übersetzerin Mirjam Pressler zusammengearbeitet hat, und als Scout für einen israelischen und verschiedene deutsche Verlage tätig war.

Dabei zeigt die Beschäftigung mit Schriftwerken und ihren Übersetzungen, dass sie von den kulturellen Kontexten, in denen sie entstehen, nicht zu trennen sind. So kommt der Autor fast beiläufig auf religiöse Feiertage, konfessionelle Prägungen, traditionelle Bräuche bis hin zu Gewohnheiten regionaler Küchen zu sprechen. Für ihn selbst spielt die Musik, beispielsweise Bach oder Brahms, eine mindestens ebenso bedeutende Rolle wie die literarischen Werke, mit denen er sich auseinandersetzt. Besuche von Ausstellungen und Kirchenbesichtigungen zeugen davon, dass er in den Werken der Kunst und Architektur ebenso zu lesen versteht wie in seinen Lieblingsbüchern. Dabei geht er auf seinen Streifzügen nicht umher wie ein Sammler, sondern wie ein Handwerker, der alles, was ihm in die Augen oder die Hände fällt, prüft, um ihm den Gebrauchswert, den es einmal besaß, zurückzuerstatten.

Diesem Zusammenhang geht er nach als jemand, der sich sowohl der israelischen als auch der deutschen Kultur zugehörig fühlt. Diesen Sachverhalt hat er unter dem Stichwort Hund und Katze zu einer seiner Miniaturen verdichtet, die sich nicht in den Rutschfesten Badematten findet, auf die er sich aber in dem bereits erwähnten Gespräch mit Daniella Baumeister bezogen hat. Wen ich mehr liebe, Katzen oder Hunde, fragte mich der kleine Enkelsohn einer Freundin. „Max“, antwortete ich, „ich liebe Katzen und Hunde.“ Irritiert sah er zu mir hoch und spielte weiter mit seinen Teddybären. Als ich später eine Notiz auf Hebräisch schrieb, beobachtete er mich und ich bemerkte, dass er sich etwas überlegte. „Jetzt verstehe ich das, du kannst auch von rechts nach links schreiben“, sagte er.

Nichts beleuchtet besser seine Haltung des Sowohl-Als-Auch, die er dem üblichen Begriffsdeterminismus und falsch gestellten Alternativen entgegen stellt. Sie speist sich aus seinen ständigen Bemühungen, Spannungen politischer, ästhetischer oder auch nur alltagspraktischer Art anzunehmen und auszubalancieren, das Eigenrecht unterschiedlicher Positionen, so sie sich plausibilisieren lassen, gleichermaßen zur Geltung zu bringen. Dafür bilden Treffen und Korrespondenzen mit Freunden, Gespräche mit Nachbarn, flüchtige Begegnungen, Alltagsbeobachtungen ebenso wie Reiseeindrücke, Bildungsreminiszenzen und Träume ein unerschöpfliches Reservoir.

Dabei entstehen Momentaufnahmen, in denen sowohl die Betroffenheit durch zeitgeschichtliche Ereignisse wie die Corona-Pandemie, den Terrorangriff der Hamas auf Israel und seine Folgen, oder auch den letzten Bahnstreik zum Ausdruck kommt, wie auch Augenblicke der Schwerelosigkeit, in denen sich Alltagssorgen wie die vor den Zumutungen des Alters, Tagträume und Phantasien die Waage halten. Nichts liegt ihm ferner, als Dinge zu beschönigen oder über Brüche und Dissonanzen hinwegzusehen. In der Geschichte Schienen erzählt er vom Ritual seiner Schulfreunde Ehud und Ahuva, die auf ihren Osteuropareisen bis zur Erschöpfung an Bahnschienen entlanglaufen, um sich zu vergewissern, den Deportationen, denen die Generation ihrer Eltern ausgesetzt war, entronnen zu sein. Nur wenige Seiten später erzählt er, dass er sich in einem Buchladen, in dem er gelegentlich aushilft, mit dem Buchwunsch einer Kundin konfrontiert sah, die im einheimischen Dialekt einen Roman ohne Juden und ohne Holocaust verlangte, um besser einschlafen zu können.

Dem stehen Passagen gegenüber, in dem es ihm gelingt, der Prosa des Alltags beglückende Momente abzugewinnen. Dies ist etwa der Fall, wenn ihn der Anblick einer Tube Avocado-Hautcreme an einen weit zurückliegenden Abend erinnert, an dem er in der Nähe von Herzliya gemeinsam mit einem jungen Mann in erotisch aufgeladener Atmosphäre aus frischen Avocados Guacamole zubereitet hat. Oder wenn er den schön anzuschauenden Techniker, der die Rauchmelder in der Wohnung prüft, mit der heiligen Rita von Cascia in Verbindung bringt, von der er vermutlich anlässlich eines Italienurlaubs gehört hat. Ob sich immer alles auch genauso zugetragen hat, wie der Autor in seinen Geschichten erzählt, ist für die Lektüre des Bandes nicht entscheidend. Wohl aber, dass seine Beobachtungsgabe und Formulierungskunst gerade alltäglichen Dingen, die gering geschätzt, verdrängt oder übersehen werden, ein Stück ihrer Würde zurückgibt.

Eldad Stobezki
Rutschfeste Badematten und koschere Mangos
Mit einem Nachwort von Maria Gazzetti
150 S., geb.
ISBN: 978-3-949671-15-9
Edition W
Neu Isenburg, September 2024


Buch bestellen

Erstellungsdatum: 17.09.2024