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Hans Haacke in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Kunst über Systeme

Isa Bickmann


Hans Haacke: Retrospective, installation view: Gift Horse, 2014, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024, Photo: Norbert Miguletz

Bevor die Frankfurter Schirn Kunsthalle ab Mai 2025 für drei Jahre zwecks einer umfassenden Sanierung geschlossen wird und das Team ein Interimsprogramm verkündet, kann man sich in den angestammten Räumen mit dem Schaffen des in New York lebenden deutschen Künstlers Hans Haacke in einer Retrospektive vertraut machen. Dessen unbequemes und hochaktuelles Werk lohnt eine umfassende Betrachtung, verrät Isa Bickmann.

 

„The Fourth Plinth“, der vierte freie Sockel auf dem Londoner Trafalgar Square rund um das Nelson-Denkmal wird seit 1999 von bekannten Künstler*innen bespielt, wie David Shrigley, Yinka Shonibare, Thomas Schütte und anderen. Zurzeit hat Teresa Margolles Abgüsse der Gesichter von 726 trans-, nichtbinären und gender-nichtkonformen Personen aus ihrem Heimatland Mexiko und Großbritannien zu einem Aufbau arrangiert, der an den Schädelkult der mittelamerikanischen Kulturen erinnert. Das Bespielen dieses prestigeträchtigen Ortes ist eine große Ehre für lebende Künstler. Hans Haacke zeigte dort 2015/16 ein skelettiertes, reiterloses Bronzepferd, womit er den leergebliebenen Standort, der eigentlich einem Reiterstandbild zugedacht war, thematisierte und zugleich den Helden- und Personenkult einer Revision unterzog. Haacke will es als eine „Hommage“ an den schottischen Ökonomen Adam Smith verstanden wissen. Motivisch bezieht sich der Künstler auf anatomische Pferdedarstellungen des englischen Malers George Stubbs. Eine Schleife ziert das erhobene Bein des „Gift Horse“. Nun steht das monumentale Bronzeskelett in der Rotunde der Schirn und ist auch ohne Eintrittskarte zugänglich. Auf den Geschenkband laufen die aktuellen Börsenzahlen aus Frankfurt, eine der ältesten und größten Handelsbörsen der Welt. Damit sind die Themen Macht, Geld und die gesellschaftspolitischen Verknotungen der Kunst gesetzt, die uns auch in Haackes Ausstellung im Inneren der Schirn Kunsthalle erwarten. Mit dem „geschenkten Gaul“ können wir alle etwas anfangen. Nur hier, in der Schirn-Rotunde, erschließen sich nicht mehr der ursprüngliche Denkmalcharakter und die Bezüge zum britischen Kontext. Liefen nicht die Börsenkurse auf der Schleife, erinnerte es eher an die Dinosaurierskelette im Senckenberg-Museum.


Hans Haacke. Retrospektive, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024, Foto: Norbert Miguletz

 

In der zweiten Etage beginnt die Ausstellung chronologisch mit den frühen Werkphasen des 1936 in Köln geborenen Künstlers. An die quadratischen Bilder aus der Zero-Phase, die das Licht als immateriellen, doch zugleich bildimmanenten Faktor mittels Spiegelelementen einbinden, schließt die Fotoreihe an, die Haacke 1959 als Werkstudent von Besuchern der documenta 2 aufnahm und die so treffend die Diskrepanzen zwischen der modernen Abstraktion und der Ratlosigkeit der Deutschen vierzehn Jahre nach dem Ende der Kulturlosigkeit des Faschismus einfängt. Ein Ventilator bewegt ein blaues Tuch, das „wie ein lebendiger Organismus“, so Haacke 1965, „wütend um sich schlägt“ und doch voller Poesie ist. Ein Windstrom hält einen Ballon in der Luft. Fotos dokumentieren die großartige „Skyline“-Performance mit Ballons von 1967 am MIT Cambridge. Wasserhaltige Systeme aus Gefrieren, Kondensieren und Fließen sind im Raum zu sehen. Hier zeigt sich, wie der junge Haacke in den 1960er Jahren die Naturkräfte nutzt. Diese Arbeiten muss man nicht erklären, sie erklären sich fast von selbst. Sie lassen staunen und innehalten.

Hans Haacke wohnt ab 1965 in New York, wo er bis heute lebt. In einem Nebenraum ist ein Film zu sehen, der 1969 vom WDR produziert wurde und mit dem sich die Wissenschaft erst vor wenigen Jahren auseinanderzusetzen begann. Wir sehen des Künstlers biophysikalische Werksysteme in Bewegung, in sich „selbst überlassenen Situationen“, so Haacke im Film, und rhythmisch dazwischen geschnitten seinen Alltag in New York, beim Einkauf in einem „Italien Food Center“, eine Fahrt nach Coney Island mit der Studienkollegin Marianne Ruhloff, die mit ihm dort am Strand ruhend diskutiert. Werken, die man zuvor in der Ausstellung betrachtet hat, begegnet man in diesem Film erneut. Es ist, als führten hier Kunst und Leben zueinander. Das lässt Haackes Arbeiten zweifach erfahren, überbrückt den zeitlichen Abstand zwischen der Filmaufnahme und der gegenwärtigen Betrachtung im Ausstellungsraum, schließt den Kreis von Machen, Sehen, Rezipieren und bildet ein in sich selbst geschlossenes System. Das ist ein hervorragend kuratierter Einstieg in das Werk dieses Künstlers.

Die Beschäftigung mit der Systemtheorie und eine zunehmende Politisierung angesichts der Bürgerrechtsbewegung werden fortan im Werk Haackes bestimmend. Mehr noch: „Physikalische und biologische Systeme sind per se politisch“ zitiert Kuratorin Ingrid Pfeiffer den Künstler im Katalog zur Ausstellung. Das belegt Haackes Installation „Rheinwasseraufbereitungsanlage“ für die Ausstellung „Demonstrationen der physikalischen Welt. Biologische und gesellschaftliche Systeme“ im Haus Lange in Krefeld 1972, in der Haacke industriell verschmutztes Rheinwasser klärte und in die Natur entließ.


Hans Haacke. Retrospektive, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024, Foto: Norbert Miguletz

 

Im Jahr zuvor kollidierte Haacke mit dem Leiter des New Yorker Guggenheim Museums, in dem eine Einzelausstellung für ihn geplant war. Sein Werk, das aufgrund intensiver Recherche und Dokumentation das Agieren der Shapolsky-Immobiliengruppe in Manhattan mittels der Darstellung eines „gesellschaftlichen Realzeitsystems“ offenlegte, rüttelte an den Grundfesten des Museumsbetriebs, der es sich wohl mit seinen Geldgebern nicht verscherzen wollte. Und Haacke blickte noch tiefer in die Verstrickungen von Kapital und Kunstbetrieb angesichts der ursprünglich jüdischen Provenienz des Manet-Stilllebens, das Hermann Josef Abs 1967 in seiner Funktion als Vorsitzender des Fördervereins dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum schenkte. Auch hier sagte man dem Künstler die Ausstellung ab, der in Köln tätige Galerist Paul Maenz sprang ein. 1981 entrüstete man sich über Haackes Dokumentation „Der Pralinenmeister“, die den Sammler und Stifter Peter Ludwig und die Stiftungsvereinbarungen mit der Stadt Köln offenlegte. Wieder kam es zur Zensur.

Auch mit der Sammlung des Schweizer Waffenproduzenten Emil Bührle, der sich durch die Zwangssituation jüdischer Sammler bereichert hat und dessen Sohn illegale Waffen-Geschäfte mit dem Apartheidsystem in Südafrika machte, befasste sich Haacke 1985. Die Bührle-Stiftung im Kunsthaus Zürich ist heute immer noch hinsichtlich unzureichender Provenienzforschung und der Namensgebung der Stiftung in der Diskussion.

Kein Künstler vor ihm und nach ihm hat den Geist des deutschen Pavillons in den venezianischen Giardini, der von den Nationalsozialisten 1938 mit massiven Pfeilern ein pathetisch-neoklassizistisches Antlitz bekommen hatte, so gründlich durch Aufbrechen des Marmorfußbodens destruiert. Das war 1993 kurz nach der Wiedervereinigung, sich verstärkender rechtsradikaler Bewegung und den rassistischen Anschlägen in Hoyerswerda. Haackes Arbeit für den Bundestag ist die letzte große Arbeit, die in Deutschland breite Aufmerksamkeit bekam. Erst nach einer Bundestagdebatte konnte er 2000 sein Werk für einen Hof im Reichstagsgebäude verwirklichen lassen: Eine Insel der Natur, partizipativ geschaffen von Abgeordneten aus der Erde der Bundesländer, die „Der Bevölkerung“ gewidmet ist, also allen Menschen im Lande, war für einige Abgeordnete nicht annehmbar.

Link: https://derbevoelkerung.de/


Hans Haacke, DER BEVÖLKERUNG, 2000, Blick auf die Installation im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes in Berlin, 2008, C-Print auf Aluminium, 232 × 178 cm, Courtesy der Künstler und Sfeir-Semler Gallery, Beirut / Hamburg, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Stefan Müller

 

Haacke hat sich schon früh den Einordnungen seiner Kunst widersetzt. 1971 sagte er im Arts Magazine: „Ich betrachte mich weder als einen Naturalisten noch als Konzeptualisten oder Kinetiker, nicht als Erdkünstler, Elementaristen, Minimalisten, als Heiratsvermittler für Kunst und Technologie oder als stolzen Träger irgendeines anderen Abzeichens, das im Lauf der Jahre angeboten wurde.“ Gleichwohl zeigt die Frankfurter Ausstellung Kontinuitäten seines Werkes anschaulich auf. Wegweisend ist es hinsichtlich ihrer partizipativen und konzeptuellen Methoden, den ökologischen, institutionskritischen und politischen Motiven allemal.

 

Schirn Kunsthalle

Erstellungsdatum: 07.01.2025