Dem Fotografen und Fotoreporter Robert Lebeck (1929-2014) gelang es stets, den richtigen Moment zu treffen. Das ist eine hohe Kunst, denn sie erfordert nicht nur Geschick, sondern man muss auch zum besten Zeitpunkt am Platz sein, sein Objektiv instinktiv auf den richtigen Ausschnitt dieser Welt halten. Lebeck selbst nannte es „unverschämtes Glück“, wenn er im rechten Moment abdrücken konnte. Isa Bickmann besuchte die Ausstellung in den Rüsselsheimer Opelvillen, die sich seinen ausgewählten Reportagen aus Deutschland widmet, und war versucht, immer wieder Aktualitätsbezüge zu sehen.
„Amerika ist kein Vorbild mehr“ schrieb das Magazin Stern zu der Abbildung einer brennenden US-amerikanischen Flagge. Angesichts der Trumpschen Agenda der Zerstörung von allem, das mal Vorbild war, erscheint dieser vierzig Jahre zurückliegende kritische Blick auf Amerika seltsam aktuell. Damals ging es um Proteste gegen den Besuch von George Bush, Vize-Präsident unter Ronald Reagan. Wer von jenen Protestierenden hätte in jener Zeit gedacht, dass es noch schlimmer kommen könnte?, denkt man für sich.
Robert Lebeck hat wie kein anderer die Reportagefotografie in Deutschland geprägt. Die 1983 entstandene Reise durchs Deutschland, die unter der Überschrift „Deutschland im März“ veröffentlicht wurde und einen Ist-Zustand des Landes dokumentierte, düstere Seiten wie das Waldsterben zeigte, aber auch einen humorvollen Blick auf die Menschen warf, brachte Lebeck den Vorwurf ein, ein „Nestbeschmutzer“ zu sein. Vielleicht kam auch manchem dabei Heinrich Heines Gedicht „Michel nach dem März“ in den Sinn.
Die nach Themenkomplexen geordnete Schau in den Rüsselsheimer Opelvillen reizt mit Lebecks Reportagen berühmter Persönlichkeiten, allen voran Romy Schneider, die an ihm großen Gefallen gefunden hatte und ihn zu ihrem Lieblingsfotografen erkor, Alfred Hitchcock und Maria Callas – allesamt Porträts, die sich in das kollektive Gedächtnis eingeprägt haben. Bildnisse des zwei Jahre lang begleiteten Willy Brandt wie auch Konrad Adenauers und Winston Churchills belegen Lebecks Händchen für jene „glücklichen Augenblicke“, die es für einen Fotoreporter zu erreichen gilt. Eine Bildfolge aus dem Jahre 1970 zeigt Joseph Beuys im Atelier, unter anderem mit einer Axt posierend. Auch darf die kleine Elvis-Presley-Serie nicht fehlen, der im hessischen Friedberg Ende der fünfziger Jahre stationiert war und auf den Lebeckschen Fotografien so seltsam verloren wirkt in seiner neuen Rolle als Soldat. Dem von Kameras unentwegt Verfolgten ging es dann inmitten seiner Kameraden anscheinend doch auf den Nerv, permanent beobachtet zu werden und er schickte den Kamerablick Lebecks mit weit aufgerissenen Augen zurück. In einer Vitrine liegt das Exemplar der „Bravo“ von 1958, in der sich „alles um Elvis drehte“: Jugendkultur von vor bald siebzig Jahren!
Was die Schau so sehenswert macht, sind die Ablichtungen der Namenlosen. Hier wird ein Deutschlandbild gespiegelt, das Geschichte gespeichert hat. Es ist fremd und vertraut zugleich. Man sieht, dazu auch noch auf einer Wand monumental aufgeblasen, Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft mit ihren ausgemergelten Gesichtern. Unwillkürlich denkt man an den aktuellen Krieg gegen die Ukraine. Petticoats werden 1961 von einem Geschäft in Berlin-Neukölln angeboten. Zwei kleine Mädchen mit Puppenwagen stehen auf der Lüftung eines U-Bahn-Schachts und ahmen weibliche Rollenmodelle nach: Die eine spielt Mutter, ihre Puppe im Arm haltend, die andere lässt nach Marilyn-Monroe-Art ihren Rock hochwehen. Diese Fotografien stammen aus einer unveröffentlichten Dokumentation vom Shopping-Grenzbetrieb vor dem Mauerbau. In einer anderen Reportage präsentiert sich das völlig enthemmte Deutschland: Karnevalfeierende, die 1956 vom Alkohol berauscht die „Weinschlacht in Altenahr“ begehen, deren wildes Treiben Lebeck 1956 im Auftrag der „Revue“ begleitete. Der Fotograf reiste mit maximal zwei Kameras, „eine mit 85er-Objektiv für Porträts, damit ich nicht so nah an Gesichter ranmuss“, und einem „20er Superweitwinkel“, das sein „Spion“ war: „Menschen sahen zwar meine Kamera, kamen aber nicht im Traum darauf, dass sie vielleicht im Sucher sein könnten.“
Robert Lebeck wurde 1929 in Berlin geboren. In den letzten Monaten des Krieges als 15-Jähriger eingezogen, geriet er 1945 im Osten in Kriegsgefangenschaft. Nach einem Studium der Völkerkunde entschloss er sich, die Laufbahn eines Fotografen einzuschlagen. Er hatte während eines New-York-Aufenthaltes, die Illustrierten „Look“ und „Life“ schätzen gelernt. Ab 1955 leitete er das Redaktionsbüro der „Revue“ in Frankfurt am Main. Von 1962 an reiste er dreißig Jahre lang als Fotoreporter für den „Stern“ um die Welt, unterbrochen von einem Intermezzo als Chefredakteur von „GEO“. 1991 erhielt er den Dr.-Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie und 2007 als erster Fotoreporter den Henri-Nannen-Preis für sein Lebenswerk. Lebeck war auch Sammler historischer Fotografien. Er starb 2014. Den Nachlass und das Archiv betreut Lebecks Witwe Cordula Lebeck. Mit ihr und dem Kunstarchiv Lüneburg ist in enger Zusammenarbeit die Rüsselsheimer Ausstellung entstanden, die 2023 in der Kunsthalle Lüneburg zu sehen war.
Lebeck war ein „Sammler von Blicken und Begegnungen“, wie Kerstin Stremmel im Vorwort des in erster Auflage vergriffenen, 2016 bei Steidl erschienenen Fotobandes „Face the Camera“ seine Arbeit charakterisiert. Lebenslange Vorbilder waren ihm Erich Salomon, Alfred Eisenstaedt, David Douglas Duncan und W. Eugene Smith. Robert Lebecks Blick auf die alte Bundesrepublik lässt einen mit einem nostalgischen Gefühl zurück – zugleich auch dem Gefühl des Glücks, dass hier jemand flüchtige Augenblicke der bundesrepublikanischen Geschichte für immer festgehalten hat.
Robert Lebeck
Hierzulande
9. Februar bis 15. Juni 2025
Erstellungsdatum: 28.04.2025