Ein richtiger Künstler wächst an seinen Werken. Dabei geht es um grenzenloses Wachstum. Der Fotograf und Filmkünstler Wim Wenders, der am 14. August 80 Jahre alt wurde, ist gern seiner Faszination von starken Persönlichkeiten nachgegangen. Das macht seine Kunst so vielfältig und attraktiv. Im Jahr 2008 kam ein Wenders-Film in die Kinos, der in alte Fußstapfen trat und einen Fotografen, gespielt von einem Rockmusiker, auf eine Reise durch das alte Europa schickte. Marli Feldvoß ist ihm dahin gefolgt.
Wim Wenders und das Fotografieren – das ist eine unendliche Geschichte. Sie ist schon so alt, dass der unverbesserliche Fotograf mittlerweile angefangen hat, sich selbst zu zitieren. Das Doppeldeutige von „To shoot pictures“ wurde schon von Alter ego Philip Winter in „Alice in den Städten“ in die Waagschale geworfen, das herzzerreißende Credo des Fotografen Wim Wenders ist in seinem Fotoband „Einmal“ nachzulesen. Demnach soll man von dem, der fotografiert mehr sehen als das, was dieser gesehen hat. Das klingt halt immer so vertrackt. Ist es aber nicht.
Mit dem Fotografen Finn (Campino) in der Hauptrolle, der eigentlich ein Rockstar ist, erzählt „Palermo Shooting“ alles noch einmal von vorn. Dafür hat Wenders zum ersten Mal in seiner Geburtsstadt Düsseldorf gedreht. Zurück zu den Wurzeln. Aber es hält ihn (und sein neues Alter ego) nicht lange im Designerhaus des Erfolgsfotografen, der seine ausgetüftelten Stadt- und Landschaftspanoramen mit aufwendigen digitalen Manipulationen auf dem Bildschirm kreiert und an Andreas Gursky und Peter Lindbergh erinnern soll. Arrangierte Fotografie, die der schönen Oberfläche verfallen ist, deshalb ist Finn auch als Modefotograf gefragt. Doch selbst ein Modell wie Milla Jovovich mit dem echten dicken Bauch will es authentischer. Auch die Rheinwiesen mit Schafherde – immerhin ein Stück Natur – gehorchen dem Blick des Fotografen, der nur darauf wartet, dass ein malerischer Schleppkahn mit dem Namenszug „Palermo“ am Horizont vorbeituckert. Ein Abschiedsbild, bevor das Roadmovie den Filmemacher wieder in die große weite Welt entführt, dieses Mal nur bis nach Palermo. „Palermo Shooting“ ist von der ersten bis zur letzten Minute eine Lektion über das Bildermachen, und die ist noch lange nicht zu Ende.
Es fängt damit an, dass irgendwann einmal eine Schreibmaschine in den Hafen von Palermo gefallen sein muss. Sie liegt schon da unten in der schmuddeligen Tiefe, als sich der Fotoapparat und ein halbtoter Fotograf dazugesellen. Da liegen die Ingredienzien des Autorenfilms einträchtig beieinander. Ausrangiert. Der Fotograf, also dieser Finn, wird von einem mysteriösen Kapuzenmann mit Pfeil und Bogen verfolgt und hätte – an dieser Stelle, als der Pfeil endlich trifft – ins Gras beißen müssen. Da sind Zweidrittel des Films bereits vorbei. Finn hatte sich eine Auszeit genommen, Palermo erkundet, das sich von seiner besten Seite zeigt, doch der Kapuzenmann, der von Anfang an hinter ihm her war, ihn schon in Düsseldorf auf der Autobahn hat erwischen wollen, lässt ihn nicht aus den Augen. Klar, dass im langen grauen Mantel in Wirklichkeit der Sensenmann in Gestalt von Dennis Hopper versteckt ist, ein übel gesinnter „amerikanischer Freund“, der hier mit starker Symbolkraft das gesamte Hollywoodkino und die Verführung des amerikanischen Traums zu repräsentieren scheint. Schon wieder ein gewichtiges Stück Vergangenheit, an dem der Regisseur Wim Wenders und sein Ehrgeiz lange zu beißen hatten. Aber so richtig ist er es doch nicht losgeworden.
„Wie merkt man, ob man tot ist?“ Ist er schon oder wird er erst? Finn erfährt es erst, als er in der Altstadt die schöne Italienerin Flavia (Giovanna Mezzogiorno) auf der roten Vespa trifft, eine Bilder-Restauratorin, die ihn rettet und hochpäppelt, wie sie es von ihren Kunstwerken her gewohnt ist. Und damit wären wir bei letzten Drittel des Films: der Offenbarung. Seit sein Handwerkszeug in den trüben Fluten versunken ist, darf unser Fotograf endlich ohne Knopf im Ohr durch die Stadt ziehen und nicht nur seine Musik, sondern das Getöse der Welt und ihre Verzweiflung – auch die eigene – an sich heranlassen. Das Katz-und Maus-Spiel vom Anfang, als man sich mühsam an die hermetische Macho-Figur des Finn mit seinen wilden Tattoos herantastet, sich von seinen verrückten Nachtfahrten im Cabrio beeindrucken lässt, von der Nonchalance, mit der er seine Panoramakamera auf der Windschutzscheibe kreisen lässt und den Geisterfahrer von der Autobahn schnell wieder vergisst, wird irgendwann abgelöst von dem nicht endenwollenden Duell mit dem Tod: Von tiefsinnigen Gesprächen und Verfolgungsjagden, die von der Trickkiste des Fantasykinos inspiriert sind und den ganzen Diskurs über das Sehen, der sich vorher so überzeugend entwickelte, kunstfertig verrätseln.
Zuletzt geht es nur noch um „Il Trionfo della Morte“, den „Triumph des Todes“ – so heißt das wunderschöne Renaissance-Fresko aus Palermo, das Flavia restauriert und das Wenders in Teilen zu dieser Geschichte inspiriert hat. Nur, der unbekannte Maler des apokalyptischen Reiters löst mit seiner klarsichtigen Vision mehr nachhaltiges Entsetzen aus als das Kino mit seinen kleinen Schockwellen, die wieder verpuffen. Ein Alterswerk? Noch nicht. Dazu fehlt dem Film die Gelassenheit, der Verzicht auf die modischen Sandkastenspiele, auf die vielen Ablenkungsmanöver, denen der leicht verführbare Regisseur immer wieder erliegt. „Jedes Photo ist eine Erinnerung an unsere Sterblichkeit. Jedes Photo handelt von Leben und Tod.“ So einfach ist das. Trotzdem tappt Wenders in die Falle des Zuviel. Dennoch ein gedankenvoller interessanter neuer Wenders-Film, den man gesehen haben muss.
(Erstveröffentlichung: epd Film Nr.11/08)
Siehe auch:
Wim Wenders im Gespräch mit Marli Feldvoß zu seinem Pina-Film
Erstellungsdatum: 14.08.2025