„Ich weiß nicht, wie es geschah – aber beim ersten flüchtigen Anblick des Baues beschlich ein Gefühl unleidlicher Düsternis meinen Geist.“ Wie in anderen Erzählungen bereitet Edgar Allan Poe das Grauen vor, das er dann inszeniert. Und er bevorzug extrem alte Geschlechter, deren isoliertes Leben, Inzucht und vergangene Verbrechen das Unheimliche verkörpern. „The Fall of the House of Usher“ ist am Staatstheater Mainz mit der Musik von Philip Glass auf die Bühne gebracht worden, und Margarete Berghoff hat die Oper gesehen.
Die Kammeroper „The Fall of the House of Usher“ des amerikanischen Komponisten Philip Glass, uraufgeführt 1988, basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe.
Ein Werk, das Zerfall, Wahnsinn und Zerrüttung thematisiert.
In der Kurzgeschichte „The Fall of the House of Usher“ kommen einige von Edgar Allan Poe’s Lieblingsmotiven vor. Poe war fasziniert von Themen wie Geisteskrankheit, Rauschzustände, Inzest, die Wiederauferstehung von Totgeglaubten, das Sterben in geistiger Umnachtung. Düstere Stimmungen in schottischen Landhäusern und Burgen sind der Rahmen für seine noch düsteren Lebensgeschichten der Menschen, die in diesen Häusern wie Gefangene leben.
Der Maler Roderick ist scheinbar einer Geisteskrankheit zum Opfer gefallen. Eine starke Empfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen und eine große innere Unruhe quälen ihn. Er bittet seinen Jugendfreund William inständig, ihn zu besuchen, um in seiner Gegenwart sein Leiden ein wenig zu lindern. Bei seiner Ankunft spürt William die Schwere, die über seinem Freund und dem Haus Usher lastet. Schattenhafte Figuren, ein Arzt und ein Diener, geistern im Haus umher. Es bilden sich Risse in den Hauswänden. Es erscheint Madeline, die Zwillingsschwester Rodericks. William ist überrascht, kannte er in der Kindheit doch keine Zwillingsschwester Rodericks. William kann Roderick nicht erreichen, aber fasziniert von den Vorgängen im Haus Usher bleibt er und wird zum Zeugen und zum Erzähler von dem was er sieht und erlebt.
Es bleibt offen, wodurch Roderick in diesen morbiden Geisteszustand gekommen ist. Ist es ein totgeschwiegenes Familiendrama, das nun von seinem Geist Besitz genommen hat, um endlich aus den toten Mauern des Hauses erlöst zu werden? Der Tod Madelines im Keller des Hauses, dessen Ursache nebulös bleibt, ist am Ende der Geschichte die Ursache für Rodericks Tod. William erinnert sich an die seltsame Röte auf Madelines Wangen, als er sie im Sarg liegen sah und erkennt, dass Madeline lebendig begraben wurde. Am Ende der Geschichte erscheint Madeleine blutüberströmt und wirft sich auf ihren Bruder. Er stirbt unter ihrem Körper. Das Haus Usher bricht über ihnen zusammen, geht in Flammen auf und versinkt in einem See. Das Geschlecht der Usher ist ausgelöscht.
Der Regisseur K.D.Schmidt hat sich eine besondere Raumlösung für seine Inszenierung ausgedacht, die den mysteriösen Charakter der Oper unterstreicht: Die Zuschauer sitzen auf der Bühne in Hufeisenform. Die vierte Wand und der Blick in den Theatersaal ist offen. Davor ist das Philharmonische Staatsorchester Mainz unter der Leitung von Paul-Johannes Kirschner platziert. In der Mitte dreht sich eine Drehbühne, auf der ein Stahlgerüst mit Treppen, Etagen, Plattformen und Monitoren das Haus Usher versinnbildlicht. Der Blick nach oben in den Theaterturm mit seiner überbordenden Technik, wie in eine Hochhausschlucht, wirkt bedrohlich.
Die Geschwister Roderick (Mark Watson Williams) und Madeline, (Maren Schwier) sehr ähnlich in grauen tristen Kostümen gekleidet, tragen beide weiße Pagenperücken. Ihre überschminkten Gesichter zeigen Schmerz und Düsterkeit. Roderick, gezeichnet von Unruhe und Wahnsinn, bewegt sich zwischen Erstarrung und Hyperaktivität auf den Ebenen des Stahlgerüsts. Einmal malt er ein abstraktes Bild auf einen Spiegel, wie ein junger Wilder. Dann versucht er Geige zu spielen, aber die Töne sind für ihn unerträglich. Sein Gesang gleicht eher einem Sprechgesang, nur kurze Passagen, die seine innere Unruhe und Unstetigkeit spürbar machen.
Madelines wunderbare Arien sind stimmlich ein echohaftes Schweben über der Musik. Wie in der Musik hallen ihre Töne auf Vokalen zwischen A und O in wiederkehrenden Schleifen mit geringfügigen Abweichungen. Maren Schwier meistert diese monotonen und doch sehr präzisen Arien mit großer Kraft und Eindringlichkeit.
William (Brett Carter), ein Gentleman, der vielleicht einzig „normale“ Mensch in diesem Stück, was auch an seiner sportlichen Kleidung im englischen Stil, zum Ausdruck kommt, versucht Roderick zu retten, aber es gelingt ihm nicht. Er überzeugt durch seine ruhige Ausstrahlung und dem Bemühen, seinem alten Freund liebevoll beizustehen. Seine Gesangspartien sind voller Mitgefühl für die Leiden seines Freundes.
Der Arzt (Georg Schießl) und der Diener (Doğuş Güney), Gestalten wie aus Draculas Burg, tauchen nur manchmal auf. Und doch ist ihr Erscheinen immer wieder eindrücklich und weckt Phantasien. Was haben sie mit diesem unmenschlichen Geschehen im Haus Usher zu tun? Tragen sie Schuld am Wahnsinn Rodericks und an Madelines Krankheit?
Die Interpretation von K.D.Schmitt folgt im wesentlichen der ursprünglichen Geschichte, er legt aber den Schwerpunkt auf die Beziehung der Zwillingsgeschwister. Dabei bleibt er wie Edgar Allan Poe ebenso unbestimmt und nebulös. Rodericks (Mark Watson Williams) und Madelines (Maren Schwier) körperliche Begegnungen lassen ein inzestuöses Verhältnis vermuten. Eine eventuell destruktive sexuelle Abhängigkeit, die zeitnah durch die tödliche Krankheit Madelines für Roderick zu Verlust, Trauer und Einsamkeit führen könnte. Ist es das, was ihn in die Depression und Verwirrung treibt? Oder ist es das Eingeschlossensein in dem vom Verfall bedrohten Haus, das aus Grabsteinen erbaut ist, in das schon lange kein Sonnenlicht mehr eindringt, das überzogen ist von Pflanzen und Pilzen. Das Haus, hier als Metapher für ein ungutes geschlossenes System, in das nichts von Außen eindringen darf. Das Haus als Spiegelbild für das Innenlebens seiner Bewohner wird hier zum Akteur.
Ein lichter Moment inmitten der Dunkelheit. Unerwartet erscheinen strahlend gelbe Worte, wie von Geisterhand geschrieben, auf dem Stahlgerüst und in den Monitoren. Zusammenhanglose Worte und Sätze wie: „Seereich nicht weit … Engel … Sommer … Mitte der Nacht“. Rätselhaft, vielleicht geboren aus der zerstörten Denkstruktur Rodericks, die jeglichen Halt verloren hat? Vielleicht ein letzter Versuch, sich eine Wirklichkeit zu schaffen?
Die Monitore zeigen immer wieder verschiedene Bilder. Zu Beginn eine rasche Abfolge von Nachrichten. Schnell und unverständlich, den Geist überflutend.
Mal eine Innenschau der agierenden Personen, mal ein Flirren oder Zischen wie ein von Stromkabel erzeugtes Verbrennen. Die Drehbühne zeigt immer nur ausschnittartig die Geschehnisse. Das betont das Geheimnisvolle und Rätselhafte der Inszenierung.
Madeline legt sich selbst in einen Leichensack und zieht den Reissverschluss von innen zu. Bringt sie sich selbst um, weil sie die Ausweglosigkeit, Zerrissenheit und den Wahnsinn nicht mehr aushält? Oder spielt sie nur mit ihrem Tod? Sie steht wieder auf und kehrt noch einmal zu Roderick zurück und tötet ihn mit einem schnellen Druck auf die Brust. Ist es ihr Geist, der Roderick mit ins Totenreich nehmen möchte?
Kurz darauf geht das Licht im Zuschauerraum und auf der Bühne an. Ein Bild für das brennende Haus. Kein Untergang mit Flammen, Rauch und Getöse.
Wie die Musik von Philip Glass, die wenig Höhen und Tiefen hat, geschieht der Untergang des Hauses Usher hier fast beiläufig, eingebettet in den Klangteppich der Musik, die wie die Zeit nach vorne strebt. Das wirkt im ersten Moment belanglos. Das Licht ist hier der zentrale Aspekt. Vielleicht auch Symbol für die Erlösung von Schmerz und Leiden durch den Tod.
Dieser Kammeroper haftet gerade durch die Musik von Philip Glass, einer der Begründer der Minimal Music, eine noch gesteigerte schreckliche Rätselhaftigkeit und Unbestimmtheit an. Es gelang eine geniale Symbiose zwischen der literarischen Vorlage und der Musik.
Die stark rhythmische Musik aus kleinsten Elementen, sich flirrend wiederholend, wie in einer Endlosschleife, scheint wie ein Nährboden für die grauenhaften Begebenheiten, die sich scheinbar über lange Zeit im House of Usher abspielten. Ist es der Geisteszustand Rodericks, aus dem diese monotone Musik sich Bahn bricht? Der Versuch, dem House of Usher zu entfliehen, sich im letzten Moment zu retten? Sein Hilferuf an seinen Freund William könnte darauf hindeuten. Die Musik scheint auf der Stelle zu verharren und treibt doch unmerklich nach vorne und erzeugt dadurch ungeheure Spannung. Die Sogwirkung des Grauens ist hörbar und fühlbar.
In Trance versetzt durch die Musik, wird der Zuschauer in die Geschichte hineingezogen. Langsam fühlt der Zuschauer die Schwere dieser offensichtlich qualvollen Familientragödie am eigenen Leib. Und sehnt sich nach einer alles erklärenden Auflösung. Diese Antwort wird nicht gegeben. Wie Edgar Allan Poe es beabsichtigte, wird das Publikum zum Autor. Berührt und bewegt vom Grauen des Gehörten und Gesehenen formen sich Bilder und Worte zu vielfältigen, spekulativen und abgründigen Narrativen.
Lange vor Freuds Psychoanalyse beschreibt Poe in seinen Geschichten bildhaft und präzise die geistigen Zustände seelisch und geistig kranker Menschen. Poe betreibt keine Analyse, aber durch seine präzisen Schilderungen begreifen wir, dass seine Figuren von familiären und gesellschaftlichen Strukturen in einen Zustand gezwungen werden, aus dem ein Entrinnen nur schwer möglich ist. Angst, die sich unaufhaltsam ausbreitet und eine Wirklichkeit schafft, die alles bestimmend den Geist eines Menschen zersetzen kann.
Ein Abend mit großer emotionaler Eindringlichkeit. Ein perfekt inszeniertes Spiel mit starken Gefühlen.
The Fall of the House of Usher. Mark Watson Williams. Foto: Andreas Etter
Philip Glass
The Fall of the House of Usher
Musik von Philip Glass
Buch von Arthur Yorinks und Philip Glass
Basierend auf der Erzählung von Edgar Allan Poe
Gesangstexte von Arthur Yorinks
BESETZUNG
Musikalische Leitung:
Paul-Johannes Kirschner
Inszenierung:
K.D. Schmidt
Bühne:
Matthias Werner
Kostüme:
Lucia Vonrhein
Licht:
Ulrich Schneider
Video:
Christoph Schödel
Dramaturgie: Sonja Westerbeck
Roderick Usher
Mark Watson Williams
Madeline Usher
Maren Schwier / Petra Radulović (8.3.)
William Brett Carter
Diener Doğuş Güney
Arzt Georg Schießl
Philharmonisches Staatsorchester Mainz
TERMINE
09.05.2025, 30.05.2025, 01.06.2025, 07.06.2025 (zum letzten Mal)
https://www.staatstheater-mainz.com/veranstaltungen/oper-24-25/the-fall-of-the-house-of-usher
Erstellungsdatum: 24.04.2025