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Erzählung von Dacia Maraini

Maria Callas’ Grab auf Père Lachaise

Dacia MarainiGudrun Jäger


Maria Callas 1958. Foto: CBS Television. Wikimedia commons

Die Bezeichnung „Diva“ für großartige Opernsängerinnen weist auf einen göttlichen Anwesenheitsanspruch: Es gehört nicht viel dazu vorauszusagen, dass dem Namen Maria Callas im kulturellen Gedächtnis eine ähnliche Bedeutung erhalten bleiben wird wie dem der frühverstorbenen Maria Malibran zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Aber während die Malibran in ihrem Brüsseler Mausoleum ruht, ward die Callas im Ionischen Meer versenkt. Doch ist ihr in Paris ein symbolisches Grab zuteil geworden, das zu finden sich die italienische Poetin Dacia Maraini auf die Suche begab.

 

Ich habe Maria Callas in einem Opernhaus in Paris kennengelernt. Pier Paolo Pasolini hatte mich dorthin mitgenommen. Ich spürte sofort, dass ich ein musikalisches Wunderwesen vor mir hatte. Wenn sie auf die Bühne kam, traten alle hinter ihrer Erscheinung zurück. Sie hatte eine einzigartige Stimme, kraftvoll, aber auch zart, sinnlich und spirituell zugleich. Eine Stimme, die man unter Tausenden wiedererkennen würde. Eine Stimme, die an grandiose Landschaften, an Berge und tiefblaue Gebirgsseen denken lässt, mit einem Widerhall, der aus den Urgründen des Meeres aufsteigt.

Als Pier Paolo zu mir sagte: „Maria kommt dieses Jahr mit uns nach Afrika“, bekam ich es mit der Angst zu tun. Mit einer Diva eine Reise zu machen, war das nicht ein bisschen viel verlangt? Ich hatte die Befürchtung, sie wäre vielleicht überheblich und kapriziös. Doch als ich sie am Flughafen mit ihrem einfachen Trolley ankommen sah, in Blue Jeans und mit ungeschminktem Gesicht, war mir klar, dass es sich um eine wandelbare Persönlichkeit handelt: Auf der Bühne war sie eine Raubkatze, im Alltagsleben ein linkisches, schüchternes Mädchen. Besonders gegenüber Pasolini, den sie für einen Mann hielt, dessen Bildung der ihren überlegen war.

Ich mochte sofort diese ungekünstelte, unbeholfene Maria, die sehr verliebt und stets bereit war, zu lachen und zu scherzen, und die sich mit kindlicher Unbefangenheit in all die Unannehmlichkeiten fügte, die eine Fahrt im Land-Rover über die staubtrockenen Pisten Schwarzafrikas mit sich brachte. Sie war keine Intellektuelle und vielleicht schämte sie sich dafür irgendwie. Sie war auch keine sehr belesene Frau, sondern verließ sich eher auf ihr Bauchgefühl. Sie war sehr sensibel und sehr intelligent, doch war ihre Intelligenz sicher nicht systematisch und rationalisierend. In diesem Punkt war sie althergebracht. Sie dachte, dass Frauen eher rezeptiv als analytisch sind, sich eher durch liebende Hingabe als Vernunft auszeichnen. Aus diesem Grund verhielt sie sich gegenüber Pier Paolo unsicher und demütig. Manchmal schalt er sie mit sanften Worten für Sätze, die ein wenig konventionell klangen, für kleine Bemerkungen, die nicht unbedingt von Menschenkenntnis zeugten. Wenn er so etwas sagte, zog sie sich in ihr Schneckenhaus zurück und sagte: „Entschuldige, du hast recht.”

Sie machte sich auch Sorgen wegen ihres Aussehens, das ihr nicht gefiel. Sie mochte ihren Körper nicht und neigte dazu, ihn zu verstecken. Und doch war sie wunderschön. Aber sie glaubte, sie sei nur auf der Bühne schön und nicht im alltäglichen Leben. Über Pasolini dachte sie, was durchaus ein wenig kurios ist, dass sie ihn zur Heterosexualität bekehren könne. In mancher Hinsicht wirkte sie rein und unschuldig wie ein Kind.

Nach ihrem Tod, der mich sehr traurig machte, und nach ihrer Beerdigung, an der ich nicht teilnehmen konnte, besuchte ich sie in Paris. Ein Jahr nach ihrem Ableben wollte ich von ihr Abschied nehmen, in jener Sprache, in der sich die Lebenden mit den geliebten Toten unterhalten. Also fuhr ich zum Friedhof Père Lachaise, trat ein und suchte nach dem Grab von Maria der Großen, in der Erwartung gleich vor einem Grabmal zu stehen, das ihrer Bedeutung würdig war. Schließlich hatte Maria Frankreich viel gegeben, indem sie das Land als ihren ständigen Wohnsitz gewählt hatte und oft dort aufgetreten war. Auch wenn, wie sehr viele behaupteten, ihre Art zu singen, die Weichheit und Anmut ihrer Bewegungen und die Eleganz ihrer musikalischen Darbietungen sehr italienisch geblieben waren. Obwohl sie griechischer Herkunft war, fühlte sich Maria vor allem als Italienerin. Denn Italien hatte sie als ein junges Mädchen mit erhabener Stimme, aber ohne musikalische Ausbildung, willkommen geheißen. Man hatte sie großmütig und herzlich aufgenommen, hatte ihr musikalisches Talent verfeinert und sie voller Stolz und Enthusiasmus auf die Bühnen der Welt getragen.

Erstellungsdatum: 31.08.2025