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Ausstellung Rüsselsheim Hélène de Beauvoir

Mit anderen Augen sehen


Hélène de Beauvoir, Selbstporträt [Autoportrait], 1955, Privatsammlung © Ute Achhammer, APP, Foto: Christian Kempf

Die Opelvillen präsentieren die erste museale Ausstellung „Mit anderen Augen sehen“ zum Werk der Malerin Hélène de Beauvoir in Deutschland, der vergessenen Schwester von Simone de Beauvoir. Ihre Werke reichen von Kupferstichen über Aquarelle bis zu großformatigen Malereien in Öl oder Acrylfarbe. 

 

Mit Stichel, Stift oder Pinsel lotete Hélène de Beauvoir (1910–2001) die Möglichkeiten gegenständlicher und ungegenständlicher Kunst aus, bis sie die Trennlinien in den 1960er-Jahren ausdrucksstark auflöste. 1934 bezog die junge Malerin ihr erstes Atelier in Paris und präsentierte schon zwei Jahre später ihre erste Einzel-ausstellung 1936 in der Galerie Jacques Bonjean. Mitbegründer der Galerie war der spätere Modeschöpfer Christian Dior. Die Galerie Bonjean stellte auch Werke von Pablo Picasso, Georges Braque oder Salvador Dalí aus und ermöglichte Leonor Fini, ähnlich wie Hélène de Beauvoir, ihre erste Einzelausstellung. Pablo Picasso beurteilte anerkennend die Bilder der sechsund-zwanzigjährigen Hélène de Beauvoir als »originell«.
 
Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten Ausstellungen in Städten wie Paris, Mailand, Turin, Tokio, Genf, Lausanne oder Brüssel und Ölbilder von Hélène de Beauvoir gelangten in die Uffizien, Florenz, und ins Pariser Centre Pompidou. Zu den letzten großen Schauen zu Lebzeiten zählt ihre Präsentation 1995 an der Universität Aveiro in Portugal, der sie rund achtzig Werke schenkte. Danach geriet die Malerin Hélène de Beauvoir in Vergessenheit. Auch die Veröffentlichung ihrer Lebenserinnerungen 2014 auf Deutsch und eine Ausstellung ihres Werkes 2018 im Musée Würth France Erstein änderten nichts an der Tatsache, dass die Bedeutung ihrer Malerei bislang kaum wahrgenommen wurde und Hélène de Beauvoir im Schatten ihrer Schwester Simone de Beauvoir (1908–1986) blieb – eine der großen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts und Ikone der Frauenbewegung. Ohne Zweifel beeinflusste Simone de Beauvoir Hélènes Leben und Arbeit auf eine sehr tiefgreifende Weise, dennoch steht das Werk der Malerin für sich. In der Ausstellung Mit anderen Augen sehen wird die vergessene Künstlerin und ihr vielschichtiges Werk neu bewertet werden.
 


Hélène de Beauvoir, Mondine mit rotem Tuch [Mondine au foulard rouge], 1953, Privatsammlung © Ute Achhammer, APP, Foto: Frank Möllenberg

 

Für die Opelvillen entwickelt Dr. Beate Kemfert eine Ausstellung, die die gesamte Spannweite von Hélène de Beauvoirs Schaffen mit Gravuren, Aquarellen, Acrylbildern und Ölgemälden würdigt und dabei bislang nicht berücksichtigte Thematiken fokussiert. Fast fünfundzwanzig Jahre nach ihrem Tod werden zum ersten Mal Bilder aus den Jahren von 1925 bis 1994 ausgestellt, die beleuchten, welche Bedeutung die Figur der Frau von Anfang an für die Malerin hatte. Unberücksichtigt blieb auch die Beschäftigung von Hélène de Beauvoir mit dem weiblichen Körper, der Sexualität und der Verletzlichkeit der Frau. Bislang unbekannte Werke erweisen sich nun als Schlüsselwerke und erschließen neue Erkenntnisse über ihre Bedeutung für die Malerei und feministische Kunst des 20. Jahrhunderts. Möglich wird diese neue Sichtung ihres Werkes durch langjährige Recherche und durch vielfältige und umfangreiche Leihgaben aus verschiedenen europäischen Sammlungen.
 
Hélène de Beauvoir begann in den 1970er-Jahren, sich in ihrer Malerei richtungsweisend feministischen und ökologischen Themen zu widmen, und spiegelt dabei ausdrucksstark ihre emotionalen und intellektuellen Kämpfe wider. Innere Gefühls-welten erkundete die Malerin in ihren Bildern ebenso wie komplexe weibliche Erfahrungen. Ihre eindrucksvollen Statements zur weiblichen Selbstbestimmung lieferte Hélène de Beauvoir in einer Zeit, in der Frauen in der Kunstwelt unterrepräsentiert waren und die Malerei als Männerdomäne galt. Um ihr Geschlecht nicht sofort preiszugeben, signierte Hélène de Beauvoir ihre Werke mit »H de Beauvoir« auf der Vorderseite. Noch 1992 prangerte sie in einem Vortrag die patriarchalen Zustände im Kunstgeschehen an. Ihr Appell, »mit anderen Augen sehen«, mündete im gewählten Ausstellungstitel. Bis ins hohe Alter war Hélène de Beauvoir kreativ und produktiv, 2001 starb sie im Alter von 91 Jahren.

 


Hélène de Beauvoir, Ohne Titel [Venedig], 1957, Privatsammlung © Ute Achhammer, APP, Foto: Frank Möllenberg

 

1910 in Paris geboren, begann Hélène de Beauvoir ihre künstlerische Laufbahn mit der oben genannten Ausstellung 1936 am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Im Jahr 1940 wurde Hélène von ihrer Schwester Simone de Beauvoir eingeladen, für einen Monat nach Portugal zu fahren, um ihren Freund Lionel de Roulet, einen Schüler Jean-Paul Sartres zu besuchen. Als währenddessen der Zweite Weltkrieg begann, zog sie es vor, bis zum Kriegsende in Portugal zu bleiben. 1942 heiratete sie dort Lionel de Roulet, der später in den diplomatischen Dienst Frankreichs eintrat, weshalb das Paar mehrere Ortswechsel vollzog: Ab 1945 lebten sie in Wien, ab 1947 in Bukarest, ab 1949 in Marokko und ab 1950 in Mailand. Während ihres Nomadenlebens malte die Künstlerin unter ihrem Mädchennamen Hélène de Beauvoir weiter und beschäftigte sich intensiv mit Abstraktionen des 20. Jahrhunderts. Es entstanden Bilder mit zunehmend aufgesplitterten, kristallinen Formen sowie neuen Bewegungsmustern und Farben. Ihren Ehenamen Madame de Roulet benutzte sie in diesen Jahren nur für gesellschaftliche Verpflichtungen und nach ihrer Rückkehr nach Paris 1957 nannte sie sich ausschließlich Hélène de Beauvoir.
 
»Beauvoir hat viel Talent. Und es ist Hélène, um die es sich handelt«, hieß es im L‘Est Républicain am 25. Oktober 1967.
 
Hélène de Beauvoir hatte als Malerin Ende der 1950er-Jahre wieder erfolgreich in Paris Fuß fassen können und stellte u. a. 1960 in der angesehenen Galerie Synthèse ihre Werke aus: »[…] als wir nach Paris zurückkehrten, eroberte ich meine Freiheit zurück«, erinnerte sie sich in einem Interview mit Helen Payne 1976. Diese Phase brach jäh ab, als Lionel de Roulet an den Europarat nach Straßburg gerufen wurde. Wieder folgte Hélène de Beauvoir ihrem Mann, wollte aber nicht in Straßburg leben, sondern auf dem Land, um jeglicher gesellschaftlichen Verpflichtung zu entgehen: »Drei Jahre will ich kein Telefon hören, niemanden sehen und mit niemandem etwas zu tun haben. […] 1964, ich konnte kaum arbeiten. Nun, ich löste das Problem, indem ich einen kleinen Tisch vor dem Fenster aufstellte und gravierte, bis ich im Oktober endlich ein Atelier hatte.« Abgeschieden in Goxwiller, einem kleinen Ort im Elsass, begann Hélène de Beauvoir sich – mittlerweile Mitte fünfzig – in der Malerei neu auszudrücken. 
Ihr Refugium in einem ehemaligen Winzerhaus wählte auch Jean-Paul Sartre als Zufluchtsort, als ihm 1964 der Nobelpreis für Literatur verliehen werden sollte und er ihn als Kommunist ablehnte, um sich von keiner bürgerlichen Institution auszeichnen und vereinnahmen zu lassen. Seine Ablehnung des Preises löste einen Skandal aus und der Philosoph zog sich, um der Presse zu entgehen, in das Haus von Hélène de Beauvoir in Goxwiller im Elsass zurück. Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir standen Hélène weiterhin sehr nahe, besuchten regelmäßig ihre Ausstellungen und ihr Atelier.

»Das Werk, das Hélène de Beauvoir heute ausstellt, ist das Ergebnis einer langen Suche.« Jean-Paul Sartre, 1975
 

28. September 2025

bis 8. Februar 2026

Kunst- und Kulturstiftung
Opelvillen Rüsselsheim

Ludwig-Dörfler-Allee 9

65428 Rüsselsheim
Öffnungszeiten:


Di, Do–So: 10–18 Uhr

Mi: 10–20 Uhr

Link

Erstellungsdatum: 14.09.2025