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Philippe Collins Roman „Der Barmann des Ritz“

Mörderische Besucher

Rainer Erd


Hotel Ritz. Foto: A.shigapov.a. wikimedia commons

Ein guter Barmann muss nicht nur Getränke so mixen können, das die Gäste wieder kommen, er muss auch ein Künstler im Umgang mit anderen Menschen sein. Wenn ein jüdischer Bartender im Pariser Hotel Ritz während der deutschen Besatzung zum Vertrauten aller wird, kommt höchste Überlebenskunst noch hinzu. Der französische Journalist und Schriftsteller Philippe Collin hat einen Roman aus Fakten und Fiktion über die historische Figur Frank Meier geschrieben. Und Rainer Erd hat ihn gelesen.

 

Zweimal stand Frank Meier, der Barmann des Pariser Luxushotels Ritz, unsicher und erwartungsvoll an seinem Arbeitsplatz: am 14. Juni 1940, als die Deutschen Paris besetzten und am 25. August 1944, als die Alliierten in das von ihnen befreite Paris einmarschierten. Beide Male wusste Frank Meier nicht, was auf ihn zukommen würde. 1940 nicht, wie sich die Nazis im schicken, 1898 vom Schweizer Hotelier César Ritz gegründeten Pariser Traditionshotel verhalten würden. Und 1944 nicht, ob die Befreier von Paris ihn, den Barmann des Ritz, verhaften und anklagen würden.

Gründe sich zu sorgen, hatte Frank Meier genug. Bevor die Nazi kamen, fürchtete er, der österreichische Jude, ob sie ihn, den für seine Cocktailkünste bekannten und von den „stilvollsten Trinkern Europas und Amerikas“ verehrten Barmann verhaften und umbringen würden. Und bevor die Alliierten nach der Befreiung von Paris in das von den Nazis fluchtartig verlassene Ritz kamen, sorgte er sich, ob ihm die letzten vier Jahre, oder wie er sagte, die letzten 1533 Nächte zum Verhängnis werden würden.

Denn in diesen Nächten zwischen der Besetzung und der Befreiung von Paris war der Barmann des Ritz eine von den Nazis und den mit ihnen kollaborierenden französischen Gästen hoch begehrte Person. Zu Frank Meier kamen sie alle, um ihre Sorgen mitzuteilen und vor allem, um sich Getränke zubereiten zu lassen, die sie ihre Sorgen für eine kleine Zeit vergessen ließen.

Es waren hohe Nazi-Militärs sowie bekannte französische Künstler, die an Frank Meiers Tresen standen und keineswegs miteinander fremdelten. Jean Cocteau, Arletty, Sascha Guitry und Gabrielle („Coco“) Chanel traten wenig distanziert gegenüber den neuen, im Hotel Ritz logierenden Nazi-Größen Hermann Göring, Carl-Heinrich und Otto von Stülpnagel und Hans Speidel auf. Ganz im Gegenteil. Außer mit Göring, der sich stets an fremdem Eigentum bereicherte und als Prolet verachtet wurde, verfügten die adeligen deutschen Militärs über soziale Umgangsformen, die sie nach verrichteter mörderischer Arbeit gegenüber der französischen Bevölkerung, besonders der jüdischen, als kultivierte Gesprächspartner mit französischen Künstlern parlieren ließen. Zuweilen vermittelt durch den deutschen Schriftsteller und 1. Weltkrieg-Veteran Ernst Jünger wurde Frank Meier Zeuge intimer Gespräche zwischen Besatzern und sympathisierenden Franzosen.

Aber es wurden auch andere Gespräche an Frank Meiers Bar geführt. Er vermittelte falsche Reisepässe an gefährdete Personen, die damit das Land verlassen konnten, bevor sie die Nazis verhafteten. Und er wurde Zeuge, wie von deutschen Militärs ein Komplott gegen Hitler besprochen wurde, was jedoch misslang, mit tödlichen Folgen für Attentäter und Unterstützer.

Frank Meier, der Barmann des Ritz, war, obwohl er aus schlichten Verhältnissen stammte und finanziell nur ein einfaches Leben führte, eine hoch verehrte Persönlichkeit bei denen, für die Alkohol ein notwendiges Getränk war, um ihr Leben genussvoll zu gestalten oder erträglich zu machen. Seine Diskretion und die perfekten Umgangsformen machten ihn für alle, auch die mörderischsten Besucher, zu einem respektierten Gesprächspartner, auf dessen Verschwiegenheit man glaubte, sich verlassen zu können. Das machte sein Leben so anstrengend. Von allen ins Vertrauen gezogen zu werden, hieß zugleich, stets für alle vertrauensvoll zu erscheinen. Das ging nur mit einem perfekten stilisierten Doppelleben. Frank Meier war kein Nazi, auch wenn er diese immer zuvorkommend bediente. Und er war kein Kollaborateur, obwohl er von diesen gleichermaßen geachtet wurde.

 

Philippe Collin
Der Barmann des Ritz
Roman
Aus dem Französischen von Amelie Thoma
447 S., geb.
ISBN: 978-3-458-64512-2
Suhrkamp/Insel, Berlin 2025
 
 
 
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Erstellungsdatum: 01.09.2025