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Es gehört zu den wunderlichsten Rätseltieren und ist nicht frei von Frivolität. Und vor allem, wie gelangte es in die christliche Mythologie? „Das Einhorn entstand in den orientalischen Sagen und gehörte zu den Wundern der Welt. Auf verschlungenen Wegen kam es nach Europa und stachelte die Phantasie an.“, schrieb Ria Endres. Mit seinem gedrechselten Horn ist es in einer großen Ausstellung des Potsdamer Museums Barberini präsent, die Martin Lüdke gesehen hat.
Mehr Einhörner gab es sicher noch nie auf einmal zu sehen. Pionierarbeit. Das Barberini Museum in Potsdam präsentiert in einer riesigen Ausstellung bis zum 1. Februar 2026: „Einhorn. Das Fabeltier in der Kunst.“ Und ein (mehr oder weniger) echtes Pferd, mit Horn auf der Stirn, also ein Einhorn, auf dem Boden einer der Ausstellungsräume. Negative Beweise sind bekanntlich schwer zu führen. In der Kunst ohnehin, aber auch in der Realität. Zudem gibt es klare Aussagen.
Auch an Augenzeugen fehlt es nicht. Ein gewisser Petrus Candidus Decembrius habe, so beteuert er, das Einhorn mit eigenen Augen gesehen, sieben Fuß oder mehr. Also gute zwei Meter. Diese kühnen Behauptungen bekräftigt der gute Mann noch mit dem Hinweis; „So habe ich es selbst an einem toten Tier in Pavia und Neapel gesehen“. Bis ins 17. Jahrhundert hinein bleibt die Existenz des Einhorns überhaupt unbestritten. Denn selbst in der Bibel wird es mehrfach erwähnt. In den christlichen Legenden, in den antiken Mythen. Und immer wird es zusammen mit anderen Tieren gezeigt, was das Selbstverständliche seiner Existenz nur betont. Abbildungen dieses seltsamen Wesens gibt es von etwa 2000 Jahren v. Chr. Bis in unsere Gegenwart. Es gab und gibt zwar keinen Menschen, der tatsächlich ein solches Wesen je gesehen hätte. Selbst als die anderen Fabeltiere, Sphinx, Greif, Drache, Chimäre, Phönix und der Basilisken oder des Leviathans bereits in Frage gestellt wurden, galt die Existenz des Einhorns noch immer als gesichert. Das gedrechselte Horn galt als Zeichen seiner Auserwähltheit. Entsprechend wurde seinem Horn auch Heilkraft zugesprochen (was sich bis heute am Namen bestimmter Apotheken buchstäblich ablesen lässt). „Wer aus einem Gefäß trinke, das daraus gefertigt ist, sei gefeit gegen Krampf und Epilepsie, und selbst Gifte würden neutralisiert.“ (170) Fürsten ließen sich daraus Trinkbecher machen. Und in Pulverform galt es über Jahrhunderte hinweg als „Heilmittel gegen nahezu alle Krankheiten“. (170)
Hans Baldung Grien (1484/85 – 1545), einer der Großen der frühen Neuzeit, malte auf einer Tafel „Die Erschaffung der Menschen und Tiere“. Was wie ein großer Steinblock aussieht, ist der Schauplatz der Schöpfung. Ausgerechnet eine Mücke krabbelt an der Wand hoch in Richtung der schaumigen Masse, aus der Gott mit dem berühmten Rauschebart, Stirnglatze, aber dichten weißen Haaren auf der Kopfplatte, den ersten Menschen herauszieht, Adam. Gottes Geschöpf kommt fromm zur Welt, die Hände zum Gebet gefaltet. Weiter oben auf dem gleichen Gemälde (183 x 63) leiert Gott mit etwas Anstrengung, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, dem sehr weißhäutigen Adam seine Eva buchstäblich aus den Rippen, klein wie ein Baby kommt Eva ans Tageslicht. Und noch eine Etage darüber geht Gott in die dritte Runde: er erschafft die komplette Tierwelt, zu sehen sind ein Kamel mit einem Hahn auf dem Rücken, am Himmel bereits Vögel mehrerer Arten, Löwen, Pferde und, ziemlich klein zwar, aber weiß aus dem Bild leuchtend, mit der Spitze seines Horns auf die Hand des Schöpfers zielend, das Einhorn. Selbstverständlich. Auch beim Einzug der Tiere in die Arche Noah (Jean Poger, gest. 1504) ist selbstverständlich das Einhorn dabei. Warum auch zweifeln, sind doch Elefanten oder gar Giraffen weitaus unwahrscheinlichere Geschöpfe als etwa Einhörner. Seltsam sind nur die Rollen in denen es auftritt, als Beschützer von Jungfrauen etwa. Das Horn, heißt es hübsch, „wirkt wie ein Ausrufezeichen“. Und weiter: Das Einhorn stehe in dieser Hinsicht im Spannungsfeld zwischen mütterlicher Fürsorge und der Kunst der Verführung. Das heißt, das Einhorn erscheint in seiner langen Geschichte durch die unterschiedlichsten Kulturen oft sehr zweideutig.
Über Jahrhunderte hinweg wurde es aber im kollektiven Bildgedächtnis fest etabliert, im Christentum, der Naturkunde, der Medizin und Pharmazie, den Kunstkammern. Rainer Maria Rilke schrieb dementsprechend einmal, im Einhorn möge „alle Liebe zum Nicht-Erwiesenen, Nicht-Greifbaren, aller Glaube an den Wert und die Wirklichkeit dessen, was unser Gemüt durch die Jahrhunderte aus sich erschaffen und erhoben hat“, zur Geltung kommen, worauf es ankommt, doch das zu sein, was es auslöst: unsere Phantasien, jenseits aller vermeintlichen Wirklichkeit(en). Schon aus den Psalmen Davids wird ein Hilferuf zur Errettung vor den Einhörnern überliefert.
„Ähnlich unmöglich wie die Nicht-Existenz des Einhorns zu beweisen, scheint es zeigen, auf welchen verschlungenen Wegen das seit der assyrisch-indisch-chinesisch-mongolisch-griechischen weit verbreitete Tier in die christliche Kunst kam und welche unterschiedliche Bedeutungen es in dieser einnimmt.“ (38) Und auch in welcher Gestalt es auftritt: als kleines niedliches Zicklein, in der Rolle des Schoßhundes, als mächtiger Stier, als Fohlen und Pferd, schafsköpfig oder sozusagen in eigener Gestalt, eben als Einhorn. Durch die ganze Kultur- (und Kunst-)Geschichte hindurch erscheint das Einhorn in Gesellschaft anderer Tiere. Es gehört, wie verschieden es auch auftreten mag, einfach dazu. Das verweist auf die „Selbstverständlichkeit seines Vorkommens“ (104) Auch in Reiseberichten, quer durch die Zeiten, ist immer wieder von diesem Tier die Rede. Erste Zweifel kamen bereits Ende des 16. Jahrhundert an der realen Existenz des Einhorns auf. Im 17. Jahrhundert verstärkten sie sich noch. Zumal nachgewiesen werden konnte, dass vermeintliche Einhörner, die sich in den verschiedensten Formen, in Fürstenhäuser oder Apotheken, in Kunstkammern oder naturkundlichen Sammlungen fanden, eine nachweisbare Herkunft hatten. Sie stammten vom Narwal. So taucht Anfang des 18. Jahrhunderts in einer wissenschaftlichen Abhandlung erstmals die Bezeichnung „unicorn fiftitium“ auf. Damit verschwand unser Einhorn aber keineswegs aus dem kollektiven Bildgedächtnis. Die lange Tradition setzt sich fort. René Magritte präsentiert sein Einhorn, statt des Horns, mit einem kleinen mittelalterlichen Turm auf dem Kopf. Schon Dürer, später Arnold Boecklin, jüngst Rebecca Horn haben diese Linie verlängert. Jeder kennt das Tier. Keiner hat es je gesehen. Oder? Die Aussage scheint sehr gewagt. Denn mitten in einem der Ausstellungsräume liegt ein Wesen, tot zwar, doch zweifellos echt, dem man seine Existenz beigott nicht absprechen kann. Echtes Tier, echtes Fell, lebensgroß. Mittendrin. Ein Pferd mit einem Horn auf dem Schädel. Der einzig vernünftige Schluss, der sich aus dieser Tatsache ziehen lässt, ist klar. Das Museum ist, außer dienstags, von 10 bis 19 Uhr geöffnet.
Museum Barberini
Alter Markt
Humboldtstrße 5 – 6
14467 Postdam
Erstellungsdatum: 24.12.2025