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Zum Tod Rebecca Horns

Nur erschöpft

Ursula Grünenwald


Jupiter im Oktogon, 2007 Museum Wiesbaden, Foto: Bernd Fickert, © VG Bild-Kunst

Elegant, poetisch, zwiespältig und konzeptuell zugleich sind die Werke Rebecca Horns, deren international ausgezeichnetes Œuvre an die wichtigsten Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts anschließt. Am 6. September 2024 ist die im hessischen Michelstadt geborene Künstlerin im Alter von 80 Jahren gestorben. Ihr Schwerpunkt lag auf Skulpturen und Installationen, sie schuf aber auch Filme, Gedichte und Zeichnungen. Ursula Grünenwald erinnert an ihr Schaffen.

 

Rebecca Horns frühe performative Arbeit „Einhorn“ nimmt 1970 Aspekte vorweg, auf die die Künstlerin in vielen späteren Werken zurückgreift: Ein märchenhaftes, unergründliches Motiv wird raumgreifend und multimedial inszeniert. Eine junge unbekleidete Frau läuft in der Performance „Einhorn“ durch einen lichtdurchfluteten Wald und ein Feld mit reifem Korn. Sie balanciert eine hoch aufgerichtete schmale Stange auf dem Kopf, die mittels einer Korsettage aus weißen Bändern an ihrem grazilen Körper befestigt ist. Bei aller Schönheit der Erscheinung teilt sich den Betrachtenden das Unbequeme und Fragile der Situation mit, die die Künstlerin in Zeichnungen sowie in einem 12-minütigen Film und Schwarz-Weiß-Fotografien festgehalten hat.


Rebecca Horn Einhorn, C-Print (Kontaktabzug), 1970 Archiv Rebecca Horn © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Von 1972 bis 1981 lebte Horn in New York. Die Fluxusbewegung mit ihrer Passion für alltägliche Objekte und Situationen, die ins Abgründige und Witzige kippen, wird in dieser Zeit zu einer wichtigen Bezugsgröße. Zugleich weisen Horns Figurationen, in denen Naturmaterialien und Paradoxien eine wichtige Rolle spielen, auf den Surrealismus als Inspirationsquelle hin – nicht im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses, sondern einer grundlegenden Auseinandersetzung mit Sujets, die zu einem passionierten Sehen einladen. Zu ihrem Repertoire gehören Koffer, Violinen, Regenschirme, Schuhe, Bettgestelle und nicht zuletzt auch erotisch lesbare Konstellationen.

1982 stellt sie die „Pfauenmaschine“, ihr erstes kinetisches Objekt, auf der Documenta 7 aus: Ein Fächer aus glänzenden Metallstäben faltet sich wie ein Rad schlagender Pfau über einer dreieckigen Grundkonstruktion in den Raum hinein auf, um sich sogleich wieder zu schließen. Horn zeigt die Arbeit in einem kleinen klassizistischen Rundbau, der durch die Bewegung der Maschine vollständig ausgefüllt und damit in das Werk integriert wird. Ein kurzer Text der Künstlerin, der die Skulptur begleitet, zeigt ihre Faszination für das Balzverhalten der Vögel. In einem Interview erklärt sie, dass die Idee für die Pfauenmaschine während ihrer Arbeit an dem Film „Fernanda: Sonate für eine Medici-Villa“ in der Toskana entstand. Für den Film, in dem das Motiv des Balletts gegenwärtig ist, hatte sie 1981 eine ähnliche Apparatur aus weißen Pfauenfedern konstruiert.


Rebecca Horn Ausstellungsansicht mit Pfauenmaschine im Vordergrund Haus der Kunst München, 2024 Foto: Markus Tretter © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Doris von Drathen hat die kinetischen Objekte der Künstlerin als „Analogie zur Wirklichkeit“ beschrieben. Horn ahmt Formationen des Realen nach, um Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten sichtbar zu machen. Während Maschinen in der Moderne für Kontrolle, Effizienz und Berechenbarkeit stehen, scheinen Horns Objekte ein Eigenleben zu führen. „Wenn eine Maschine nicht mehr weiterläuft“, sagt sie 1993 im Interview mit Stuart Morgan in Paris, „bedeutet das nicht, dass sie kaputt ist, sie ist nur erschöpft“. Dem technikbasierten Fortschrittsglauben der Moderne setzt die Künstlerin die Melancholie ihrer Maschinen entgegen, um die Übergänge zwischen Natur und Technik, Kontrolle und Freiheit, Leben und Tod ausloten.

Erstellungsdatum: 16.09.2024