Philosophen, die die ganze Welt und den Sinn des Lebens in ein Denksystem packen möchten, hat es vielleicht nie gegeben. Aber es gab und gibt die großen Anreger, deren Einfluss weit über das lesende Publikum hinaus geht. Denken hänge von Kräften ab, die sich seiner bemächtigen, schrieb Gilles Deleuze, der vor hundert Jahren geboren wurde und zu den nachhaltigen Animatoren des Denkens gehörte. Stefan Heyer, dessen Lyrikband „Das Alphabet von Deleuze & Guattari“ im Frühjahr 2025 erscheinen wird, macht eine Notiz zum Philosophen und zwei Gedichte öffentlich.
Vor hundert Jahren, am 18. Januar 1925, wurde der große Philosoph Gilles Deleuze in Paris geboren, wo er am 4. November 1995 gestorben ist. Der lange Sommer der französischen Philosophie, die Zeit von Foucault, Lyotard, Derrida und eben Deleuze ist vorbei. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde vor allem der „Anti-Ödipus“, der zusammen mit Felix Guattari geschrieben wurde, von vielen Studenten, allerdings außerhalb der Universität, gelesen und versucht zu verstehen. Mit dem Nachfolgeband „Tausend Plateaus“, der in den 90er Jahren erst spät übersetzt wurde, begann in Deutschland eine zweite Phase der intellektuellen Debatte über Deleuze. Deleuze hat nicht nur zu Philosophen gearbeitet, zu Spinoza, Berson und Leibniz z.B., sondern auch über das Kino, Malerei und Literatur. So sind von ihm Bücher zu Kafka, Proust oder Melville erschienen. Deleuze ist der große Begriffe-Schmied, das Entwerfen und Setzen von Begriffen ist seine philosophische Kunst. Das „Rhizom“ ist davon vielleicht der bekannteste Begriff.
Die Vorlesungen von Deleuze waren oft ein Ereignis, intellektuelle Touristen fuhren aus der ganzen Welt nach Paris, um ihn zu hören. Im Suhrkamp Verlag ist gerade ein Band mit Vorlesungen von ihm erschienen.
rhizom, das
efeu umrankt das alte haus.
schreiben als mannigfaltigkeit.
der giersch zieht seine wurzeln durch
den garten. kafkas ersticken an der bürokratie.
shtil, di nakht iz oysgeshtérnt,
der himmel zeigt sich grimmig
erbost, der schlamm wird vom
regen in die kanalisation gespült
schwer in mode der ingwertee.
die infusionen der liebe
helfen nur bedingt
das lied, das nicht gesungen werden will,
ächzt durch die schwarze nacht.
nackt tanzen die bäume am wegesrand
mit shneygirlándn oyf di hor.
gilles, der
… und wozu dichter in dürftiger zeit?
das ziegenfell gibt dir den namen.
ägidius. dem zeus zum schutz gereicht.
den hut hast du ins gesicht gezogen. die
philosophen waren auf die katze
gekommen. ein hund war dir immer
schon zu ergeben. selten bist du in
die seine gesprungen / hier und da füße
im kalten wasser / tanz der gedanken.
tanzen und fließen / hinweg über die ozeane.
mit dem fell der ziege:
les déserts du monde
hunde suchen das weite / ziege werden.
rhizome durchlaufen die erde / wurzel
auf wurzel. bäume gefällt. labyrinth
der kanäle / venedig überall /
den hut tief ins gesicht gezogen /
falte folgt falte.
philosophie als rockkonzert.
Anlässlich des 100. Geburtstags von Gilles Deleuze sprach René Aguigah/Deutschlandfunk Kultur mit seinen Übersetzer Joseph Vogl. Für ihn ist der Franzose ein Denker, dessen Ideen bis heute immer wieder bei grundlegenden Fragen auftauchen – etwa in Politik, Literatur oder Wirtschaft.
Erstellungsdatum: 18.01.2025